Tarte Tatin
À la recherche du tarte perdu
Immer wieder werde ich gefragt, wie man in vierzig Jahren dauernd neue Gerichte erfinden kann. Die Daniel Düsentriebs aller Länder werden bestätigen, dass wirklich Neues fast nie erfunden wird. Erfinden und Kreieren ist ein empirischer Vorgang und die Ergebnisse fußen meist grundsätzlich auf vorangegangene Erkenntnissen. Oft braucht es auch einer Initialzündung bis man einen vagen Gedanken wirklich konkretisiert. Dem Zwiebelstillleben des Herrn Paul Cézanne und einem Restaurantbesuch der zufällig eine Zwiebelsuppe bereithielt folgte ein Erlebnis mit Äpfeln. Der Maler Emile Bernard, ein Freund und späterer Antipode Paul Gauguins ist in Deutschland längst nicht so bekannt wie er es verdiente. Er malte alles Mögliche. Im Pariser Musée Quai d’Orsay entdeckte ich ein Apfelbild auf dem er alles Überflüssige weggelassen hatte. Ihm ging es in hohem Maße um symbolische Inhalte und Reduktion und Stilisierung, frei nach der Melodie, Mensch werde wesentlich. Dies entspricht auch ganz meiner Maxime des Kochens. Äpfel sind ein allgemein beliebtes Stillebenmotiv, denn der Apfel zeigt sich in unzähligen Farben und Formen. Äpfel, die chemische Behandlungen wie Spritzen hinter sich haben kenne ich nicht. Deshalb schäle ich sie selten, dies auch aus dem Grunde weil wie bei Tomaten und vielen anderen Früchten, das Aroma hauptsächlich der Schale anhaftet.
Wirklich naturreine Ware in die Hand zu nehmen, zum Mund zu führen bietet jedoch längst nicht alles an Aromen die der Apfel bereithält. Meine Großeltern, kulinarisch wirklich nicht ausgefuchst, jedoch um so mehr mit einem kenntnisreichen Gefühl für Natur gesegnet, aßen nie rohe Äpfel, sondern in der Saison parkte immer ein Kompott im Kühlschrank.
Für den Umgang mit Äpfeln gibt es unzählige Varianten. Für den absoluten Apfelnobelpreis würde ich alleinig den Apfelkuchen der Geschwister Tatin nominieren.
Egal welche Stories über dieses Rezept im Schwange sind: als eines der genialsten Rezepte ging es in die Geschichte ein, was nicht heißt, dass es viele Patissiers mustergültig nachvollziehen können. Mit Blätterteig den Boden eines Kuchens auszulegen funktioniert bekanntlich deshalb nicht, weil durch das Gewicht des Kuchenbelags der Teig nicht aufgehen kann. Da bei dieser Tarte die Äpfel jedoch unten sind und der Teig oben, stellt sich dem Boden kein Gewicht entgegen und er kann sich luftig und locker nach oben entfalten. Über diesen Apfelkuchen kursieren auch Rezepte mit Mürbeteig was wir als Sakrileg sofort verdrängen sollten.
Der Tarte der Jungfern Tatin erblickte durch einen stinknormalen Küchenunfall den Dunst der Backstube.
So kann man heute auf eine hundertjährige Karriere dieses Rezepts zurückschauen. In Frankreich werden diese Kuchen mittlerweile in jedem Supermarkt dem Wägelchen zuladen. Diese Apfelteigplatten haben mit dem Original fast gar nichts und erst recht nicht mit den Ansprüchen der Leserschaft dieser Zeilen zu tun.
Eine echte Tarte Tatin muss frisch und ofenwarm auf den Tisch. Darauf besteht auch die «Confrérerie Lichonneux», die «Bruderschaft der Feinschmecker», die in Lamotte-Beuvron, dem Herkunftsort der Tarte Tatin, das Ansehen der beiden ledigen Schwestern hoch hält. Der kleine Ort liegt in der Sologne, einem waldreichen Gebiet südlich von Orleans. Das Hotel Tatin gehörte im 19. Jahrhundert einem gewissen Jean Tatin. Nach seinem Tod 1888 wurde es von seinen beiden unverheirateten Töchtern Caroline und Stéphanie weitergeführt. Während Caroline im Restaurant die Gäste umsorgte werkelte Stéphanie am Herd. Beide ältlichen Maiden schmissen den Laden mit Elan. Viele Jäger trieben sich dort in den Wäldern herum und ihr Waidmannsheil suchten sie nach der Pirsch bei den beiden Damen, die eine sehr gute Küche boten.
Die Nimrode, schwer am Feiern, verwirrten eines Abends die Köchin Stéphanie dermaßen, dass sie keinen Apfelkuchen in den Ofen geschoben hatte. In der Eile legte sie die gezuckerten Äpfel ohne Teig in die Form und schob sie in den Ofen. Als Stephanie ihr Malheur bemerkte war es zu spät – die Äpfel waren karamellisiert. Um das Dessert zu retten, breitete sie Blätterteig über die Äpfel, um in ihrer Not eine Art “gedeckten Apfelkuchen” zu backen. Die mit Teig bedecken Äpfel wurden nochmals in den Ofen geschoben.
Als sie das Backblech wieder aus dem Ofen zog musste sie den Kuchen so aussehen lassen als wäre nichts geschehen. Sie kippte den Apfelkuchen umgekehrt auf eine Platte, so dass sich der Boden wieder unten befand und die karamellisierten Äpfel oben lagen. Mit Gesten des Bedauerns präsentierte sie ihre Apfeltorte. Die Gäste waren von dem aromatisch duftenden Missgeschick begeistert. Die «Tarte des Demoiselles Tatin» trat ihren Siegeszug an, insbesondere deshalb, weil der Boden wunderbar durchgebacken und von den Äpfeln nicht aufgeweicht worden war.
REZEPT
Für 2 Personen benötigt man:
4 Äpfel (Bio, ich schäle die Äpfel nicht)
6 EL Puderzucker
1 EL Butter
1 Vanillestange
Man nehme eine Pfanne mit ungefähr 20 cm Durchmesser. Der Griff sollte hitzebeständig sein. Eine Platte Blätterteig in runder Form und dem Ausmaß der Pfanne.
Die Äpfel werden in Achtelsspalten geschnitten, das Kerngehäuse entfernt. Die Spalten in leichtem Zuckerwasser pochieren, danach absieben und die Apfelspalten etwa antrocknen lassen.
Den Puderzucker mit einem Esslöffel Weißwein in die Pfanne und ein Esslöffel Butter dazu. Auf der Herd so lange rühren bis hellbraunes Karamell wie Magma Blasen wirft.
Vorsichtshalber besser etwas früher vom Herd gehen, denn die Pfanne glüht nach und der Zucker bekäme zu dunkle Farbe und dazu noch einige Bitterstoffe ab.
Also die Pfanne vom Herd und die Apfelspalten dachziegelartig einsortieren. Jetzt den Teig drauf und diesen mit Zucker bestreuen. Ab in den Ofen, der auf 180 Grad vorgeheizt wurde. Nach zwanzig Minuten müssten sich Resultate zeigen, der Teig müsste kräftig aufgegangen und nicht zu dunkel sein.
Wenn es beim ersten Mal klappt, dann hat man Glück gehabt. Aber egal wie, ob nun die Äpfel richtig karamellisiert sind oder nicht, ob man den Kuchen überhaupt hat stürzen können, ob alles in der Form kleben blieb: Es schmeckt immer vorzüglich. Ideal wäre natürlich, der Blätterteig käme nicht von der Industrie, sondern würde selbst gemacht.
Man kann die Äpfel vorbereiten und als Mise en place im Kühlschrank bereithalten. Die runden Blätterteigplatten lassen sich ohne weitere eingefrieren und sogar gefroren auf die Äpfel legen. Die ganze Backprozedur dauert dann eben fünf Minuten länger.
In den Originalrezepten werden stets rohe Äpfel verwendet. Ich bin drauf gekommen, dass der austretende Apfelsaft stets das Karamell verflüssigt und versoßt. Jetzt wären wir soweit, ich liebe alte Rezepte wende sie jedoch nie unbedacht an. Überhaupt trauen sie nie einem Rezept und schlagen sie nur weil sie das gedruckte Wort vor Augen haben ihren Verstand aus. Generell gilt, es führen viele Wege nach Rom, es gibt kurze und weite Wege, aber welches ist der Beste. Das muss man sich beim Kochen immer wieder fragen.
Im Vorfeld meiner Apfel-Feldforschungen besuchte ich ein berühmtes Bistro, das sich die Tarte Tatin auf die Fahnen geschrieben hatte. Es war sicher der zwanzigste Versuch in meinem Leben wenigstens einmal an eine perfekte Tarte zu gelangen. Jedesmal musste ich mich für den ausübenden Kollegen fremdschämen. Als beste Tartes empfand ich Tiefkühlprodukte die in Frankreich in jedem Supermarché gehandelt werden. Man hat ja immer wieder die Sehnsucht nach dem „Andersschmeckenden“. So bedienten die Tiefkühlrundstücke mit ihrem penetranten Duft von künstlichem Vanillin meine niederen Instinkte nach dem Übertriebenen.
Gute Resultate erzielten Kollegen, die sich Apfelspalten aus der Dose bedienten. Ja wirklich, das gibt es und dies Verfahren brachte mich auf die Idee die Apfelspalten zu pochieren. Der Blätterteig, Gott sei es geklagt, er birgt das letztes große Hindernis zum Kuchenglück. Echten Butterblätterteig kann man nicht kaufen. Guter Blätterteig ist auch in Frankreich ausgestorben. Mag sein, dass es wenige Konditoreien gibt, die nicht Ziehmargarine, sondern echte Butter verwenden. Die ganze Arbeit dieses Wunderkuchens kann man sich sparen, sollte man nicht den Schwung haben den Blätterteig selbst herzustellen. In meiner Küche ist er dermaßen gut, dass wir die Teigabschnitte mit Zucker bestreuen und der Tarte flankierend beilegen. Da weiß man oft gar nicht was besser ist, der Kuchen oder der rösche, gezuckerte Teig.
Ich werde mich notgedrungen dranmachen müssen ein möglichst simples funktionsfähiges Rezept aufzuschreiben. Mit einer Teigausrollmaschinen lassen sich geradezu Wunderwerke ausrollen. Doch es funktioniert auch mit dem Wellholz.
Einfache Tour = (Faltung)
BLÄTTERTEIG
EINZIEH-BUTTERTEIG:
400 g Butter
100 g Mehl Type 550
Die Bestandteile Zu einem glatten Teig verkneten in Butterbrotpapier geben und auf DIN A 4 auswellen.
GRUNDTEIG:
160 g Wasser
10 g Salz
1 EL Apfelessig
100 g Butter
350 g Mehl Type 550
Zusammen aufkochen, mixen, etwas abkühlen lassen und wieder mixen und dabei den Essig zugeben. 350 g Mehl unterkneten.
Diesen Teig auf DIN A 3 plattwalzen und mit der oben gefertigten Einziehbutter bedecken. Diese wird am besten zwischen großen Pergamentbögen auf die Größe des anderen Teigs ausgewellt und darauf gelegt.
Nun wird zusammengeklappt auf Größe DIN A4.
Das war die 1. Tour, mit Ihr haben wir zwei Schichten. Wir klappen nun immer den ausgewellten Teig zusammen und verdoppeln jedesmal die Schichten.
Nun wiederum auswellen auf DIN A 3 und wiederum zusammenklappen.
Das war die 2. Tour. Das wiederholen wir gleich und sind nun bei der 3. Tour. Nun wieder die Teigplatte in DIN A 3- Größe auswellen und für eine Stunde wiederum in den Kühlschrank.
Nun geht es weiter bis wir die 7. Tour hinter uns haben. Rechenkünstler können das überprüfen. Wir sind fertig bei 108 Schichten. Ideal wären 144 Schichten, aber vergessen wir das erst einmal, denn wenn wir jetzt noch einmal zusammenklappen, erhalten wir 216 Schichten, das wären riskant viele und sehr, sehr dünne Teigschichten.
Nun wellen wir den Teig wieder auf DIN A 3 Größe aus und schneiden ihn in beliebig große Stücke, je nachdem wie groß die Kuchenform ist. Diese Stücke einpacken und eingefrieren.
Blätterteig gab es schon immer fertig zu kaufen. Ein elendes Zeug. Bäcker und Konditoren verwenden meistens “Ziehbutter”, das ist nicht anderes als eine üble Margarine, deren Fett gerne am Gaumen klebt.
Nun aber, seit einigerzeit, wird Blätterteig, selbst in Supermärkten angeboten, der mit reiner Butter fabriziert wurde. Ehrlich gesagt, unser selbstgerechter Teig ist letztlich nichtviel besser, da wir die präzisen Schichten nicht so gut hinkriegen wie die Industriemaschinen.