Ein Textkünstler, der sich seit Jahren der Rettung guter Küche, insbesondere seiner südbadischen Heimat, auf die Fahnen geschrieben hat. Wolfgang Abel ist mir durchaus ein Vorbild. Sein scharfer Blick auf’s Geschehen, sein enormer Wortschatz; liebe Leserinnen und Leser, wenn sie seine E-Mails abonnieren, werden Sie feststellen, es gibt keinen der über Essen und Trinken schreibt, der ihm das Wasser reichen könnte.
Haufenweise Moral
Du stehst innerlich vor dem Selbstmord – Kaffeehaus!
Du haßt und verachtest die Menschen und kannst
sie dennoch nicht missen – Kaffeehaus !
Man kreditiert dir nirgends mehr – Kaffeehaus!
Peter Altenberg
Ohne Framing und Storytelling geht heute nichts mehr. So wie der kleine Moralbaukasten nicht ohne handliche Brandmauer und eine aufblasbare Nazikeule auskommt, so empfangen Webseiten von Fine-Thinking-Restaurants und deren Speisekarten mit einer Präambel zu Weltengang, lokalem Beschaffungswesen und höherwertiger Arbeitsweise. Auch Verhaltens- und Konsumregeln für kulinarisch-ideologisch zurückgebliebene Besucher werden immer wichtiger. Einfach gut essen gehen das war einmal.
So bekumpelt das Freiburger Restaurant Jacobi angehende Gäste mit dem mittlerweile obligatorischen digitalen Du; zum Genuß des kompletten „Tasting-Menüs“ werden proaktiv „ungefährt vier Stunden an Zeit“ empfohlen. Vegetarier, Kinder und Hunde sollten bereits bei der Reservierung deklariert werden. Des Weiteren wird der Gast lange vor Erscheinen der Vorspeise über die im Haus gepflegte Un-terstützung des Netzwerks „Die Gemeinschaft“ informiert, welche sich wiederum für eine umfassende Bewußtseins- und Essenswende engagiert. Angesichts von so üppig verabreichter Weltanschauung scheinen mir vier Stunden kulinarisches Oberseminar eher knapp bemessen.
Höhere Formen des restriktiven Luxus werden längst auch in Restaurants am Ende der Welt zelebriert, so auch im “Koks” auf den Färöer-Inseln. Ein Verzicht auf die Trüffel- und Gänseleberprotzerei zugunsten von Isländisch Moos etc. hat dort freilich seinen Preis. Tasting Menu um 550, Wine pairing 270, Juice pairing 120 Euronen. „Please note, that a surcharge will be added to payment with business payment cards.“ Außerdem informiert die Webseite des “Koks”, daß wegen der Lage im hohen Nordatlantik der Zugang zu lokalem Gemüse jahreszeitlich deutlich eingeschränkt ist. Zudem könnten vor Ort gesammelte Beeren, Steinbreche, Moose und Fermentiertes auch von nicht zertifizierten Lieferanten stammen. Wer alles haben kann, gibt für Askese auf höchstem Niveau auch mal etwas mehr aus.
Im Freiburger Bio-Restaurant “Adelhaus” wird der kulinarische Rahmen so knapp wie eindeutig gesetzt: „100% biologisch, 100% vegetarisch, 999 Salatkombinationen.“ Das Buffet mit gut 25 Salaten, einigen Breisgauer Antipasti und einem Dutzend Warmspeisen ersetzt lange Worte auf der Speisekarte. Wer ins “Adelhaus” geht, weiß was ihn dort erwartet – vor allem 100% achtsames Freiburg, das bei Ernährungsfragen bekanntlich wenig Spaß versteht. Ob Mann, Frau oder nonbinär, alles strebt hier schnurstracks zur imposanten Zentraltheke, lädt auf und bezahlt nach Gewicht. Babys werden im “Adelhaus” mit Stolz vor der Brust präsentiert, ein erwachsener Mann vor Roggen-Apfel-Salat trägt eine bunt gestrickte Hafenmütze. Dank der Gesellschaft meines Freiburger Begleiters fühlte ich mich dennoch nicht völlig ausgegrenzt. Zum Wine pairing wagten wir sogar ein Achtel Grauburgunder. Der hochfarbene Demeter-Wein erwies seinem Namen jedoch wenig Ehre, er tendierte optisch ins Orange und aromatisch zum Mostigen. Zwischenergebnis: Die Gemüseauswahl im Freiburger Adelhaus ist ungleich größer, auch viel preiswerter als auf den Färöer-Inseln, andererseits ist der Statusgewinn im “Koks” nicht vergleichbar mit dem im “Jacobi”.
Das einleitende Zitat dieser Kolumne ziert die schlichte Karte des Café Bräunerhof; nach wie vor eine Institution in Wiens 1. Bezirk. Ich war zuletzt vor gut zehn Jahren dort und hatte zwei Stunden meine Ruhe mitten in einer großen Stadt, was ja an sich schon unbezahlbar ist. Freundlicherweise hat mir mein Begleiter aus dem “Adelhaus” eine aktuelle Karte vom Bräunerhof mitgebracht. Außerdem meinte Michael H., daß jetzt auch im Bräunerhof ein deutlicher Rahmen gesetzt würde. Bereits am Eingang steht: „Keine Gruppen (max. 5 Personen), maximal 2 Kinderwagen, CASH ONLY.“ Ein Schnittlauchbrot kostet im Bräunerhof übrigens 2,90 Euro und der Verzicht auf unverlangte Moralgarnituren wird nach wie vor nicht extra berechnet.
https://www.oaseverlag.de/Abels_Kolumnen/Die_Kolumne_von_Wolfgang_Abel/
Die Bücher aus seinem Oaseverlag habe ich alle im Regal, aus gutem Grund.