Vincents Tagebuch

Weißdorn, Eberhard im Bart

von | 9. August 2024 | Allgemein

Im Winter werde ich mich auf eine Recheretour nach Umbrien begeben. Jetzt im Sommer ist es in “The Länd” so schön, dass ich geradezu verrückt sein müsste, mich anderswo erholen zu wollen. Okay, als ich jünger war dachte ich anders, denn man weiß nur wie schön es bei uns ist, wenn man mit weiten Reisen vergleichen kann.

In meinem Buch, “Mein Schwaben” das Ende November erscheinen wird biete ich ein Verzeichnis von ländlichen Gaststätten, Baurawirtschafta, Handwerkerkneipen, gute Gasthäuser, älles blos keine Edelkost. Ich war auf dem Weg nach Rangendingen ins Rössle, Haigerlocher Staße 5. eigentlich wollte ich in die Eyachperle in Haigerloch. Da waren aber Betriebsferien angesagt. Erst hinterher habe ich geschnallt, dass erst am folgenden Tag Betriebsferien gewesen wären. Egal, dann halt, wenn es wieder offen ist.

Ich ratter von Tübingen kommend nach Hechingen. Es tauchen Autokennzeichen auf die ich in Ostdeutschland vermutet hätte. “HCH”, eine Abkürzung für “Huch…? Nie gesehen. Ist es eine Ikonographie für Röcheln? Gemeint ist aber Hechingen. Unversehens schiebt sich die Burg Hohenzollern vors Auge. Von der Hauptstraße bin ich so lange abgebogen bis ich das Märchenschloss gut vor mir hatte.  Danach Mittagessen und zuerst ein Bier. Ein guter Salat wurde aufgetischt und Schweinegeschnetzeltes mit Champignons in Rahmsauce mit Spätzle serviert. Die Soß, grad so wie es der Schwabe mag, grad so, dass man sie mit der Gabel essen könnte. Mir schmeckte es prima. Zwei hochangenehme junge Frauen kümmerten sich um den Rest der Gäste, und ich als Eber in der Einzelbucht wurde richtig gut bemuttert. Ein Espresso folgte und nach einer Stunde war ich angenehmst gefüllt und schnell wieder weg.
Nur wegen angenehmer Sättigung fünfzig Kilometer zu fahren, das bringe ich in meinem Gärtlein der Vernunft nicht unter. Der wirkliche Grund hatte mit einem alten Baum zu tun.

Zurück von Rangendingen nach Tübingen, an Tübingen vorbei, und bei Kirchentellinsfurt abgebogen. Noch in der Kurve zeigt ein Wegweiser zum Hofgut Einsiedel. In Sepentinen links und rechts durch den Wald bin ich schnell auf der Höhe. Dort zielt eine Baumallee kerzengerade zum Horizont. Einen gefühlten Kilometer Lindenbäume und ich ahne, so etwas leistet sich nur der Adel. Der deutsche Plebäjer erhebt sich gerne gegen alles, was größer ist, als er selbst, dass wir dann abgehackt. Old Granny Donald Trump, so jedenfalls seine Stimmlage, ist auch immer für freies Schussfeld.

Eine Minute später bin ich am Herzoglich Württembergischen Hofgut, mit einem noblen Verwaltungsgebäude, das von Hallen und Scheunen umgeben ist, die nichts mit Romantik zu tun haben. Weiter über einen unglaublich holprig gepflasterten Hof der mir das Hirn gegen die Fontanelle knallt. Trotzdem noch fahrtüchtig und gleich ums Eck, jetzt sehe ich es, das Schloss Einsiedel. Allzusehr interessiert es mich nicht. Graf Eberhard im Bart hat es 1482 als Jagdschlösschen errichtet. Daneben gründete er das Stift St. Peter mit großer Kirche und allem Drum und dran. Davon ist nichts mehr übrig. Aber hier auf Einsiedel fand die erste Demokratie Zentraleuropas nach dem antiken Griechenland statt. Die “Brüder vom Gemeinsamen Leben” wurden von Graf Eberhard hier untergebracht. Eberhard lud 12 Priester, 12 Adelige und 12 Bürger ein, um zusammen unter einem Dach zu leben. Damals (unglaublich) war der Adel der Ansicht, dass ein normaler Bürger zwar ein Mensch sei, aber nicht in dem Umfang wie ein Adeliger. Eberhard wagte den Versuch, dass drei unterschiedlich soziale Niveaus sich vertragen könnten. Er kam oft zu Besuch um hier Rat zu holen, denn der soziale Dreier erwies sich als hochverträgliche, homogene Denkfabrik.

Seinen langen Bart ließ sich Graf Eberhard auf einer Reise nach Jerusalem wachsen. Vielleicht hatte er Ambitionen Kirchenvater zu werden. Ähnliches gelang ihm dann auch. Er wurde dabei richtig gläubig und dokumentierte dies durch seinen Gesichtsflokati. Auf der Reise, großteils mit dem Schiff steckte er sich als Souvenir einen Weißdornzweig an den Hut. Er musste aber auch noch eine bewurzelte Pflanze im Gepäck gehabt haben. Dieses Weißdornbäumchen wurde in Einsiedel, damals nur ein Gestüt, 1468 eingepflanzt. Seitdem steht dieser Baum vor dem Schlösschen.

Es gibt ein Verzeichnis der deutschen Rekordbäume. Darin steht zu diesem Exemplar: Stammumfang: 1,62 m in 1,3 m Höhe (gemessen am 3.5.2021) Höhe: Ca. sechs Meter. Kronendurchmesser: Ca. 11 m. Alter: Ca. 555 Jahre (Entstehung 1468).  Der heutige Baum ist der zweite Nachfolger aus dem Wurzelgeflecht des Originals.

Im November wird mein neues Buch erscheinen"Mein Schwaben". Darin bekommt dieser Baum eine besondere Ehrung.