Liebe Laura, ich habe das Bild bei meinen häufigen Besuchen in Bebenhausen irgendwann mal angeschaut wie man es als Laie in sich bringt. Folgend kannst Du lesen was ein Spezialist alles sieht. Ich gestehe, ich war mit Blindheit geschlagen.
DAS »BERNHARDUSWUNDER« ZU BEBENHAUSEN
GEDANKEN UM EIN ALTES BILD
Was ist dies Bebenhausener Bild für die Geschichte der Kunst, ja nur der schwäbischen Malerei seiner Zeit? Herzlich wenig. Und wieviel weiß es doch zu sagen, wenn man es zum Sprechen bringt, wie jeder alte Mensch, der aus einer versunkenen Zeit herüberragt, sobald man ihn gewinnt!
Denn das „Bernhardswunder” ist nicht das erste beste Bild, es ist — wenn wir noch einmal mit dem Menschen vergleichen dürfen — ein „schwäbisches Original“. Darum hat es auch Mörike so interessiert, der es in seine „Bilder aus Bebenhausen” eingeflochten hat. Sein Geist und dichterischer Sinn fühlte sich verwandt berührt. Es ist schon etwas Besonderes mit diesem Bild, auch wenn es keine „Geschichte“ gemacht hat.
Wie wohltuend ist es, einem Kunstwerk in würdiger Umgebung gegenüberzustehen, womöglich am Ort, für den es der Meister schuf! Nichts lenkt die Aufmerksamkeit von der Welt im Rahmen ab. Es ist die Erbauung der Zwiesprache ohne Zeugen und Unbeteiligte, die immer etwas vom Frieden der vollkommenen Hingabe fortnehmen. Wenn doch jeder, der Kunst liebt, wenigstens e i n echtes Kunstwerk in seinen vier Wänden besitzen dürfte zum trauten, liebenden Umgang, das könnte viele Reisen und Baedekerberühmtheiten ersetzen!
Mir klingt ein Wort Guardinis im Ohr, dass Liebe nicht blind, sondern einzig sehend macht. Dann sollte mich meine Liebe zu diesem Bild vielleicht doch befähigen, einiges von seinem Dasein zu erschließen. Ich habe es nicht nur oft und gern betrachtet, es hat mich auch zu allen möglichen Überlegungen, ja kleinen Spezialstudien angeregt, so oft ich ihm begegnete. Es klingt wie Übertreibung, aber ich habe es erfahren: in dieser Beziehung ist es — ich möchte beinahe sagen — unerschöpflich. Ich glaube es zu wissen, warum: Es ist ein echtes Kunstwerk, und jedes echte Kunstwerk ist ein Brennpunkt, in dem unendlich viele Strahlen der irdischen Ordnungen von Raum und Zeit gesammelt sind. Wie liebenswert ist dieser große Heilige, um dessen Gestalt ein kaum minder reicher Legendenkranz gelegt ist als er Franziskus umgibt, nur freilich anderer Art! Was berichtet nicht allein die „Legenda aurea“, das wunderbare Buch, von der Tiefe seiner Meditation, die Bernhard nicht den See bemerken ließ, an dessen Ufer sein Weg seit Stunden hinführte; von der Scheu der Selbstgefälligkeit in frommen Werken, die ihn seine Bußübung sogleich beenden ließ, wenn fremde Augen sie entdeckt hatten. Gibt es einen klügeren Erzieher als Bernhard, der den auf seine Festigkeit im Gebet stolzen Bauern durch das Versprechen, ihm sein Reittier zu schenken, überzeugt, daß er nicht einmal ein Vaterunser beten kann, ohne in weltliche Gedanken abzuschweifen; oder der dem abtrünnigen jungen Klosterbruder, der sein Glück in der Welt mit Spielen versuchen will, ein Darlehen mit Beteiligung am Gewinn gibt, um ihn desto sicherer, nachdem er — wie Bernhard voraussah — alles verloren, wieder zu sich zurückzuführen? Aber das muss man selbst lesen. — Von der Vision des Gekreuzigten, der den Heiligen vom Kreuze herab umarmte, finde ich dort jedoch nichts; sie entnehme ich einer der ältesten Quellen zum Leben Bernhards und seines Ordens, dem „Exordium magnum ordinis cisterciensis“. Der Abt eines Nachbarklosters von Clairvaux berichtet da: „Mir ist ein Mönch bekannt, der den seligen Abt Bernhard einmal in der Kirche einsam betend fand. Da er vor dem Altar hingestreckt war, erschien ihm ein Kreuz mit dem Gekreuzigten daran über dem Pflaster dicht bei ihm, das der Selige inbrünstig verehrte und küsste. Darauf schien der Herr die Arme von den Kreuzbalken zu lösen und den Gottesknecht zu umarmen und an sich zu ziehen. Eine Weile blieb der Mönch, während er dies beobachtete, starr vor übergroßem Staunen und konnte sich fast nicht wieder finden. Schließlich aber ging er — in Sorge, dass er seinen verehrungswürdigen Vater kränken möchte, wenn er ihn wie einen Ausspäher seiner Geheimnisse in seiner Nähe erblickte — leise davon — war den Zeitgenossen Legende und Geschichte untrennbare Einheit. Welche Geschichte! Stand nicht in unseren Schulbüchern der Name „Bernhard von Clairvaux“ gleich am Anfang des großen Kapitels über die Kreuzzüge, deren Reihenfolge ich bis heute nicht gelernt habe? — Der 25jährige, aus einem Schloss bei Dijon gebürtige Bernhard machte 1115 mit 12 jungen Standesgenossen, die gleich ihm der Welt den Rücken gewandt hatten, im Auftrage ihres Oberen zu Citeaux, dem berühmten Reformkloster, das wilde „Wermut- Tal“ urbar und gründete sein Kloster, Clairvaux, in das ihm seine zahlreichen leiblichen Brüder, ja sein Vater folgten, und dessen Ruf bald den heiligen Erzbischof Eskil von Lund aus dem fernen Schweden unwiderstehlich anzog.
Bernhards Heiligkeit vermehrte das Ansehen der Zisterziense so gewaltig, daß zum Beispiel allein im Jahre 1147 (also noch zu seinen Lebzeiten, der 1153 starb und bereits 1174 heiliggesprochen wurde) 51 Neugründungen stattfanden. In jenen Jahren wurde im Schwabenlande Maulbronn, die Krone der noch erhaltenen Klosteranlage, ins Leben gerufen. Bebenhausen folgte erst 1190, als sich der Geburtstag des Heiligen zum hundertsten Male jährte, ist aber so zisterziensisch wie nur eines dieser Klöster, deren lieblich in die Landschaft gebettete Lage den besonderen Anteil des Ordens an der Förderung der Bodenkultur bekundet. Der großartige Aufschwung gotischer Baukunst in diesem Orden, in unseren Gegenden glanzvoll verkörpert in den Münstern von Salem und Kaisheim, hat auch Bebenhausen berührt, und von der durch Bernhard gemehrten Marienverehrung — galt er doch noch Dante als der vorbestimmte Fürbitter bei der Himmelskönigin, von der er „Glanz empfing wie von der Sonne der Morgenstern“ — zeugt das kleine Votivfresko mit der Widmung des Dachreiters an die Muttergottes drüben im Chor.
Der ikonographische (Ikonographie=Symbolik, vk.) Typus des legendären Vorganges, wie er uns in dem Bebenhausener Bild und der entsprechenden Szene des Nürnberger Augustineraltars entgegentritt hat sich von jenem Augenzeugenbericht weit entfernt, indem er die Vision in die offene Landschaft verlegt. Schon Konrad Witz stellte so die Kreuzigungsgruppe mit dem knieenden Stifter in die Helle der Bodenseelandschaft. Die Naturwirklichkeit steigert durch Gegensatz den Ausdruck des überirdischen Geschehens; sie dient noch derselben Absicht in Dürers „Apokalypse“. Das Buch — sein Einband ist hier nach der Mode der Zeit als „Buchbeutel“ zur Schonung und bequemeren Tragen zugeschnitten — und der Abtstab als solcher noch besonders durch das weiße „sudarium“ (Schweißtuch) kenntlich, das den Metallstab besser fassen ließ, sind Attribute des hl. Bernhard, zu denen sich auch das lichte Hündlein gesellen lässt. So „genrehaft“ unwesentlich es zunächst anmutet, wird es doch auf die Legende vom Traum der mit Bernhard schwangeren Mutter zu beziehen sein: Ihr schien, sie bringe ein bellendes Hündchen zur Welt, das ihr geistlicher Berater zu ihrer Freude als Verheißung eines auserwählten Gottkünders zu deuten wusste.
Gegenüber dem etwa gleichzeitigen Nürnberger Bild von 1487 ist unser Gemälde um die Figur des Stifters bereichert. Wie winzig erscheint in dem Votivbild mit dem Dachreiter der Mönch, der ihn darbietet, maßstäblich neben der Muttergottes als Sinnbild der inneren Bedeutung! Unser Maler weiß von seinen großen niederländischen Vorgängern, die in ihren Bildern unnahbare Höhe des Heiligen durch ein holdseliges Vertrauensverhältnis zum Gläubigen ersetzen. Nur ein wenig, kaum merklich wahrt er noch den Größenabstand, der noch viel später — auf den Grabsteinen des 17. Jahrhunderts — den deutschen Beter in Demut vom Gegenstände der Verehrung trennt.
Viel Kopfzerbrechen hat mir die geistliche Tracht der Dargestellten in einem Punkte gemacht, sogar Verschiedenes ist hier nicht gewöhnlich. Den normalen Zisterzienserhabit (weißer Talar und schwarzes Skapulier mit Kapuze darüber) haben nur die Figürchen auf dem Wasser im Hintergrund. Der Stifter, der doch gewiss auch ein Zisterzienser war, erscheint da-, gegen in schwarzer Flocke nach Art der Benediktiner. Nun war aber schon unter dem hl. Alberich (f 1109) in Citeaux die Tracht geändert worden, indes blieb offenbar noch um 1500 ein gewisser Spielraum, der sich u. a. in der Unterscheidung von „Zisterziensern“ und „Bernhardinern“ nach der Tracht in den „Handbüchern“ jener Zeit ausdrückt. Geht man etwa von Luthers Beschreibung des „Papsttums mit seinen Gliedern” aus, wo es von den Zisterziensern heißt: „Das hembt ubern rock dragens an, darunter schwartz rock sie han”, so braucht nur die über dem Rock getragene Leinwand wegzubleiben, um sich mit unserem Stifter einverstanden zu erklären.
Dass aber Bernhard selbst — darin auch von dem analogen Nürnberger Bild abweichend — in violettbrauner statt schwarzer Kutte erscheint, will sich trotz eifrigen Suchens in den Quellenwerken der Jahrhunderte nicht trachtengeschichtlich erklären lassen. Es bleibt vielleicht nur ein Ausweg, der des Irrtums: Mir ist ein zweiter Fall bekannt, wo — in einem Werk von Rueland Frueauf d. Ä. (*1430/50 Salzburg – †1507 Passau) in Schleißheim — Bernhard in brauner Kutte dargestellt ist, und ich habe den Verdacht, dass in diesen Darstellungen des 15. Jahrhunderts eine Verwirrung eingetreten ist durch die Bildnisse des Hl. Franziskaners Bernhardin von Siena, der damals die größte Berühmtheit genoss. Graphische Blätter, Holzschnitte, die von beiden Heiligen verbreitet waren mögen ein übriges zu dieser Konfusion beigetragen haben. Aber nichts mehr von gelehrten Spekulationen, wir werden noch eine wichtige Folge dieser Kleiderfrage später kennenlernen.
Mitunter wundere ich mich, dass das Bild keinen Goldgrund hat. Andere Bilder derselben Stilstufe — etwa vom „Hausbuchmeister“ oder Kölner Zeitgenossen — und mit entsprechenden Landschaftsdetails besitzen ihn noch, der der idealistischen deutschen Kunst so besonders teuer gewesen ist; oder sie haben doch die sinnbildliche Wiedergabe des himmlischen, jenseitigen Raumes durch eine Zwischenlösung, die gemusterte Gold- oder Stofftapete, ersetzt, die ganz unbekümmert an die Landschaft angrenzt. Die Gewöhnung an das graphische Blatt mit seinem idealen weißen Grunde erleichterte dem Deutschen solche „Unwahrscheinlichkeiten“. Im Grunde ist bei unserem Bilde sogar die hochgezogene Landschaft selbst vor allem eine gleichmäßig flache Folie, in die sich die unverkürzten Scheiben der Nimben (Heiligenschein) — nach der Bedeutung differenziert — ebenfalls flächig einfügen.
Der vielbeschriene „Realismus“ beschränkt’ sich überall auf Einzelheiten, die besonders da, wo sie ihrer Kleinheit wegen eigentlich nur am Original zu studieren sind, einen hohen Reiz gewähren. In seinem Sinne hat der Meister schon von dem Hündchen profitiert, das die Szene belebt, nicht anders als in vielen Beispielen der Löwe die Einsamkeit des hl. Hieronymus. Wie praktisch war es, dass man das aufgeschlagene Buch, um seine (unkenntlich gewordene) Schrift dem Betrachter besser sichtbar zu machen, gegen Steine anlehnen konnte! Und die steilen Felspartien mit ihren tiefen Schatten, die lichtüberspülten Bäume des Waldrandes mit dem äsenden Rehbock davor, oder gar der Bär, der unter den dichtbehangenen Apfelbäumen die roten, süßen Früchte sucht! Ob damals noch Bären im Schönbuch gejagt wurden, habe ich nicht untersucht, aber von den Äpfeln habe ich schon gekostet, und zumindest die Fischteiche sind ebenfalls noch da.
Man hat viel an der topographischen Ansicht von Kloster und Weiher, die rechts oben ohne logische Verbindung an die Hauptlandschaft angeschnitten ist, herumgerätselt. Die Beobachtungen an den Gebäuden scheinen so liebevoll und sorgfältig vorgetragen, dass man glaubt, so müsse Bebenhausen einmal ausgesehen haben. Es stimmt aber nicht! Auch dieser Teil ist nur aus der geistigen Gesamtsituation zu verstehen: Bei den Niederländern des 15. Jahrhunderts zeigen die Städte im Hintergrund, die Straßenblicke durchs Fenster auch nur eine Teilwirklichkeit, halb Himmelsstadt, halb irdische Heimat. Die Städtephysiognomien in den „Weltchroniken“ und „Topographien“ behalten noch sehr lange ihr unpersönliches, typisches Gesicht. Das wissenschaftlich zuverlässige und konsequente topographische Gemälde bringen erst die Holländer im 17. Jahrhundert. Warum also von unserem schwäbischen Meister mehr verlangen als was recht ist? Er hat sicher Bebenhausen gemeint — das Wahrzeichen des gotischen Dachreiters ist unverkennbar —, aber er hat das Bild der Anlage unbedenklich nach eigener Lust kombiniert. Freuen wir uns ebenso naiv am poetischen Zauber seines Pinsels, mit dem er die Spiegelung des zarttonigen Gemäuers im Wasser und die Fischerei selbst schildert: Ganz sicher wird man damals in Bebenhausen so mit Reuße, Netzgarn und Staakstange zu Werke gegangen sein.
Auf Wappen, Siegeln und Münzen finden wir — wie die sinnbildlichen Wiedergaben der „Stadt“ — auch zahlreiche mittelalterliche Tierdarstellungen. Sind die bronzenen Gießlöwen und ihr großer Vetter in Braunschweig doch solche aus dem Wappen herausgetretene „heraldische“ Tiere, und auch der kleine Löwe im Rankenwerk der Krümme des Abtstabs auf unserem Bilde kann diese Abkunft nicht leugnen. Ebensowenig vermag es der darin herumkletternde „wilde Mann“. Als heraldische Figur so alt wie die Wappenkunst selbst, wurde er aus nordischer Phantasie geboren und in der Gotik in die Freiheit der Bildteppiche und anderer schmückender Künste als ein ungefährlicher Spaßmacher entlassen. Dort bildet er nun einen Teil jener zur Ohnmacht verurteilten dämonischen Unterwelt, die die Heiligen unter die Füße treten, und die es nicht lassen kann, unter den „Misericordien“ der Chorgestühle die Kleriker witzelnd aus dem Konzept zu bringen.
Die Tiersymbolik stimmt schlecht zusammen mit dem, was die heiligen Väter des Ordens in Citeaux darüber gedacht haben, deren Regeln für Gotteshaus und Gerät die äußerste Dürftigkeit empfahlen. Nicht einmal farbige Gläser in den Fenstern waren erlaubt und weder Bildwerke noch Gemälde. So ist also streng genommen die Existenz unseres Bildes überhaupt illegal! Und auch der schmucke steinerne „Dachreiter” über der Vierung, der Stolz Bebenhausens, sieht verdächtig nach Umgehung der Vorschriften gegen die Kirchtürme aus, wenn er auch nicht die Höhe von 200 Fuß erreichte, die der Abt von Salem im 18. Jahrhundert auf sein Gewissen nahm.
Ist nicht im Goldschmiedezierwerk dieser Krümme mit dem charakteristischen Übergang der architektonischen in die organisch-vegetabile Form der ganze Baustil der Zeit enthalten, nicht weniger als im Fialenwerk eines gewölbehohen Sakramentshauses? Das Blattwerk aber kennen wir aus den gestochenen Vorlagen eines Meister „E S“ oder Martin Schongauer, die ja auch Goldschmiede waren und in deren Blättern auch solch ein papageiähnlicher Vogel sein Wesen treibt wie hier.
Der Zusammenhang mit früher deutscher Graphik springt besonders ins Auge bei den zierlichen Darstellungen der Hirsche, wie sie sich bis auf unsere Tage in den Bebenhausener Forsten wohlfühlten; die anmutige Umrissführung erinnert sogleich an die Tiere der „Farben” auf den gestochenen Spielkarten des „Spielkartenmeisters” und ähnliches. Und ebenso vereinigt der Maler, der Veilchen und Türkenbund, Iris und Erdbeeren und manch feines Gräslein außerdem aufgespürt hat, liebevollste Naturbeobachtung und wissenschaftlichen Fleiß mit graphischer Stilisierung aus einem sicheren ornamentalen Gefühl. Noch Goethe schwebte diese Verbindung sachlicher Treue und künstlerischer Gestaltung als eine Forderung an die Blumenmalerei vor.
Mir scheint, ich muss es mir versagen, vor dem schlanken Kruzifixus mit seiner — vom naturalistischen Standpunkt — mangelhaften Anatomie, meinen Gedanken über die Darstellung des Nackten in der mittelalterlichen Kunst und die Proportionen des menschlichen Körpers nachzulaufen. Die Gewandfigur hatte im Norden immer den Vorzug; nur mit ihren Mitteln konnte hier Bernhard diese wunderbar ausdrucksvolle Haltung zwischen Stehen und Knien gewinnen, die funktionsmäßig gar nicht vorstellbar ist. Auch der Verlockung in den weiten Irrgang der Betrachtungen über das Bildnis, die hier passend wären, heißt es tapfer widerstehen! Sicher ist der Stifter als Bildnis im individuellen Sinne gemeint, doch hat er andererseits eine seltsame Ähnlichkeit mit Bernhard (das trotzige Kinn!). Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich auch in diesem ein Zeitgenosse des Malers, etwa der Abt des Klosters, verbirgt; das wäre nichts Ungewöhnliches. Durch beider Aufmerksamkeit auf Christus stellt der Künstler her, was Riegl (Historiker, (* 1858 in Linz; † 17.1905 in Wien) die „innere Einheit“ des Gemäldes genannt hätte. Das Vermögen, seelischen Ausdruck zu gestalten, bedient sich — beim Reflex im braunen Auge des Stifters — der neuen malerischen Mittel, mit denen der Landschafter die Spiegelung im Weiher bewältigt. Dabei fällt mir ein, daß einmal der interessante Versuch gemacht wurde, eine Kunstgeschichte des Auges zu entwerfen.
Eigentümlich deutsch wie die Auffassung des Gegenstandes ist auch seine formale Gestaltung: Figuren und Einzelheiten im Vordergrund bilden eine Reliefschicht von begrenzter Tiefe. Selbst die Landschaft mit ihren kantigen Absätzen und Nestern, in die Steine und Pflanzen gebettet sind, kann man sich in Holz geschnitten vorstellen. Schnitzer wie Veit Stoß haben das gekonnt, und Vereinigung plastischer und gemalter Form im gleichen Rahmen war naheliegend, wie die Flügel des Hochaltars in Blaubeuren bezeugen. Jenseits der Reliefschicht beginnt der Hintergrund; der „Mittelgrund“ fehlt, er wird allenfalls durch die prachtvoll gemalten Fasanen repräsentiert. Statt im Hintereinander der Tiefe werden die Dinge unräumlich übereinandergebaut; der Abtstab hat z. B. räumlich perspektivisch gar keinen Ort. Und das viele Jahrzehnte nach der Entdeckung der wissenschaftlichen Zentralperspektive durch Brunelleschi und seine Nachfolger in Florenz und Van Eycks empirischen Errungenschaften! Dürer hatte vieles nachzuholen. — Und noch einmal — die Linie als Trägerin des Ausdrucks, Künderin eines Ungegenständlich-Emotionalen in den ornamentalen Biegungen des flatternden Schamtuches, der sich krümmenden Buchseite oder der Erdbeerblätter! Die Linie im strengen Sinne, eine künstlerische Abstraktion, die es in der Natur nicht gibt, das Sprachmittel des Schwarz-Weiß-Künstlers, findet schließlich erwünschten Vorwand in der Zeichnung des Fachwerks.
Altdeutsche Bilder wirken mitunter farbig etwas hart, wie bemalte Plastik. Was die Farbe betrifft, kann das „Bernhardswunder“ eine besondere Betrachtung verlangen: Es besitzt eine für ein deutsches Bild des späten 15. Jahrhunderts ungewöhnlich geschlossene Tonigkeit, durch deren Hilfe die Figuren mit der Landschaft zu einer farbigen Einheit verwachsen. Plötzlich wird der künstlerische Sinn der braunen Kutte Bernhards klar! Sie sammelt die warmen Töne der Landschaft, um sie über das matte Rot des Buchbeutels zu dem scharfen des Buches unter dem Arm des Stifters hinaufzusteigern. Eine zweite schwarze Gestalt auf der linken Seite wäre eine koloristische Unmöglichkeit. Wie fein hat dieser Maler ohne Übertreibung die fahle Farbe des Leibes Christi von der wärmeren Hautfarbe Bernhards zu unterscheiden gewußt!
Daneben ist noch ein bedeutender Rest der materiellen Mächtigkeit der symbolischen Farben des Mittelalters in der Anwendung des echten Goldes (statt der Malerfarbe gelb) nicht nur bei den Nimben, sondern auch beim Abtstab geblieben. Was läßt sich nicht an geistesgeschichtlichen Erkenntnissen allein aus der Gestaltung des Nimbus durch die einzelnen Zeitalter und Schulen schöpfen! Die Niederländer haben ihn abgeschafft, die Italiener zu perspektivischen Kunststücken mißbraucht, die Deutschen seine ideale Bedeutung am längsten geachtet. Unser Meister lehnt auch die perspektivische Schrägstellung des Kreuzes ab, im Unterschied zu seinem Nürnberger Malerkollegen; und das ist vielleicht schwäbisch.
Die Kunst der ungleichen kompositionellen Äquivalente, die Jakob Burckhardt seinem Liebling Rubens feinsinnig nachrechnet, war auch dem Maler des Bernhardswunders nicht unbekannt: Die topographische Darstellung mit dem Kloster muss ihm den Nimben auf der linken Seite das Gleichgewicht halten, wodurch zugleich eine unauffällige Verflechtung von Vordergrund und Hintergrund bewirkt wird.
Wir kommen nicht um die Frage nach der kultischen Aufgabe des Bildes herum. Nichts scheint darauf hinzuweisen, dass es ein Teil eines größeren Ganzen, etwa eines Flügelaltars, gewesen ist. Selbständige, aus einer Tafel bestehende Retabel gehören aber der Frühgeschichte des Altarbildes im 13. Jahrhundert oder der simultanen Anschauungsweise des Südens an, die erst im 16. Jahrhundert — etwa mit Dürers Allerheiligenbild — diesseits der Alpen festen Fuß fasste. So bleibt die andere Möglichkeit, dass es sich um ein Votivbild, eine Weihgabe oder ein Epitaph, ein gemaltes Denkmal für einen Verstorbenen handelt (so wird z. B. auch Bernt Notkes „Gregorsmesse“ gedeutet). Die ansprechendste Vermutung wäre auch hier, dass der geistliche Stifter in seinem Testament einen Betrag für ein zu seinem Andenken in die Kirche, in der er durch Jahrzehnte täglich sein Gebet verrichtet, zu stiftendes Bild bestimmt hat, vielleicht mit der Bedingung, dass er selbst zu Füßen des Heilandes knieend dargestellt sein wollte.
Der diesen Wunsch mit seiner Kunst erfüllte, hat ihn gewiss im Leben gekannt, denn er muss nach allem eine genaue Ortskenntnis und vor allem ein Gefühl für die Stimmung dieses Ortes gehabt haben, das nicht im Vorbeigehen erworben wird. Er könnte selbst ein Bebenhausener Mönch gewesen sein, wie ja die Klöster nie aufgehört haben, eine Pflegstätte der Künste zu sein.
Wilhelm Boeck
Text aus der Monatszeitschrift „DAS KUNSWERK“, Doppelheft 3-4 1948
Wilhelm Boeck (* 21. Mai 1908 in Gießen; † 6. Juli 1998 in Tübingen) war ein deutscher Kunsthistoriker.
Von 1926 bis 1931 studierte Boeck Kunstgeschichte und Klassische Archäologie in Gießen, München, Wien und Berlin; dort als Schüler von Edmund Hildebrandt.
Wirken
Besondere Bedeutung wird seiner Auseinandersetzung mit der Kunst Paul Cézannes, Pablo Picassos und dem Werk HAP Grieshabers beigemessen. Seine Hauptfachgebiete waren gotische Plastik, italienische Frührenaissance, deutscher Barock und die Kunst des 20. Jahrhunderts. 1959 veröffentlichte er die erste Monografie des Künstlers Grieshaber. Boeck lehrte seit 1941 als Dozent und ab 1948 als außerplanmäßiger Professur an der Universität Tübingen.
Boeck gehörte nach dem Krieg „zu den ersten deutschen Kunsthistorikern, die sich erfolgreich mit der Kunst Cézannes und dem Werk Pablo Picassos auseinandersetzten“, wurde aber durch den damaligen Tübinger Ordinarius Hubert Schrade (Nazi, vk.) marginalisiert.
EDUARD MÖRIKE
Die Verse schrieb der Dichter 1863. Mörike erwähnte auch, dass er einige Wochen in Bebenhausen im Klostergasthaus bei den Wirtsleuten Kielmeyer untergekommen war.
„Bilder aus Bebenhausen“
Elf Bilder:
1. Kunst und Natur
Heute dein einsames Tal durchstreifend o trautestes Kloster,
Fand ich im Walde zunächst jenen verödeten Grund,
Dem du die mächtigen Quader verdankst und was dir zum Schmucke
Deines gegliederten Turms alles der Meister verliehn.
Ganz ein Gebild des fühlenden Geistes verleugnest du dennoch
Nimmer den Mutterschoß drüben am felsigen Hang.
Spielend ahmst du den schlanken Kristall und die rankende Pflanze
Nach und so manches Getier, das in den Klüften sich birgt.
2. Brunnen-Kapelle am Kreuzgang
Hier einst sah man die Scheiben gemalt, und Fenster an Fenster
Strahlte der dämmernde Raum, welcher ein Brünnlein umschloß,
Daß auf der tauenden Fläche die farbigen Lichter sich wiegten,
Zauberisch, wenn du wie heut, herbstliche Sonne, geglänzt.
Jetzo schattest du nur gleichgültig das steinerne Schmuckwerk
Ab am Boden, und längst füllt sich die Schale nicht mehr.
Aber du zeigst mir tröstlich im Garten ein blühendes Leben,
Das dein wonniger Strahl locket aus Moder und Schutt.
3. Ebendaselbst
Eulenspiegel am Kreuzgang, was? der verrufne Geselle
Als Gurtträger? Und wem hält er sein Spiegelchen vor?
Einem entrüsteten Mönch, der ganz umsonst sich ereifert;
Immer nur lachet der Schalk, weist ihm die Eule und lacht.
4. Kapitelsaal
Wieder und wieder bestaun ich die Pracht der romanischen Halle,
Herrliche Bogen, auf kurzstämmige Säulen gestellt.
Rauh von Korn ist der Stein, doch nahm er willig die Zierde
Auch zu der Großheit auf, welche die Massen beseelt.
Nur ein düsteres Halblicht sendet der Tag durch die schmalen
Fenster herein und streift dort ein vergessenes Grab.
Rudolph dem Stifter, und ihr, Mechthildis, der frommen, vergönnte
Dankbar das Kloster, im Port seiner Geweihten zu ruhn.
5. Sommer-Refektorium
Sommerlich hell empfängt dich ein Saal; man glaubt sich in einem
Dom; doch ein heiterer Geist spricht im Erhabnen dich an.
Ha, wie entzückt aufsteiget das Aug im Flug mit den schlanken
Pfeilern! Der Palme vergleicht fast sich ihr luftiger Bau.
Denn vielstrahlig umher aus dem Büschel verlaufen die Rippen
Oben und knüpfen, geschweift, jenes unendliche Netz,
Dessen Felder phantastisch mit grünenden Ranken der Maler
Leicht ausfüllte; da lebt was nur im Walde sich nährt:
Frei in der Luft ein springender Eber, der Hirsch und das Eichhorn;
Habicht und Kauz und Fasan schaukeln sich auf dem Gezweig.
– Wenn von der Jagd herkommend als Gast hier speiste der Pfalzgraf,
Sah er beim Becher mit Lust über sich sein Paradies.
6. Gang zwischen den Schlafzellen
Hundertfach wechseln die Formen des zierlich gemodelten Estrichs
Auf dem Flur des Dorments, rötlich in Würfeln gebrannt:
Rebengewinde mit grüner Glasur und bläulichen Trauben,
Täubchen dabei, paarweis, rings in die Ecken verteilt;
Auch dein gotisches Blatt, Chelidonium, dessen lebendig
Wucherndes Muster noch heut draußen die Pfeiler begrünt;
Auch, in heraldischer Zeichnung, erscheint vielfältig die Lilie,
Blume der Jungfrau, weiß schimmernd auf rötlichem Grund.
Alles mit Sinn und Geschmack, zur Bewunderung! aber auch alles
Fast in Trümmern, und nur seufzend verließ ich den Ort.
7. Stimme aus dem Glockenturm
Ich von den Schwestern allein bin gut katholisch geblieben;
Dies bezeugt euch mein Ton, hoff ich, mein goldener, noch.
Zwar ich klinge so mit, weil ich muß, sooft man uns läutet,
Aber ich denke mein Teil, wißt es, im stillen dabei.
8. Am Kirnberg
Hinter dem Bandhaus1 lang hin dehnt sich die Wiese nach Mittag,
Längs dem hügligen Saum dieser bewaldeten Höhn,
Bis querüber ein mächtiger Damm sich wirft wie mit grünem
Sammet gedeckt: ehdem faßte das Becken den See,
Welcher die Schwelle noch netzte des Pförtleins dort in der Mauer,
Wo am eisernen Ring spielte der wartende Kahn.
Sah ich doch jüngst in der Kirche das Heiligenbild mit dem Kloster
Hinten im Grund: tiefblau spiegelt der Weiher es ab.
Und auf dem Schifflein fahren in Ruh zwei Zisterzienser,
Weiß die Gewänder und schwarz, Angel und Reuse zur Hand.
Als wie ein Schattenspiel, so hell von Farben, so kindlich
Lachte die Landschaft mich gleich und die Gruppe mich an.
9. Aus dem Leben
Mädchen am Waschtrog, du blondhaariges, zeige die Arme
Nicht und die Schultern so bloß unter dem Fenster des Abts!
Der zwar sieht dich zum Glück nicht mehr, doch dem artigen Forstmann
Dort bei den Akten bereits störst du sein stilles Konzept.
10. Nachmittags
Drei Uhr schlägt es im Kloster. Wie klar durch die schwülige Stille
Gleitet herüber zum Waldrande mit Beben der Schall,
Wo er lieblich zerfließt, in der Biene Gesumm sich mischend,
Das mich Ruhenden hier unter den Tannen umgibt.
11. Verzicht
Bleistift nahmen wir mit und Zeichenpapier und das Reißbrett;
Aber wie schön ist der Tag! und wir verdürben ihn so?
Beinah dächt ich, wir ließen es gar, wir schaun und genießen!
Wenig verliert ihr, und nichts wahrlich verlieret die Kunst.
Hätt ich auch endlich mein Blatt vom Gasthaus an und der Kirche
Bis zur Mühle herab fertiggekritzelt – was ist’s?
Hinter den licht durchbrochenen Turm, wer malt mir dies süße,
Schimmernde Blau, und wer rundum das warme Gebirg?
– Nein! Wo ich künftig auch sei, fürwahr mit geschlossenen Augen
Seh ich dies Ganze vor mir, wie es kein Bildchen uns gibt.