Vincents Tagebuch

Riecht wie Frauensattel nach scharfem Ritt!

von | 17. März 2025 | Tagebuch

Präsident Trump wird die Demokratie nicht abschaffen, sein Ziel ist aber den Staat zu einer Firma umzubauen. Eine Firma muss Gewinn machen. Die Menschen, die dafür sorgen und darin leben müssen, sind nachrangig. Vereinfacht gesagt, es geht um Geld und nicht um Menschen. Soziales, Gefühle und Zufriedenheit sind allerdings schwer messbar. Messbar ist im hohen Maße alles, was mit Zahlen zu tun hat.
So kam auch das Punktesystem in die Welt der Weine und auch das Essen ist davon betroffen. Wie kann man hinausposaunen: “das beste Soufflee der Welt, oder die “besten Maultaschen sind die meiner Oma”? Solches und ähnliche Behauptungen findet man täglich im Internet. Subjektiv mag man so fühlen, objektiv ist es Schwachsinn.
Lesen Sie nun Arno Luiks denkwürdiges Interview mit Hugh Johnson. Für mich ist Hugh Johnson, nach wie vor, der Gigant des Weinwissens, und auch eine Stimme der Vernunft.

„Lenin und Wein! Was es alles gibt!“
Dieser englische Gentleman ist Millionär geworden, weil er gerne trinkt.
Dabei macht sich Hugh Johnson nicht einmal Sorgen um seine Leber.
Ein Interview von Arno Luik vom 17.10.1999 und noch immer topaktuell.

Er ist der erfolgreichste Weinautor der Welt. Allein „Der kleine Johnson”, seit Jahrzehnten Standardwerk der Weindegustation, wird jährlich mehr als 400.000 Mal verkauft und in 13 Sprachen übersetzt. Der heute 86-jährige Hugh Johnson lebt auf einem 300 Jahre alten Landsitz bei London und in Südfrankreich.

Guten Morgen Herr Johnson, haben Sie heute schon einen Schluck Wein getrunken?

Nein, leider nein, aber wenn Sie eine Flasche dabei haben – ich bin bereit, wir können sie sofort öffnen. Manche haben ja so Regeln und trinken nicht vor 12 Uhr mittags, ich bin da nicht so streng.

Als Helmut Schmidt Kanzler war, wollte er den Deutschen einen fernsehfreien Tag verordnen. Gab es für Sie in den letzten Jahrzehnten einen Tag ohne Wein?

Was für eine Frag!  O Gott! Also, das mit dem Fernsehen, kein Problem. Aber warum soll ich auf Wein verzichten? Es bringt doch nichts.

Sie sind vom Wein besessen.

Nein, ich bin einfach neugierig: Ich sitze jetzt hier um 10 Uhr früh und freue mich schon, dass ich heute Nachmittag ein paar Weine probiere. Der Wein ist ein Teil meines Lebens. Der Wein ist mein Freund.

Er hat Sie zum Millionär gemacht.

Ja, das ist doch schön. Ich staune immer noch, obwohl ich mich längst daran gewöhnt habe. Ich habe das Frauen zu verdanken, hübschen, kreativen Geschöpfe, sie waren die schönsten der Welt. Es war in den frühen 60er, bei „Vogue”, eine fremde Welt für mich, und alle wussten, was sie zu tun hatten, nur ich nicht. Da sagte eine Kollegin zu mir: Schreib über Wein. Und das habe ich getan. Ein paar Jahre später habe ich ein Buch herausgegeben…

… mit dem schlichten Titel Wine“…

… ja, und es wurde ein Bestseller. Ich war platt, hatte damit nicht gerechnet.

Und nun sind Sie auf der ganzen Welt bekannt. Sie sind der Weinguru, der Große Johnson.

Ach was.

 Okay, dann nenne ich Sie halt, wie eines Ihrer erfolgreichsten Bücher heißt: „Der kleine Johnson!“

Sie sind lustig! Ich weiß, dass ich eine Institution bin. Aber ich empfinde da nichts für mich, da drinnen, hat sich nichts verändert. Ich wache morgens nicht auf und sage zu mir. „Guten Morgen, Herr Johnson!”, und bin dann mächtig stolz auf mich.

Aber Sie sind doch auch nicht traurig, dass Ihr Gaumen einer der berühmtesten der Welt ist.

Puhh, gut, es gefällt mir schon, dass ich so betrachtet werde, einerseits. Aber diese Berühmtheit hat für mich fast nur Nachteile. Es ist für mich ungeheuer schwer, zu einer Weinausstellung zu gehen. Da rufen alle nach mir: „Hugh! Hugh! Mr. Johnson!” Sie grabschen nach mir, sie wollen, dass ich an ihrem Stand stehen bleibe und ihren Wein probiere. Nicht nur einen Wein, sondern alle Weine. „Probieren Sie diese Auslese!“ „Diese Spätlese!“ Aber das geht nicht. Und dann sind die Leute schwer beleidigt, wenn ich weitergehe. Eigentlich müsste ich mit Sonnenbrille auftreten, mit einem langen Bart.

 Sie Armer.

Nein, im bin ein Glückspilz. Mein Hobby, Weintrinken, ist mein Beruf, und es ist für mich nicht Arbeit, auch wenn es manchmal lästig ist: Wenn ich ins Burgund gehe oder an die Mosel fahre, muss ich das heimlich machen, inkognito. Ich reise nur kurz an, bin sofort wieder weg. Aber es spricht sich rasch rum, dass ich in der Gegend bin, und die Winzer wollen mir dann alle ihre Weine vorführen. Ein fürchterliches Dilemma. Ich kann doch nicht alle Weine probieren.

Sie haben Angst, dass Ihre Leber aufjault?

Nein, überhaupt nicht, ich bin ja kein Säufer. Gut ich probiere so um die 100 Weine wöchentlich, mal weniger, oft mehr, aber mehr als 5.000 im Jahr.

Robert Parker, der amerikanische Weinkritiker und Ihr Konkurrent…

Er ist nicht mein Konkurrent Wir haben eine völlig andere Philosophie des Weintrinkens…

… lässt aus Angst um seine Gesundheit dreimal im Jahr seine Leber checken.

Wirklich? Mein Gott, er nimmt das Leben so ernst.

Und abends gurgelt er mit Salzwasser, um seine Geschmacksknospen in Form zu halten.

Echt? Er nimmt das Leben ja noch ernster als ich es für möglich hielt. Ich trinke abends einen Schluck Champagner.

Erinnern Sie sich noch on den Schluck, der Sie verführte, sich dem Wein hinzugeben?

Nein. Es war auch nicht ein einziger Wein, der mich in Bann schlug Es gab da kein spektakuläres Schlüsselerlebnis. Es war eine Folge von Genüssen, eine Welt, die sich mir nach und nach eröffnete. Am Anfang war ich ein Stümper. Ich schrieb – da ging es mir wie den meisten Journalisten – meine ersten Artikel, ohne Ahnung zu haben. Ich interviewte ein paar Weingrößen, das machte Lust. „Learning by drinking“. Und dann, das war mein großes Glück, traf ich André Simon, der…

…legendäre Gründer der Wine and Food Society.

 Er wurde mein Lehrer. Ich war 21, er war 81, eine charismatische Figur. Er zeigte mir die Schönheit des Weines und…

… trainierte Ihren Gaumen, Ihre Zunge, und wie man ein Weinglas korrekt zu halten hat?

Ach was. Er brachte mir die Liebe zum Wein bei, Respekt, dass er ein Stück Kultur ist. Aber in den 60ern machten wir nicht so viel Lärm um den Wein, wir mochten ihn einfach. Unsere Sprache war sehr prosaisch, wir sagten nicht: Der Wein schmeckt nach Himbeeren, riecht nach Birnen, Aprikosen. Wir redeten nur über seine abstrakten Qualitäten: Dieser Wein hat Kraft. Lebendigkeit, er hat Balance, er ist harmonisch. Auf große Worte legten wir keinen Wert.

 Heute sagen Fachleute, wenn Sie einen Wein loben, schon mal: Er kommt daher wie Madonna.

Ja. Aber wirkt dieses Bild, und was sagt es? Also ich möchte Madonna nicht mal in der Sauna begegnen.

Andere loben Wein als „vollbusig“.

Ja, ja. Das ist in Ordnung. Die Schreiber versuchen verzweifelt, ihren Genuss in Worte zu fassen. Ein englischer Kollege hat einem Wein, von dem er total begeistert war, mit einem Formel-1-Rennen verglichen. Aber: Greift ein Ökofreund zu so einem Tropfen?

Vielleicht könnte er ja mit diesem Begriff etwas anfangen: riecht wie „nasser Fuchs”.

Ich habe das schon ein paarmal gehört nur. Wie viele Menschen wissen denn schon, wie ein nasser Fuchs riecht? Ich würde diesen Wein nicht trinken.

Aber einen, der, wie es in einem Feinschmeckermagazin hieß, so ähnlich wie ein „Frauensattel noch scharfem Ritt“ schmeckt?

Klar, sweaty saddle, schweißelnder Sattel das ist ein alter australischer Ausdruck und heißt einfach: salzig. Es sind also Mineralstoffe im Wein, was nichts Ungewöhnliches ist, denn Salz ist oft im Boden von Weinbergen. Es ist schwierig gute Bilder zu finden die den Geschmack von Wein umfassend treffen.

Deshalb kommt der Amerikaner Robert Parker und sagt: Dieser Wein bekommt 88 Punkte.

Robert Parker richtet großen Schaden an Er schädigt die Weinkultur. Sein 100-Punkte-System ist Zahlenkult. Pseudowissenschaftlich. Können Sie mir erklären, wie man einen Geschmack zwischen 87 und 88 Punkten unterscheiden soll? Das ist Haarspalterei, Unfug. Wein ist zu wundervoll, sein Geschmack zu subtil, um in so ein kaltes System gepresst zu werden.

Aber wenn Parker einem Wein 98 Punkte gibt, dann…

… explodiert der Preis. Dann ist es nur noch ein Wein für Millionäre.

Sie mögen Herrn Parker nicht.

Er mag sehr nett sein Ich würde mich gerne mal mit ihm direkt streiten Er hat sehr viel Macht. Amerikaner mögen Zahlen, klare Anweisungen Da ist die Sehnsucht nach autoritärer Führung, dass einer einem sagt: Dies ist gut! Trink dies! Aber das ist nicht meine Welt. Parker liebt fette, kräftige Weine, er spricht oft von „fruchtig-schleimigen Weinen“. Und weil er diese Weine mag, ihnen viele Punkte gibt verändern manche Winzer den Charakter ihres Weines. Das ist schlimm. Von einem Parker-Wein…

… Kritiker sprechen von den „Parker-Bomben”…

… können Sie nicht viel trinken. Der erste Schluck bläst Ihnen den Kopf weg, soviel Power haben diese Weine. Sie liegen lange in Eichenfässern, und deren Geschmack erschlagt alles Feine. Parkerweine stellen keine Fragezeichen beim Trinken. Sie machen ein Statement, sie sind ein Ausrufezeichen: „Hier bin ich!“ Diese Weine verführen nicht, sie betäuben. Das sind Schläge wie von Mike Tyson, ohne jede Eleganz.

Der Weinfreund Parker zerstört die Weinkultur?

Er hat Macht, aber Gott sei Dank reicht diese Macht nicht, um die Weinkultur zu zerstören. Gott sei Dank gibt es noch Winzer, die wissen, was Wein ist und die ihrem eigenen Geschmack vertrauen – und nicht standardisierte Parker-Normen erfüllen. Sie wollen nicht, dass ihre Weine bloß noch nach Eiche schmecken, aber keine klare Struktur mehr haben. Wenn Parker im Frühjahr ins Bordeaux kommt, zittern die Winzer. Sein Urteil bedeutet Geld, auch wenn sein Vorgehen fragwürdig ist: Wie will er denn Wein, der noch nicht fertig ist, exakt nach Punkten bewerten? Niemand kann bei einem 400-Meter-Lauf nach zehn Metern sagen, wer das Rennen gewinnt.

Sie werden ja richtig heftig.

Ja, ich verachte auch die Frage: „Was ist der beste Wein?“ Da wird das Weintesten zum Pferderennen. Ich mag diese Vergleicherei nicht und das ist ja das Fürchterliche an diesem Parker-Zeugs, dass man nur noch wissen will: „Was ist der bessere Wein?“ Wenn Sie so fragen, haben Sie von Wein nichts verstanden. Wenn Sie immer nach dem Besten fragen – das ist die amerikanische Art. Ich will das Beste – und ich will es sofort!

 Was ist denn daran falsch?

Es gibt nicht den besten Wein. Ich suche auch nicht nach dem besten Wein. Wer das tut, hat keine Ahnung von Wein. Wichtig ist doch nur. ob der Wein einem gefällt. Ich war zu einem Fest bei Hardy Rodenstock…

… dem Sammler großer Weinraritäten …

… eingeladen. Sein Keller ist von einem anderen Stern. Und er teilt seine Weine manchmal mit Freunden. Seine Partys sind oft Orgien. Exzesse. Ich will ihn nicht kritisieren. Aber an diesem Abend öffneten wir vier Jahrgänge von Chateau d’Yquem, alle älter als 1850. Sie waren alle sensationell, wunderbar. Ein Schatz. Aber mich störte, wie die Gäste sofort loslegten und sagten: Der 1847er war der beste. Sobald das gesagt war spielten die anderen Weine keine Rolle mehr. Das war respektlos. Eine Verschwendung.

Dann sagen Sie es mir: Was ist der Sinn vom Wein? 

Der Wein ist immer anders. Der Wein muss nach dem Boden schmecken. Ein 93er muss anders sein als ein 94er. Er muss nach dem Wetter schmecken, dem Regen, der Sonne, dem Duft des Frühlings, nach Blumen. Blättern, Blüten. Nach Natur. Wenn ich einen 92er öffne, akzeptiere ich, dass der Wein Ausdruck einer verregneten Ernte ist. Diese Unterschiede will ich verstehen und erfahren. Die neue Generation der Weintrinker aus der Neuen Welt hat keine gewachsene Weinkultur. Sie lieben, von Parker angeleitet, fette Weine. Pommes statt Gratin. Eine McDonaldisierung.

Schlechte Kultur, wusste Lenin, setzt sich immer durch. 

 Lenin und Wein! Was es alles gibt! Es kann schon sein, dass sich schlechte Qualität durchsetzt. Dennoch bin ich optimistisch. Sie können die Geschmacksknospen nicht für immer betrügen! Das Gute ist doch: Von diesen Parker-Bomben können Sie nicht viel trinken – und darum geht es doch letztendlich: Wie trinkbar ist ein Wein? Und irgendwann kommen Sie an einen wirklich feinen Wein und merken: Ohl Dieser Wein ist kein Ausrufezeichen, der stellt Fragen. Und Sie krie­gen Lust diese Fragen zu beantworten.

Eine dieser Fragen ist: Gibt es die perfekte Kombination von Wein und Essen?

Ach, ich finde es übertrieben, andauernd zu spekulieren, welcher Tropfen optimal zu welchem Essen passen könnte. Probieren Sie doch einfach Dinge aus.

Moment mal, im „Kleinen Johnson” geben Sie seitenweise Befehle. Zum Aal soll …

Ach, das sind doch nur Anregungen, ich will die Leute nur stimulieren, es passt ja unendlich viel.

Ich habe mal Experten befragt, was man zu Ziegenkäse trinken soll. „Von aromatisch-würzigen Weiß- und samtig-reifen Rotweinen” sei er zu begleiten, meinte der Weinautor Reinhold Paukner.

Könnte funktionieren.

Ach was, meinte hingegen Guy Bonnejoit, ein anderer Hoher Priester des Geschmacks. Zu Ziegenkäse passe „halbtrockener Müller-Thurgau“. Der riecht doch „nach Katzenpiss“, urteilte der Winzer Franz Keller und riet „zu einem Gewürztraminer aus dem Elsass“. 

 Ja? Und ich sage Ihnen: Probieren Sie mal einen Sancerre, das ist eine gute, natürliche Kombination. Passt wie Erdbeere zu Eis mit Sahne.

Vor ein paar Jahren sahen Sie das anders: Da haben Sie einen trockenen, herben Weißwein vorgeschlagen.

Des macht doch nichts, vielleicht schlage ich das in ein paar Jahren wieder vor. Ich bin nicht doktrinär. Geschmack ist Abenteuer. Eine Herausforderung

Auch die Glasauswahl ist eine Herausforderung Glaube ich dem Österreicher Riedel, dann muss ich …

… tief in die Tasche greifen. Riedel ist sehr lustig, er ist ein großartiger Verkäufer. Wie reich er ist! Er ist ein Fabrikant, und er hat es geschafft, dass man anscheinend verschiedene Gläser für Chianti, Brunello, Montepulciano braucht, Gläser für Riesling, Silvaner …

Dann verraten Sie: Wie viele Weingläser braucht man? 

Wenn Sie nicht verrückt sind, kommen Sie mit vier Gläsertypen aus, nein, drei reichen. Ein Champagnerglas, lang, groß – wegen der Ästhetik. Und dann brauchen Sie noch ein Glas, das wie ein Ei geformt ist, für Rot- oder Weißwein. Normalerweise benutzen wir für Weißweine kleinere Glaser, weil wir länger am Bukett des Rotweins schnüffeln wollen. Dann brauchen Sie noch ein kleines Glas für Portwein, Tokajer oder Sherry, also für die sehr intensiven Weine. Ich persönlich komme im Alltag mit einem Glas aus. Es ist klein, ich liebe Gläser, die nicht viel höher sind als meine Hand. Die sind praktisch, sie fallen nicht um – und passen außerdem noch gut in die Geschirrspülmaschine.

 Große Rotweine, so heißt es, muss man aus großen, bauchigen Kelchen trinken.

Muss man das? Wird der Wein besser? Nein. Und außerdem löschen diese großen Gläser Ihren Geruchsinn in einer Wolke von Bukett aus, und das ist schade. Man soll kein so großes Ballyhoo um Wein machen.

Dann sind Sie wohl auch gegen das Dekantieren.

Im Gegenteil, ich dekantiere jeden Wein, vor allem Weißweine. Zu Hause habe ich einen kleinen Krug und da kommt jeder Wein rein. Das bringt Leben in den Wein. Ich habe das von einem alten Deutschen gelernt. Er liebte alte Weine, und er hat mit mir vor ein paar Jahren einen 1921er Hochheimer Auslese getrunken. Den Wein hat er dekantiert, dann von fast einem halben Meter ins Glas gegossen. Ich war geschockt, aber er hat nur gelächelt und meinte: „Der hat 50 Jahre in der Flasche geschlafen, wir müssen ihn aufwecken!“ Und er hatte Recht: Der Effekt war wahnsinnig, seitdem dekantiere ich alle Weine

Das große Problem für jeden Weinliebhaber, sagt Hardy Rodenstock, sei, dass er im Keller mehr Weine habe als er trinken könne. Das sei nur gut für die Erben.

Mir macht das nichts. In meinem Keller sind vielleicht 5000 Flaschen. Wenn ich mich ranhalte, könnte ich … egal. Manchmal bin ich im Keller, streichle die Flaschen, drehe sie um und weiß: Andere werden sie genießen. Wunderbar. Ich pflanze auch noch Bäume, obwohl ich genau weiß, dass sie erst prächtig dastehen werden, wenn ich schon längst verfault bin.

Sie haben unlängst eine Kurzgeschichte geschrieben, und da sind so merkwürdige deutsche Ortschaften aufgetaucht mit Namen wie Gracht, Zeltingen, Wiltingen, Ayn, Ockfen und Eitelsbach.

Das sind Orte an der Mosel. Ich habe immer Moselwein geliebt, doch dumme deutsche Politiker haben mit dem Weingesetz von 1971, eine großartige deutsche Kulturleistung beinahe völlig zerstört: den Weißwein. Deutsche Rieslinge – das waren die besten Weine der Welt, so war das noch in den frühen 60ern. Gracht, Ockfen …

Ihnen gefallen diese Worte.

Meine Großeltern waren Deutsche. Meine Mutter sprach Deutsch, bevor sie Englisch konnte, mein Vater hat in Heidelberg studiert. Aber ich habe nie Deutsch gesprochen, das war als Kind im Krieg in England unmöglich. Ich hätte dafür Schläge bekommen. Aber kommen Sie, jetzt gehen wir in eine Weinstube und probieren ein paar offene Weine. Diese Kultur liebe ich – die gibt es nicht in Frankreich, nicht in Spanien, nicht in Italien. Dort muss man immer ganze Flaschen bestellen. Aber jetzt kommen Sie. Der Wein wartet!

„Amerikaner haben Sehnsucht nach
autoritärer Führung:
Dies ist gut! Trink dies! Aber das ist nicht meine Welt.” Sagt Hugh Johnson
„Manchmal streichle ich meine Flaschen und weiß: Andere werden
sie trinken, wenn ich längst verfault bin. Wunderbar.”

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Editorische Notiz:
Seit 40 Jahren werfen sich Arno Luik und Vincent den Titel “Bauernseggl” an den Kopf. Arno wurde mit gutem Grund der “führende Interviewer” Deutschlands genannt. In Wikipedia steht: Er war Reporter für Tempo und die Wochenpost, Autor für Geo und den Tagesspiegel. 1995/96 war er Chefredakteur der taz, danach Vize der Abendzeitung, seit 2000 Autor der Zeitschrift Stern. Er gilt als nahezu Einziger, der beim Bahnhofsverbrechen von “Stuttgart 21” wirklich durchblickt.

Der dicke Vincent, gemalt von Nikolaus Heidelbach