Briefe an Laura

Was ist Charakter

11. Juni 2025 | Briefe an Laura

Liebe Laura, 
mein Opa war Lehrer für Philosophie und Latein am Parlergymnasium in Schwäbisch Gmünd. Heute will ich Dir einen Vorbereitungszettel näher bringen, den er sich vor dem Unterricht zurechtgelegt hatte. Achte auf den Schluss seines Schreibens und bedenke, man schreib das Jahr 1939. Die letzten Sätze hätten auch

 

KZ nach sich ziehen können:

Im Konversationslexikon kann man lesen, dass das Wort „Charakter“ vom Griechischen kommt und bedeutet „eingeschriebenes Zeichen“. Das heißt, Denken und Handeln von Haus aus oder angelerntem Gepräge.

Man versteht also darunter die Grundsätze, die man für richtig und gut hält. Man muss diese Grundsätze immer wieder prüfen, denn es könnte sein, dass alle diese Grundsätze nicht fürs ganze Leben die gleichen bleiben; durch Alter und Erfahrung kann man seine Grundsätze modifizieren, aber damit dürfen Nutzen und Profit nicht entscheidend sein; man darf also seine Grundsätze nicht wie die Fahne nach dem Wind wechseln. Der also ist nicht der Richtige, der sagt, „was geht mich mein saudummes Geschwätz von Gestern an“. So eine Windfahne ist charakterlos, man kann ihm nicht trauen.

Die Grundsätze, also die unserem Denken zu Grunde liegen, müssen vernünftigem, logischen, folgerichtigen Gesetzen von Ursache und Wirkung entsprechen, und unser Handeln muss mit den Gesetzen der Sittlichkeit über einstimmen. Denken und Handeln darf nicht voller Widersprüchlichkeiten sein. Unser Handeln muss dem Satz entsprechen. „Was du nicht willst, dass man dir tut, das füge keinem anderen zu.“

Darin sind alle Gebote schon enthalten. Du willst nicht an Leib und Leben und Gut und Habe geschädigt sein. Also daraus folgt auch für die anderen, was auch für dich bindend ist. Daraus folgt auch, dass es keine doppelte Moral gibt; was also zum Beispiel für den sittlichen Menschen im persönlichen gilt, muss auch für die Partei oder den Staat gelten. Es war zum Beispiel die grundfalsche Moral, der Nazisten, die sagen, was uns nützt ist gut, was Einzelnen oder dem Anderen schadet, darf unserem Staat erlaubt sein.