Vincents Tagebuch

Wie viel Qual braucht es für Spitzengastronomie?

von | 26. Oktober 2024 | Tagebuch

In der Oberliga ist es überall so: außergewöhnliche Ergebnisse verlangen immer außergewöhnliche Leistung und Arbeitseinsatz. In den Anfängen meines Berufs war er mir meist eine Qual. Es war sicherlich die gleiche Qual, die ein Schauspieler hat, der in seiner ersten Rolle gleich einen 30 Seiten-Dialog von Thomas Bernhard spielen muss, oder aus dem Stand den ganzen Hamlet spielen (Kniefall vor Bernhard Minetti). Es kann nie gelingen. Beim Kochen ist es ähnlich. Hat man als Koch zehn Jahre Praxis empfiehlt es sich, die ersten fünf Jahre zu vergessen.
Im Restaurant Humplmayr in München, damals, die ganz große Welt der Old- School-Kocherei, war ich täglich vor Angst am zittern. An manchen Tagen wurden bis zu 60 Hummer serviert, und ich hatte vorher so etwas noch nie in der Hand gehabt. Ich haspelte mich recht und schlecht durch den Arbeitstag. Mein Küchenchef sagte mir zwei bedeutende Sätze. Der eine lautete: “Klink, du bist ein Arschloch, aber du lernst schnell.” Der andere hammerharte Satz traf voll in Schwarze. Er lautete: “Nervosität ist Nichtkönnen.” Am Anfang ist man in fast jedem Beruf überfordert. Schafft man es aus diesen Niederungen nicht herauszukommen ist es besser man schult um. Diese Umstände sind auch für die hohe Fluktuation in meinem Beruf ursächlich. Viele halten sich nach Ende der Lehrzeit für gut ausgebildet. Ehrlich gesagt, ich bin jetzt über 50 Jahre lang Koch und weiß vieles über den Beruf, und mehr noch, dass ich nicht genug weiß und immer noch am Lernen bin. Es ist schön und bereichernd, wenn man auf einem Fachgebiet auch nach vielen Jahren noch kein Ende sieht, das verhilft zu Demut und ist eine gute Medizin gegen Größenwahn.