Burg Magerbein
Liebe Laura, ich will Dir von einem Ausflug berichten, der am Rosenmontag stattfand.
Hans Fröhlich, der ehemalige Feuilletonchef der Stuttgarter Nachrichten ist schon lange tot. Er ist aber nicht vergessen. Mit meiner Frau saßen wir mit ihm stundenlang zusammen, und es wurde nie langweilig. Er sprach ein ungewöhnliches Hochdeutsch, eben Schwäbisch mit oberschwäbischer Einfärbung. Er stammte aus dem Ort Dinkelscherben, ungefähr auf halber Strecke zwischen Günzburg und Augsburg. Hans Fröhlich war ein grandioser Erzähler, auch über seine Kindheit in einem Dorf namens Burg Magerbein. Nach einem opulenten Menü erzählte er über Magerbein und allein schon wegen des skurrilen Ortsnamens hielten wir uns die Bäuche.
Sodele! Es ist Sonntagmorgen. Die Sonne schiebt sich hinter dem Fernsehturm durch indigoblauen Nebel in den Himmel der immer sonniger wird. Spontan entschließe ich mich, den Schreibtisch zu verlassen und endlich mal wieder ins Freie zu stürmen. So kam mir die wilde Idee, nach Burg Magerbein zu fahren. Mit meiner Frau war ich vor vielen Jahren bereits schon einmal dort. Als wir noch in Schwäbisch Gmünd lebten, richteten sich unsere Sonntags Ausflüge sehr häufig ins Östliche, nach Aalen, Trochtelfingen, am Berg Ipf vorbei, Bopfingen, bei Pflaumloch passierten wir die bayerische Grenze in Richtung Nördlingen.
Diese alte Stadt glänzte im Mittelalter geradezu als Weltstadt. Straßburg, Ulm, Augsburg, Nördlingen, Nürnberg, das waren die Handelsstädte. Sie waren reich und pflegten die Kultur, die über die Handelswege aus dem Süden zu uns gelangte. Nördlingen ist unbedingt einen Tagesausflug, und insbesondere für Radler sogar einen ganzen Urlaub wert. Die komplett erhaltene Mittelalterstadt liegt inmitten des Ries. Das Ries ist ein ebenerdiges Kreisrund von zwanzig Kilometern Durchmesser. Am Rand wölbt es sich hundert Meter hoch und die Landschaft erinnert an ein Apfelkuchenblech. Der Kraterrand wurde nicht von einem Vulkan geformt sondern von einem Meteoriteneinschlag heimgesucht, in dieser Art ist er weltweit einmalig.
Ein Meteorit stürzte vor Millionen Jahren auf die Erde zu, vom Riesenbrocken brach ein Stück ab und krachte bei Steinheim in die Erde. So entstand das Steinheimer Becken, in der Nähe von Heidenheim an der Brenz. Der größere Teil des Meteoriten knallte auf die Gegend in der heute die mittelalterliche Stadt Nördlingen zu finden ist. Bei dieser Katastrophe wurden ungefähr 150 km³. Ich wiederhole 150 Quadratkilometer Gestein ausgeworfen, deren Trümmer ungefähr 450 km weit geschleudert wurden. Man fand Gestein aus dem Ries sogar in der Nähe von Prag. Bei diesem Aufschlag entstand der Schwabenstein, der Suevit. Das Wort kommt von Sueben, also Schwaben. Es ist eine Mischung von zermahlenem Grundgestein und zu Glas erstarrten Mineralen. Der Suevit zu Mehl zerrieben, wird normalem Zement beigefügt, und ist dadurch wasserfest.
Wäre ich Geologe könnte ich jetzt noch stundenlang weiterdozieren, aber wir wollen ja nach Magerbein und fahren südlich von Nördlingen den Kraterrand hoch, sind dann letztlich ganz oben. Ich stelle fest, dieses Magerbein ist schön, alte Bausubstanz hat es kaum und eine Burg schon gar nicht. Der Adelsherr “Ott Büffel von Magerbein“ erbaute sie Burg 1366, schwächelte frühzeitig und nach seinem Tod wurde die Burg verkauft. Von dem Anwesen ist heute nichts mehr übrig. Das Angebot für Jugend oder solche die ähnliche Unterhaltung suchen ist in Burg Magerbein gleich null. Ansonsten tippe ich auf sehr brave Einwohner. Alles ist ordentlich, die Gehsteige gefegt und geradezu peinlich schwäbisch. Wohl gemerkt. Wir sind in bayerisch Schwaben nicht im Spätzle-Schwaben.
Ich steuere meinen VW-Bus wieder zurück in Richtung Nördlingen. In Kurven windet sich die Straße hinunter in die Senke des Ries. Ein paar Kilometer bergab bin ich in Mönchsdeggingen was mich aus der aufkeimenden Lethargie reißt. Das Kloster kommt in Sicht und weiter unten am Straßenrand erstreckt sich eine Restaurierungswerkstatt mit einem völlig erodieren uralten Bus einem ausgeschlachteten Opel Kadett mit Flammen an den Kotflügeln. Im trüben Schaufenster sehe ich, staune ich mit begeisterten Augen auf ein Indian-Motorrad, der Motor ist noch nicht eingebaut, das Teil ist eine absolute Schönheit.
- Hier sind noch echte Kerle am Werk.
Richtig schön ist auch der Park im nächsten Ort, in Hohenaltheim. Ich kann nur am Zaun über den Park zur Schlossanlage Hohenaltheim hinwegstaunen. Die Gebäude sind in zartem Barockgelb und alle sind prima in Schuss. Die Platanen, korrekt geschnitten, stehen alle in Reih und Glied. Fürst Moritz zu Oettingen Wallerstein hat sein Juwel gut in Schuss. Ich denke er leidet nicht an Vereinsamung und kann so, aus gutem Grund, ganz ohne neugierige Touristen gut leben. Touristen, so wie ich, muss es genügen über den Zaun zu glotzen. Das ist eigentlich nichts besonderes, aber mir selbst ist es doch ein bisschen voyeuristischen und so suche ich umgehend das Weite.
Die Uhr bewegt sich auf Mittag zu und ich fahre über Landstraßen in Richtung Nördlingen, so zeigen es mir die Hinweisschilder. Manchen mag es auch so ergehen, die Gewohnheit des Navigationsgeräts im Auto ist so ausgeprägt, dass ohne diese Krücke unweigerlich eine Irrfahrt droht. Egal wie immer, ich bin offensichtlich irgendwann einmal falsch abgebogen und nähere mich nicht Nördlingen sondern gerade umgekehrt. Recht bleibt mein Blick an einem Ortsschild hängen, dass ich mir merken kann. Schmähingen, denke ich mir, hat sicher einen guten Schmäh. Ein Schmunzeln zeichnet sich mir um die Nase. Dann aber, „Achtung“, ich erblicke den mächtigen Turm einer Burg. Er ragt aus einem felsenbesiedeltem Hügel empor, rund um ihn sich viele Wacholderbüsche gesprenkelt. Man muss wissen, ich gondle seit Jahren in dieser Gegend herum, aber diesen Turm habe ich noch nie gesehen. Er hat Magnetwirkung, ich muss wissen was es mit ihm auf sich hat. Also nicht wie hin.
Man sagt ja immer, die Jugend sei vom Handy abhängig. Ich muss gestehen ich bin auch abhängig, bin aber nicht mehr jung. Google Maps verweist auf die Burg Niederhaus. Zugegeben, notorisch gehfaul fahre den Berg hoch und keine zwanzig Meter an das Bauwerk ran. Meterdicke Mauern richten sich vor mir auf.
Ein Turm ragt in den Himmel, dick und fett und unglaublich hoch. Nun scheint die Sonne mild und ich hocke mich auf eine Bank und schaue auf die „Stauferstele“ und in Verlängerung auf die Ruine. Auf dem sechseckigen Denkmal steht geschrieben:“ Konradin, König von Jerusalem und Sizilien, Herzog von Schwaben. Der letzte Staufer. Enkel von Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen. Geboren 1252, enthauptet 1268 in Neapel. Die andere Seite des Steins informiert weiter, dass der Edelfreie Friedrich von Hürnheim, der Markgraf von Baden und Herzog von Österreich, Wolfrad Graf von Veiringen und Marschall Konrad Kropf von Flügelingen, den sechzehnjährigen Konradin auf der Reise nach Neapel begleiteten und wie er am 29. Oktober 1268 in Neapel geköpft wurden. Der Täter gehörtem dem französischen Haus Anjou an, die für lange Zeit die Macht in Sizilien übernahmen. Es war Karl I von Anjou, der Bruder des Königs von Ludwig IX.
Aha, ich befinde mich an einem geschichtsträchtigen Ort. Mit den Hohenstaufen habe ich als Schwäbisch Gründer sowieso einiges am Hut und so reißt es mich buchstäblich von der Bank, um dann über die Brücke, den Burggraben zu überwinden und mir das Gemäuer näher anzuschauen.
Nach monatelangem Trüb-Himmel wärmt mich die Sonne, stimmt mich froh und mutterseelenallein geistere ich in der gut restaurierten Ruine herum. Eine große Informationstafel wird genau studiert: Ende des 10. Jahrhunderts, also ungefähr um 980 n. Chr. bis ins beginnende 11. Jahrhundert wanderten die Edelfreien von Hürnheim in den Riesgau. Es entstand mit Steinhäusern eine erste Siedlung. Von ihrer Verwandtschaft, den Staufern bekamen sie die Erlaubnis eine Burg zu bauen. Zwischen Hürnheim im Norden und Christgarten im Süden könnte der Standort nicht schöner sein. Ein weiter Blick, im Tal Forellenteiche von Wald gesäumt und mit Wacholderheiden durchbrochen.
Ich versichere, wer sich ein bisschen für Geschichte, Wandern und Radfahren interessiert, der kann sich in und ums Nördlinger Ries jahrelange Freuden verschaffen. Lassen wir es dabei. Um spätestens 13:00 Uhr muss ich beim Mittagstisch sein, denn habe ich im Restaurant Meyers Keller in Nördlingen reserviert. Den Koch Jokel Kaiser und seine schaffige Frau Evelin kenne ich seit Jahrzehnten. Der Mann kann verdammt gut kochen sonst hätte die Bekanntschaft nicht so lange gehalten. Richtig lohnt sich ein Ausflug im Sommer, wenn man im Freien unter riesigen Kastanienbäumen im Sonnen- und Schattengefunkel essen kann. Mir wurden wahre Leibgerichte serviert: Beuscherl, dann Kalbszungenragout und krönend ein hervorragendes Wiener Schnitzel. Dazu erst ein Bier, dann eine Flasche Riesling, Große Gewächs von Monika und Gunter Künstler aus Hochheim. Weltklasse-Stoff. Die Rechnung belief sich auf 71 Euro. Es ist also anders wie in Berlin, da wird gerne noch ein Hunderter obenauf gepackt. Von der Flasche trank ich nur ein Viertel und schenkte am Abend die erneut verkorkte Pulle meiner Tochter Eva. Sie ist bekanntlich eine große Weinkennerin. Sie nennt sich nicht Sommerlier oder Sommelière, weil es zwar viele gute Leute in dem Metier gibt, aber um so mehr auch Sprücheklopfer mit kognitiven Defiziten.
Ja, es war ein beglückender Tag.