Manche Leute brechen sich im Restaurant vor Etikette wirklich einen ab. Der geübte Gourmet bekleckert das Tischtuch, verwechselt vor lauter Gier die Bestecke, die Serviette fällt auf den Boden, die Krawatte kriegt die halbe Menükarte ab. So einer hat Dispens, denn er ist am Schwelgen, nahezu außer Kontrolle, und so soll es gottgefällig sein.
Meine Beobachtung ist: Verlässt ein Gast seinen Esstisch genauso sauber wie er ihn angetroffen hat, dann verlässt er eine anstrengende Episode seines Lebens. Das Essen war vielleicht sehr gut, aber der Esser nicht ebenbürtig, bestimmt nicht wirklich sinnlich.
Ich saß einmal mit Elisabeth in Sils Maria bei Zürcher Geschnetzeltem im Hotel Margna. Schräg gegenüber hing der extreme Charakterkopf des Dieter Meier von der Band “Yello” über dem Teller. Irgendwann kam er an meinen Tisch und entschuldigte sich, dass er mir immer zuschauen musste. “Ihnen beim Essen zuzuschauen ist wie großes Kino”. Ja, wenn es schmeckt vergesse ich mich selber, bin ich ganz ich.
Kurzum, vergessen Sie all das Verkrampfte und Gourmetgetue, oberste Regel ist, dass man niemand belästigt, die Wände nicht bespritzt oder die Kleidung anderer ruiniert. Und passiert es trotzdem einmal, ist’s auch wurscht.
PS. Nichts gegen moderne Literatur, aber das “alte Zeugs” hält mehr bereit. Im Moment lese ich Hölderlins Hyperion, quasi als Test ob ich so etwas noch geistig packe. Vor zwanzig Jahren habe ich es nicht gepackt, heute durch Alterssturheit und Geduld ist alles kein Problem. Folgendes auf Seite 42 meines Reclambüchleins:
“Nimm mich, wie ich mich gebe,
und denke, dass es besser ist zu sterben, weil man lebte,
als zu leben, weil man nie gelebt.”