VEGETARISCH
- September 2025| Tagebuch
das Wort mag ich gar nicht, denn es transportiert Übergriffigkeit, wenn nicht gar Ersatzreligion. Bei Vegan ist es mir noch mulmiger. Missionarische Vegetarier, noch schlimmer Veganer, sie ereifern sich oft als höhere Instanz. Ohne tierische Zutaten ist Ernährung genauso genießerisch, und dass Pflanzliche wird allerdings in Gasthäuser, viel zu wenig gepflegt.
Momentan habe ich Kafkas Vegetarisches Kochbuch in der Mache. Die Autoren Eva Gritzmann und Denis Scheck, beschreiben höchst anregend was in Kopf und Magen des literarischen Weltschriftstellers so vor sich hinrumpelte und sich inneren Winden entgegenstellte. Diese literarische Entdeckungsreise habe ich in einem Brief an Laura bereits vorgestellt.
Jetzt geht es ans Eingemachte, denn das Kochbuch an dem sich die Frau und Haushälterin Kafkas, Dora Diamant bediente, enthält 544 Rezepte. Selbst mir, als schon reichlich überfütternden Berufskoch, ist das Buch eine ganz prima Fundgrube, sozusagen eine kulinarische Munitionskiste. Sollen sich die interessierten Liebhaber der Kocherei möglichst umfassend daran bedienen!
Ich will nun eine Grundregel der Gemüsekocherei plakatieren. In der gehobenen Gastronomie oder überhaupt werden Gemüse in Salzwasser gekocht, gerne noch ein bisschen hart, damit die Farbe, das Aussehen, möglichst vorteilhaft unseren Augen schmeichelt. Man muss wissen, dass der Gesichtssinn, das Sehen, in unseren Tagen auf das Extremste trainiert wird. Film, Fernsehen kurzgeschnittene Videoclips und alles in wildesten Farben. Man fragt sich mittlerweile, geht’s bei Essen ums “Glotzen” oder ums “Schmecken”. Der Geruchssinn, mit dem Geruchsgedächtnis ist ins Hintertreffen geraten.
Dr. Lahmann, der Therapeut des Dichters vom “Weißen Hirsch”, einer bevorzugten Höhenlage am Rand von Dresden, sagt im Kochbuch seiner Klinikköchin Elise Starker folgendes: “Bei den Gemüsen gilt als erste und unerlässliche Regel, dass nichts abgebrüht, nichts vom Kochwasser weggegossen wird, da gerade darin die besten Nährstoffe enthalten sind…” Mit meinen Worten bedeutet das, man solle aus den Gemüsen keinen Tee kochen, um diesen dann wegzukippen.
Des Arztes zweite wichtige Regel hat das Dünsten zum Thema. Ein Freund rief mich kürzlich an und klagte, dass seine Schwester zu Besuch käme und sie Karotten über alles liebe, er aber ganz und gar nicht. Ich antwortete, das Problem kann ich dir lösen. Auch du wirst dich dann in Karotten verlieben.
Nimm einen Topf mit dicht schließendem Deckel. Einige kleine Zwiebelwürfelchen hinein und mit Butter etwas blondieren. Daumendicke, längs geschnittene Rübli, wie die Schweizer sagen, kommen in den Topf. Gemüsebrühe oder Wasser wird zugegossen, aber höchstens einen Zentimeter hoch. Wenig Salz drüber, denn das haben bereits die Karotten, die wir mit der Methode des Dünstens nicht auslaugen. Auf kleinstem Feuer lässt man die Karotten garen. Die Hitze muss so austariert sein, dass die Flüssigkeit nicht zu sehr reduziert, sprich verdunstet. Zuviel Hitze und alles ist ruckzuck angebrannt. Wahrscheinlich ist diese Garmethode deshalb in der Gastronomie ausgestorben.
Den Topf im Auge behalten, immer wieder mal den Deckel lüpfen, ob etwas Flüssigkeit nach gegossen werden muss. Das nenne ich langsames, sinnliches Kochen. Darin ist eine Ausgeglichenheit, die sich ein Karrierekoch gar nicht ausdenken kann, denn Karriere kommt ja von Schnelligkeit. Von Null auf hundert in…, das ist die heilige Kuh unserer Zeit und der Verlust kochender Sinnlichkeit, vor allem bei Berufsköchen.
Nach fünfzehn Minuten müsste unsere Eigentherapie Wirkung zeigen. Köchin und Koch sind in sinnlicher Schwebe und die Karotten weich. Merke, alles schön weich hat unvergleichlich besseren Geschmack als zu hart Gekochtes. Man denke nur an die Diskriminierung des wunderbaren Brokkoli.
Und ganz zum Schluss ein Wort zum Dämpfen. Das ist meiner Meinung nach völliger Blödsinn. Wasserdampf ist destilliertes Wasser ohne jegliche Minerale. Diese werden beispielsweise dem Spargel beim Dämpfen entzogen. Widerstandslos treten durch das Garen im Dampf die Säfte aus dem Spargel und tropfen unten in ein Auffangblech. Dieser Saft ist sehr wertvoll. Besser wäre allerdings, dass davon mehr im Gemüse verbleibt.
Beispiel: Karotten in ungesalzenem Wasser kochen, bedeutet, das am Schluss die Karotte genauso fade ist wie das Wasser.
siehe auch Laura – “Vegetarisches Glück”.
KAFKAS KOCHBUCH
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart
ISBN 978-3-608-96665-7, 35,–€
545 Seiten