Liebe Laura, solltest Du einmal ein Genie kennenlernen, dann wird es Dich hoffentlich beflügeln, aber um Gotteswillen verliebe Dich niemals in ein Genie. Häufig beuteten sie ihre Frauen aus. Heute las ich über Rainer Maria Rilke, weißt schon, den genialen Dichter und feinsinnigen Schöngeist, von hochadeligen Damen gerne bemuttert. Er ist sozusagen der Franz von Assisi wohltemperiert-geordneter Buchstaben und dichterischer Nächstenliebe.
Eine eklatante dunkle Seite von ihm wird nahezu beharrlich verschwiegen: Über die politische Orientierung des Sprachkünstlers war mir bislang nichts bekannt.
Liebe Laura, halte dich fest, der Narziss Rilke zeigte sich in seinen Briefen als schlimmer Sozialdarwinist, als ausnehmend konservativer Denker mit heftiger Rechtslastigkeit. Anfang 1926 schreibt er aus dem schweizerischen Val-Mont an die in Mailand lebende Herzogin Gallarati Scotti eine Hymne auf den italienischen Faschismus. Am darauf folgenden 17. Januar legt er noch eine Schippe nach: Er rät zur Diktatur Mussolini als “Heilmittel in unruhiger Zeit. Bekennend hat er keine Berührungsängste vorübergehende Gewalt und Freiheitsberaubung zu empfehlen.
“Da die Ungerechtigkeit schon immer Bestandteil aller menschlichen Bewegungen gewesen sei, solle man, sofern man nur einen Plan für die Zukunft habe, nicht die Zeit damit vergeuden, Ungerechtigkeiten zu vermeiden, sondern müsse einfach über sie hinweg zur Aktion schreiten. “Das ist genau das” so Rilke, “was sich in Italien abspielt, dem einzigen Lande, dem es gut geht, und das im Aufstieg begriffen ist”. Am 14. Februar erteilt er der Mussolini-Gegnerin Gallarati Scotti eine heftige Absage. “Eine Poesie die vorgebe besonders gut und human zu sein, die das Ziel habe, zu helfen oder zu trösten, sei ihm zuwider, sie sei “bestenfalls eine rührende Schwachheit”.
Liebe Laura, halte Dich jetzt bitte fest auf dem Stuhl: 1896 hatte der Virtuose der Liebesgedichte bereits in seiner Erzählung “Der Apostel” verkündet: “In der menschlichen Seele gebe es keine schlimmeren Gifte als Nächstenliebe und Mitleid.” Die Geschichte endet mit, “ein Recht zu leben hat nur der Starke”. So etwas sagt der ausgewiesene Schwächling Rilke, der sich mit Händen und Füßen, in peinlichster Bettelei an seine Förderer wandte, um 1914 dem Kriegsdienst zu entgehen.
Quellen: Frauke Schwanke, Egon Schwarz, Ferdinand Krogmann, Inselverlag “Rilke, Briefe zur Politik”.