Stuttgart 23. November 2024
Liebe Laura,
momentan bin ich dabei meine Erinnerungen zu erwandern. Wirklich schöne Begegnungen hatte ich mit Anita Albus. Im Moment sieht es so aus, dass irgendwann eine kleine Broschüre daraus werden wird. Die Malerin veröffentlichte auch viele Bücher. Eines davon hat den Titel “Käuze und Kathedralen” und ist vor zehn Jahren im Fischer-Verlag erschienen. Mit freundlicher Genehmigung des Verlags schicke ich Dir ein Kapitel, das sich damit beschäftigt, dass gute Köche längst nicht so doof sind wie manchmal des Volkes Stimme denunziert.
Hier der Albus Text:
Anatole France hielt Rimbaud für einen Scharlatan und Zola für dumm, Charles Maurras warf Mallarmé vor, er jongliere mit Worten, Sainte Beuve hielt Baudelaire schlicht für anormal, in Gérard de Nerval sah man einen Clown, und Alfred Jarry denunzierte man als Alkoholiker. Schon immer hat die Kritik versagt, wenn sie sich anmaßte, über die verschiedenen Welten der Literatur mit Kriterien zu urteilen, die nur für die eine oder andere dieser Welten Gültigkeit haben. Keinem Koch würde es einfallen, seinem japanischen Kollegen mangelnde Garzeiten vorzuwerfen. Sofern er sein Handwerk versteht, wird er kaum dem Wahn erliegen, die gastronomischen Traditionen aller Zeiten und Länder auf der Pfanne zu haben. Außerdem zeichnen sich die Köche dadurch aus, daß sie nicht mit der Vergänglichkeit ihrer Werke hadern. Von Rabelais bis Swift, von Heine bis zur Blixen, von Proust bis zu Raymond Queneau ist die Literatur mit Küchenmetaphern getrüffelt.
»Wenn es eine Muse des Romans gibt«, sagt Walter Benjamin, »so trägt sie die Embleme der Küchenfee.« Er vergleicht die Art und Weise, wie man die »Rohkost der Erfahrung« zu einem Roman verarbeitet, mit der Zubereitung eines nahrhaften, geschmackvollen, appetitlichen Gerichts aus Substanzen, die im »Rohzustand unbekömmlich sind«. Wer könnte also berufener sein, Romane zu besprechen, als ein begabter Koch? Es käme ihm nicht in den Sinn, ein Gericht als gaumenlästig zu beschimpfen oder die Kunst und das Leben, das Werk und die Person einfach in einen Topf zu werfen. Er könnte die vielfältigsten Zubereitungsmethoden unterscheiden und wüsste, dass der Witz beim rohen Radieschen die Butter und das Salz sind. Er verstünde es, ein Hühnchen zu rupfen und zu zerlegen, und würde niemals das Beste daran vergessen: die kleinen, in einer Mulde am Rücken verborgenen Filets, die man sot l’y laisse nennt, denn nur der Dumme lässt sie drin.
Niemand muss ihm sagen, dass ein Salat zusammenfällt, wenn man ihn zu lange »ermüdet«, wie es in der Küchensprache heißt, die sich in ihrer Anschaulichkeit mit der des besten Schriftstellers messen kann; und weil diese französisch ist – das Deutsche hat nicht viel mehr als den »Stockfisch« beigetragen -, können wir zu den vielen Vorteilen unseres Kritikerkochs auch noch die Beherrschung einer Fremdsprache zählen. Er wird niemandem den Bären aufbinden wollen, »Farfallone« komme aus dem Französischen, und wüsste überdies, um welche Nudel es sich dabei handelt. Außerdem wäre ihm bewusst, dass es viel schwieriger ist, den Ekel der Gäste vor den »frivolités« genannten Lammhoden durch eine raffinierte Zubereitung zu überspielen als Geselchtes mit Knödeln zu servieren. Auf den Vorwurf, er sei in das Essen verliebt, würde er jederzeit antworten: »Ja in was denn sonst?«
Selbstverständlich wüsste er, dass der gute Romancier, wie der gute Koch, eine ganz eigene Handschrift, einen unverwechselbaren Stil hat. Er würde von der Erkenntnis ausgehen, dass der liebe Gott im Detail steckt, und hätte eine Nase für die Prätentionen, mit denen der Teufel ihn nachahmt. Er könnte das Vorgefertigte herausschmecken und das Mehl, mit dem die missratene liaison nachträglich gebunden und gestreckt wurde. Die Gerichte der Ungeduldigen, die mit der Zeit geizen, würde er als Farce bloßstellen. Dem Innovativen würde er mit Misstrauen begegnen, weil unter der neuen Garnitur meistens der alte Hirsch begraben liegt. Darin sind die Kochkünstler sogar klüger als die Dichter: sie sind vor der Illusion absoluter Originalität gefeit. Sie wissen, was sie ihren Vorgängern verdanken und dass sie sich um so mehr Freiheiten herausnehmen dürfen, als sie die Regeln beherrschen.
Nun sind aber die guten Köche morgens auf dem Markt und stehen bis in die Nacht in der Küche. Man kann ihnen nicht zumuten, daß sie nebenher Bücher rezensieren. Vielleicht aber gelänge es, nach den Regeln ihrer Kunst die vielen Irrtümer und Mißverständnisse über die Kunst, die zwar schon immer in Umlauf waren, aber sieb in keiner Zeit so schnell ausbreiten und vervielfältigen konnten wie heute, um einige zu reduzieren.