Im Internat bei den Mönchen, von uns Schülern gerne auch als Popen veräppelt, waren die sogenannten “Vierfest ” Ostern, Pfingsten, Himmelfahrt, Weihnachten, der reine Schrecken. Neun Uhr, Showtime in der Kirche Heilig Kreuz, in der bis heute ein Partikel des Kreuzes Christi aufbewahrt wird. An Fachkräftemangel unter dem Kreuz mangelte es nicht.
Wir Ministranten, bis zu sechzig hymnische Erdwürmer, in weißen Röckchen mit roten Schulter-Kragenspiegeln, waren wir eine relativ gelangweilte Taskforce und keineswegs so beseelt, wie wir simulierten. Wir guckten auch so elend, weil wir kein Frühstück bekommen hatten und bis zum Mittagessen mit leerem Magen durchhalten mussten. Diese Folter verlangte die Heilige Kommunion. Vielleicht wurde ich deshalb Koch, denn die Oblaten der Kommunion, der Leib Christi, meine Güte, etwas Faderes kann man sich gar nicht vorstellen. Tags hatten wir uns im Beichtstuhl zu erleichtern. Die schwere Last unserer Sünden, wie unsittlich berührt, oder Freitags Fleisch gegessen, mussten wir hinter uns lassen wie ein Esel seinen Dünnpfiff.
Mit federleicht, gereinigter Seele hielten wir Ministranten beim Hochamt die Glut der Räucherfässer am Qualmen (Seppi, dein Täschchen brennt). Ich glaube heute noch, dass Weihrauch und Myrre besoffen macht und ich als schwer imprägnierter Passivraucher durchs Zeremoniell eierte wie ein Geisterbahnschaffner.
Ohne selbstauspeitschenden Glauben der Güteklasse, mit der sich Vatikan auf Taliban reimt, ist ein Hochamt kaum zu meistern. Bombastische Liturgie, von Unmengen Brokatstickerei zusammengehalten, wehte vom Altar her. Sie wurde sekundiert vom Singsang lateinischer Unverständlichkeit und wehte über unsere leeren Köpfe wie Saharastaub. Die Zeit verging zäh, ähnlich wie man bei frisch Gestrichenem zuschaut wie die Farbe trocknet. In uns Ministranten gähnte ein Vakuum, wie das vielleicht nur ein Boxer kennt, der gerade aus einem Knock-out sich hochächzt. Bei einem Hochamt ist es aber nicht mit zwölf Runden getan, sondern der Fight geht über drei Stunden. Mittendrin donnerte die Predigt von der Kanzel. Pater Superior, von der Statur und Habit eine Kopie Kaiser Neros, verdammte die modernen Zeiten und den Sittenverfall, mit seinem Organ hätte Luciano Pavarotti kaum mithalten können.
Die Gläubigen genossen während der Predigt abzusitzen, nicht aber wir Ministranten, Diese Jobs im Namen des Herrn haben mich fürs ganzes Leben gezeichnet. Plattfüße und kaputte Knie hatten das Fegefeuer vorweg genommen. Gemeinsames Leid ist halbes Leid, denn immerhin waren wir sechzig Knäblein, sozusagen die Funkenmariechen der Liturgie. Wir wollten aber niemand gefallen und hatten keine Cheerleaderambitionen, sondern kurz gesagt, “Null Bock!”
Jedenfalls, ein Hochamt, adelte jeden Feiertag mit über drei Stunden Performance und Orgelgewitter. Oft wurden diese Liveshows noch von jungen Priestern auf Seitenaltären befeuert. Dazu brauchte es auch noch mindetstens zwei Ministranten, wovon einer die Viererklingel bedienen musste. Diese kommt immer in Aktion, wenn etwas Besonderes am Start ist, beispielsweise Kyrie Eleison, auf deutsch, “Herr erbarme dich.” oder “Gloria in Excelsis Deo”, ( Ehre sei Gott in der Höhe”. Wir Ministranten darbten erdenschwer, blieben unten und bedienten die Rauchfässchen. Die Zwischenmalzeit während der Heiligen Kommuniondie, Oblate auf die entzückte Zunge war Pflicht. sie half leider nicht unsere entleerten Mägen ruhigzustellen. Reihenweise erlagen wir Gotteskrieger den Anstrenungen und vielleicht auch dem Passivrauchen. Immer wieder kippte einer um, ging K.O. und mussten abgetragen werden.
So gings dahin und jetzt höre ich lieber auf. Über die Ritale der Liturgien will ich mich nämlich gar nicht lustig machen. Ich halte sie sogar für sehr wichtig. Sie führen in gerader Spur zurück zu unseren Wurzeln der Kultur, und die ist in Zentraleuropa auf alle Fälle, bis heute sehr stark nachwirkend, Die Bibel war der erste Gesetzestext welcher die Barbarei hätte beseitigen können, wenn die zehn Gebote in die Vorfahrengehirne eingedrungen wäre. Was aber die Vorfahren nicht schafften, das schaffen wir heutzutage gleich gar nicht.
Schon bei den alten Griechen hieß es “Polemis Pater Panthon”, Streit (Krieg) ist der Vater aller Dinge!”