Vincents Tagebuch

Blow Up

von | 29. März 2024 | Allgemein

Derzeit serviert Wernigerodes frisch gebackenes Sterne-Restaurant „Pietsch“: Presa vom Ibérico-Schwein mit gerösteter Hefe, Gochujang und vegetarischer Jue, dazu ein Tortellino gefüllt mit Birne und Artischocke.

Im Internet habe ich’s erjagt, da wird der Hund in der Pfanne verrückt. Presa soll eine Hunderasse sein, kann auch sein, dass es ein Leibgericht ist, von dem Google und der Bundesnachrichtendienst noch nichts weiß. Bei Gochujang wurde ich über Wikipedia fündig, das ist eine koreanische Würzpaste. Vincent, das Landei staunt und ruft allen einen internationen Ostergruß zu: “Boenos Ei-res.

Bleiben wir aber im Harz, in Wernigerode. Dort findet man Weltläufigkeit am Fuße des höchsten Bergs des Ostens, dem „Brocken“. Die Kundschaft, die von diesem Harzer Sinai herabsteigt und sich gerne an Harzer Schmorwurst und Harzer Brotlaibsuppe beglückt, wird diese sich wohl den Sinn einer solchen Speisekarte erbüffeln? Welche Zielgruppe hat der Koch und kulinarische Importeur im Visier? Foodies vom Londoner Canary-Wharf-Tower oder Bobos aus Saint Germain oder Kopenhagen?
Ganz klar, im Harz sind junge Leute am Start und man muss sich nicht echauffieren: Jugend ist ein Fehler, der sich von Tag zu Tag bessert.

Doch hier noch ein anderes Beispiel, das an gastronomische Todessehnsucht andockt. 400 Jahre hat der Gutshof in Pähl am Ammersee durchgehalten. Daneben auch lange Jahre das Kupfermuseum. Inmitten herrlichste Alpenlandschaft findet sich nun ein Restaurant darin, in dem spukt der Geist Manhattans? Die “Location” nennt sich „Tasty“. Da sage ich zum Kuhgebimmel nur “WOW”! Unzählige Beispiele gäbe es noch, mit denen aufgeblasene Firmierung außerkontinentale Träume in den Markt drücken will man damit die Einheimischen, den Wastl, Sepp oder Girgl vom Misthaufen runterholen?

Ohne Übertreibung, in meinem Leben habe ich bestimmt den Wert eines Zweifamlienhauses vervespert. Ich liebe auch fremdländische Geschmacksnuancen, beispielsweise japanisch, chinesisch, koreanisch oder auch Nordafrikanisches. Dies allerdings nur, wenn sich kein Lederhosendimpfl Harissa ins Gesicht geschmiert hat, oder sonst ein teutonischer Provinzler kulinarisch ausrastet. Stehen wirklich Betreiber aus weitentfernten Ländern am Herd, mag ich das. Ich mag’s auch, wenn der Laden von mir aus, am Husumer Deich seine Fritteusenpommes lüftet, oder an der Isar, oder am Harzer Rennsteig die Kundschaft autochthon beglückt wird. Kulinarische Desaster lauern trotzdem überall.

Wichtig: Nach wie vor nehme ich Reissaus, wenn unter „Fine Dining“ firmiert wird. Das Wort „fein“ hat für mich einen besonderen Mief. Liebe Leserinnen und Leser, es ist zu empfehlen, sich von der „feinen Gesellschaft“ fern zu halten.

Canary Wharf in London, dann doch lieber "Tasty" im Pfaffenwinkel.