Vincents Tagebuch

Die Ostergeschichte

von | 28. März 2024 | Allgemein

Mit zwölf Jahren war ich wegen meiner Schulphobie und Faulheit zu Mönchen in eine Klosterschule verfrachtet worden. Man kann sich das heute kaum mehr vorstellen, ich musste wegen meiner Unterernährung jeden Tag Lebertran in mich hineinwürgen. Mich schüttelte das ranzige Walöl  jedesmal gewaltig durch. Diesen Goût empfand ich im Internat noch schlimmer als den Kohlgeruch. Dabei liebte ich den Kohl sehr, mir war aber schleierhaft warum man ihn essen sollte, wobei man doch anderes Nützlicheres mit ihm anstellen konnte.

Damals, als Bübchen von kaum fünfundzwanzig Kilo, wanderten meine Augen täglich durch ein Buch, indem meine Idole gewaltig auf den Putz hauten. Es waren Häslein, anmutig und lustig, gezeichnet im Stil des Kinderschreck-Bestsellers “Struwwelpeter” und mit zarten Farben, hauptsächlich grün, koloriert. Nirgends mehr konnte ich dieses Buch entdecken, in dem sich Hasen  bekämpften. Sie gingen nicht mit Schwertern aufeinander los. Nein, sie hatten ausgehöhlte Kohlköpfe als Boxhandschuhe über die Pfötchen gestülpt und hauten sich damit kräftig auf den Pelz. Die Erinnerung an diese Prügeleien hielt viele Jahre an, genauso wie der Kohlgeruch des Internats sich später bei der Bundeswehr zu schwerem Nebel von Verdauungsmief verdichtete.

Ich lernte als Soldat die tiefster Gangart, möglichst noch unter der Grasnarbe,  oder gleich im Matsch, den die Panzer aufgewühlt hatten. Man wollte eine “gerade Haltung”, den aufrechten Gang geibringen und ich flüchtete mich in den Stoizismus. Die soldatischen Erziehungsziele griffen bei mir nicht, denn Kohl-Blähungen verhelfen dem Marschierenden keineswegs zu mehr Speed und schon gar nicht zur besseren Durchblutung des Gehirns. Zum Befehlsempfänger war ich sowieso wenig geeignet.  Rekrut Vincent wurde im Laufe des Drills immerhin dreimal mal befördert und dann auch jedesmal wieder degradiert.

Die Schuld suchte ich beim Kantinen-Kohl-Geruch. Kurzum, der Kohl war mein Schicksal und verfolgte mich weit über die Kochlehre hinaus. Dann, vor zwanzig Jahren inmitten der neuen Küchen-Crossover-Mode richtete sich mein Blick auf’s Japanische und Chinesische. So entdeckte ich reichlich spät, dass Kohl nur in Sweet Old Germany nach ungelüfteten Kleiderschänken roch.

Nirgends auf der Welt wird so viel Kohl verspeist als in Asien. Folglich müssten diese weiten Landstriche von preußischem Kasernenmief, vom Kohlgeruch umwölkt sein. So ist es aber nicht.  Ich fragte mich, was machen die Helden der rauchenden Woks besser als der deutsche Koch. In Wahrheit duftet der Kohl nämlich, mindestens ebenso erfrischend wie Fenchel, Paprika oder Lauch. Wie konnte also ein deutscher Journalist glaubhaft zu einem Essay über Kohlsorten die Überschrift “Stinkbomben-Gemüse” in die Welt setzen? So stand es geschrieben und niemand meldete Zweifel an.

Ich will’s nun ein für allemal erklären, was kohlmäßig in deutschen Küchen schief läuft. Der frostharte Kohl, lateinisch Brassica, ist eine nahezu unzerstörbare Pflanze, verträgt im Gegensatz zur Kartoffel auch erheblichen Frost.

Alle Kohlsorten sind Kreuzblütler und enthalten Senföl, welches immer eine Anmutung an Meerrettich hat.  Lateinisch nennt sich diese Pflanzenfamilie “Brassicales”. Davon wachsen weltweit ungefähr 400 Gattungen mit ungefähr 4000 Arten. Mehr oder weniger ist das ganze Zeugs essbar, und wenn man alles zusammenaddiert kommen wir auf unglaubliche 1,6 Millionen verschiedene Pflänzlein. Man kann schon sagen, dass man sich an der Großzügigkeit der Natur ein Beispiel nehmen könnte. Wir wollen nun den ganze Kohlwahnsinn etwas eingrenzen und uns nicht den Kohlrüben u.s.w. zuwenden sondern erst einmal die Blattkohlsorten etwas betrachten.

Dieser Pflanzen enthalten außergewöhnlich gesunde Inhaltsstoffe, unter anderem auch Schwefel. Bis Ende der 70er Jahre galt er vorwiegend als Schadstoff, oder günstigstenfalls als Düngemittel. Schwefeldüngung durch Gärtner und Bauern fand nicht statt, denn der Schwefeldünger senkte sich, dank Kohlekraftwerken, ohne Zutun auf die Felder.

 Auch wenn heutzutage über Feinstaub lamentiert wird, gegen die Verschmutzung, die in den Siebzigerjahren über uns unzerstörbare Bürgern hing, könnte man heute im dichtesten Straßenverkehr von reinster Gebirgsluft sprechen. Ich hatte als Bub in den Sechzigern mal meine Omi in Essen besucht. Jeden Tag wischte sie die rabenschwarzen Fenstersimse ab. Der berühmte Edgar-Wallace-London-Smog war nichts anderes als Abgas von Fabriken, Kohlekraftwerken und natürlich vom privaten Heizen mit Braun- und Steinkohleerzeugnissen. Vor vierzig Jahren begann die Industrie mit dem Installieren der ersten Rauchgasentschwefelung-Anlagen was den Kohlköpfen auf den Äckern nicht gut bekam.

Die schwefelbedürftigen Kohlsorten mickerten immer mehr von sich hin, denn Schwefel, in gewissem Maße, ist für das Wachstum fast aller Pflanzen unabdingbar. Er ist für ihr gesundes Wachstum von hohem Wert. In vielen Gemüsen, wie Zwiebeln, Knoblauch, Senf , Rettiche, Radieschen, aber auch im Spargel, sind Schwefelverbindungen geschmacksbestimmend. Darüber hinaus wären noch unzählige andere Inhaltsstoffe und Aromen aufzuzählen. Diese unterschiedlichen Verbindungen wollen wir an dieser Stelle nicht alle hochaddieren

Ich mag es gar nicht, wenn Leute Essen zu sich nehmen und überhaupt nicht an den Wohlgeschmack denken, sondern ständig in sich hineinbeten welche gesunden Inhaltstoffe zu einem längeren Leben führen könnten. Soviel sei aber kurz erwähnt:  Aus all diesen Schwefelverbindungen heraus, reduziert sich nachweislich das Risiko vielerlei Krebserkrankungen. Kurzum, alleine aus dem  Schwefel gehen über hundertdreißig Einzelverbindungen hervor. Diese unglaubliche Vielfalt, und das gilt für alle Lebensmittel, machen es der Nahrungsmittelindustrie eigentlich unmöglich derartige Geschmackerlebnisse getreu nachzubauen.

Im Pflanzengewebe des Kohls sind Enzyme und Substrate getrennt eingebettet. Wird also Gemüse zerschnitten, geraten beide miteinander in Kontakt und bauen sich ab und gehen auch andere Verbindungen ein. Dabei hilft der Sauerstoff und man kann vereinfacht von Oxydation reden. Tja, und genau diese Oxydation sorgt für unangenehmen Geruch und oft für heftige innere Winde.

Wer also bekömmlichen Kohl bereiten möchte, der sollte mit dem Gemüse so schnell hantieren wie die Asiaten in ihrem Wok. Also kein mehrmals aufgewärmtes Sauerkraut oder Wising über Tage hinweg retten. Deutlich zeigt, dass in Asien Kohlgerichte in der Regel nicht wieder aufgewärmt werden, sondern jedes Essen wird frisch zubereitet. Wer so mit dem Kohl umgeht wird ganz Neues erleben.
Alle denken, dass Kohl ein Herbst und Wintergemüse ist. Richtig köstlich sind die kleinen Spitzkohle des Frühsommers.
Manche glauben auch an fermentierte allerlei, das sich Kimchi nennt. Eines ist gewiss, Glaube versetzt Berge.

 

 

Buesnos Ei-res