Vincents Tagebuch

Das ganze Leben, eine oberflächliche Zapperei

von | 26. März 2024 | Allgemein

Weinbegleitung
Es ist eine alte Gourmetweisheit, dass ein Wein mit jedem Schluck besser schmecken sollte. Eigentlich ganz logisch, denn guter Wein prostituiert sich nicht, sondern zeigt Wohlwollen, aber auch auch Widerstand, den man durchleben sollte. Das Wort Widerstand könnte man gerne durch Charakter ersetzen. Sehr guter Wein hat einen starken Charakter. So, und jetzt sind wir in der puritanischen Erlebniswelt von einem Dezi-Gläschen: es ist wie beim ersten Kuss, eine Annäherung, aber längst kein Kennenlernen.

Ganz logisch folgern wir, dass ein guter Wein sich nicht mit zwei bis drei Schlucken erfahren lässt. Nochmal, wie beim ersten Kuss, der erste greift tief in die Gefühlskiste, ein Himmel tut sich auf, aber der bleibt nicht immer sonnig. Nach der Scheidung weiß man es besser. Zu einem Menü fünf oder bis zu 10 verschiedene Weine? Hat man sich gut durch gezappt, hat man in dem Menü eine Heimat gefunden? Wohl kaum! Ich denke mal an dieser Analyse lässt sich kaum rütteln.

An diesem Gedanken will ich weiter festmachen, warum sich die Wielandshöhe von der Weinbegleitung zum Menü verabschiedet. Mit jedem Gang eine neue Weinfreundschaft? Es ist sowieso eine vollkommene Illusion, wenn man glaubt, dass zu jeden Speisegang der perfekte Wein gereicht wird. Perfektion gibt es im Bereich des Genießens und der Sinne überhaupt nicht. Jedes Lebewesen empfindet anders. Vielleicht gibt es den perfekten Wein, aber den perfekten Genießer auf keinen Fall. Das ist schließlich der wunderbare Humanismus, indem jeder auf seine Art selig werden kann. Bei der Weinbegleitung, genauso wie beim professionelle Weinprobieren, gewinnt immer der Wein, der am besten den Mundraum tapeziert, der Wein mit der meisten Energie, und moderater bis geringer Säure. Es gewinnt der Wein der als Augenblicksdarling blendet, sofort in ganzer Größe präsent ist. Mit dem ersten Schluck ist man bereits auf dem Gipfel der Wahrnehmung, Ist man ganz oben kann keine Steigerung mehr kommen. Es sind die Weine mit hohem Alkoholgehalt.

Damit kommen wir zum Glycerin, einem natürlichen Nebenprodukt der Gärung. 6% bis 8 % des Alkoholgehalts von Wein sind natürliche Glycerine, Ölen verwandt. Sie sorgen unter anderem für „Körper“ und “Vollmundigkeit” und sie kleiden den Mundraum angenehm aus. Aus diesen Gefilden und der Unmäßigkeit kommt auch der Brummschädel.

Gesten habe ich zwei sehr exklusive Toskaner probiert. Italienische Taubenorten kommen so gut wie nicht vor. Es sind gefällige Bordeauxkopien mit Cabernet Sauvignon, Merlot, Cabernet Franc, Petit Verdot. Diese Weine, der eine kam mit einem Totschlag-Argument von 14 % daher, der andere mit 14,5%. Erster Wein, erster Schluck, weich und heimelig wie ein Plüschsofa, der ideale Stoff für italophile Wirkungstrinker, sensorische Einfaltspinsel und für den asiatischen und amerikanischen Exportmarkt  önologisch eingependelt. Der zweite Toskanakracher (14,5 Umdrehungen) auch mit um die 300 Euro die Flasche, war angenehm wie ein lauwarmes Schaumbad. Heiße Liebe und Vordergründiges kühlt leider schnell ab, oder anders, Make-up bleicht schnell aus.

Als Toskanaliebhaber habe ich beide Weine mit größtem Wohlwollen angetrunken, nach dem zweiten Gläschen war ich jedoch satt, abgestumpft und angewidert. Trinke ich an einem Fernsehabend Spätburgunder der Familie Ziereisen, oder einen Lemberger von Neipperg, oder unter hunderten deutschen Klassikern, dann habe ich nach einer Flasche noch klares Lustempfinden und bin andern morgens glockenhell auf der Matte. Solch ein Wein mit höchstens 13, 5 % wird mit jedem Schluck ein schöneres Erlebnis, weil der Wein genügend hintergründige Substanz und Extrakt bietet. Man denke an traditionell ausgebaute Bordeauxweine, kräftig und stark und das oft bei 12,5 Prozent. Solche Weine sind natürlich regelrechte Kunstwerke und mit Berechtigung auch teuer. Was ich noch erforschen muss, das wäre das halbe Prozent, von 13,5 nach 14%. Warum ein solch kleiner Unterschied mich so drangsaliert? Ich denke es ist nicht der reine Alkohol, sondern es sind die Glycerine, höhere Alkohole, oder brutal pauschaliert, die Fuselöle.

Bekömmlichen und trotzdem dichten Wein zu bereiten ist allerdings nicht einfach. Es empfiehlt sich, von Fall zu Fall, seit dem Klimawandel eine frühere Ernte, man lässt mehr Blattwerk stehen das Schatten spendet, ganz entscheidend sind jedoch die Traubensorten und deren richtiger Standort. Ich kenne Winzer, die ihren Weinberg seit Jahren nicht gedüngt haben. Die Weinstöcke sind gezwungen in der Tiefe sich zu stärken und nicht an der Oberfläche verstreuten Dünger aufzunehmen, um durch viele Oberflächenwurzeln zu bilden, und dann im Sommer zu vertrocknen. Richtig guter Wein wächst auf mageren Böden. Heutzutage wird, egal wie fett der Boden, Wein darauf gepflanzt und hoher Erträge und viel Alkohol geerntet.

Ausdrücklich will ich damit schließen, das beispielsweise die schweren Weine des südlichen Rhonetals und des Piemont ein eigenes Kapitel verdienen und ausnahmen sowieso obligat sind. Mein Bericht hier kritisiert die fetten Cuvées und italienischen Modewein. Geht mit fort mit deutschem Syrah und Merlot in toskanischen Weinbergen. Pauschal echauffiere ich mich, dass viele Weinerzeuger ihr Ethos aufgeben und wegen Gewinnmaximierung, an den wahren Weinfreunden vorbei, die breite Masse und jeden Teenager übertölpeln wollen. Bedauerlicherweise gelingt dies.

Mein nächster Beitrag widmet sich der ständigen Frage welcher Wein zu welchem Essen passt. Sommeliers haben viel zum Verständnis des Weins beigetragen. Aber es ist bei manchen auch Vorsicht angebracht. Jede Berufsgruppe, jede Geschäftsidee bläst sich heute mit Hochdruck auf und verliert sich gerne im Komplizierten. So macht man sich unentbehrlich. Darüber gibt es kilometerlanges Geschwafel, die Antwort ist aber ziemlich einfach. Bis zum nächstenmal.

Weinbegleitung Adé! In Wien sah ich eine alte Dame, Chinesin, die verzweifelt den Stadtplan studierte. Ich half ihr und sagte dann. "Wir sind in Wien, Ihr Plan zeigt Salzburg." Sie stöhnte auf: "Europe in four days." Tja, so kommen mir manche Weinfreunde auch vor. Weinkennerei im Crashkurs? Zum Wein genießen hat man ein ganzes Leben lang Zeit.