gegen Frauen ist unausrottbar. Letzten Montag unternahm ich einen Ausflug um mir Ideen für mein Schwabenbuch zu sammeln. (Hoffentlich bis zu Buchmesse 2024 fertig). Die Fahrt ging Richtung Osten nach Aalen, der Berg Ipf schob sich ins Bild, Bopfingen mit Schlossberg und Flochberg, das Nördlingen Ries, und dann die Harburg der Fürsten Göttingen-Wallerstein. Die Burg vor Augen, bevor sich der Verkehr in einem Tunnel verkriecht, führt eine schmale Straße bergan zum Judenfriedhof und den dörflichen Tanzboden daneben, den sehr alte Hainbuchen säumen. Die Hainbuche ist mein Lieblingsbaum, da ihr Stamm und das Geäst nicht recht wissen wie sie gerade in den Himmel wachsen sollen. Der Ort ist mir etwas besonderes, vor dreissig Jahren habe ich hier wegen der erhabenen Stimmung, in einem kleinen Zelt übernachtet. Donauwörth war eigentlich mein Ziel. Dort ging ich in Hl. Kreuz ins Internat. Ein sehr schönes Barockensemble tut sich auf und das Riesengemäuer mit dem Kirchturm blickt einen Steinwurf weit hinunter zur Wörnitz, ein respektabler Fluss, der einige hundert Meter weiter in die Donau fließt. In der Kirche wird ein Stück vom Kreuz Christi verwahrt. Na ja, nichts gegen Reliquien, sie waren und sind auf alle Fälle eine heilvolle Geschäftsidee. In dieser Kirche ist Maria von Brabant begraben (1226-1256). Sie war die Enkelin des Königs Philipp von Schwaben, dem Sohn Barbarossas. Mordbuberei gehörte damals offensichtlich zum Alltag, Opa Philipp wurde 1208 ermordet. Die Heirat von Maria von Brabant mit Ludwig von Bayern, genannt der Strenge, bekam ihrer Gesundheit überhaupt nicht nachhaltig. Im Januar gärten es im Schädel des Königs, dass seine Frau Ehebruch begangen haben könnte. Aus Eifersucht ließ er am 18. Januar den Kopf abhacken.
Wenig später verfolgte den König erneut ein Hirnjucken, ihm dämmerte, dass seine Frau ihm immer Treu gewesen war. “Trial and Error,” Versuch und Irrtum ist mir eine beliebte Vorgehensweise, in manchen Fällen allerdings sehr ungesund.
Es geht dem frühen Abend zu und ich mache mich auf den Heimweg über Ulm. Kurz zuvor sehe ich das Ortsschild “Langenau” und mir sticht eine Adresse ins Hirn. Ich kann mir fast nichts merken, außer Frauengesichter und Wirtschaften. Langenau: in meinen Hirnkasten klingelt es. Ich fahre rechts ran und tippe im Mobiltelefon genau diesen Ort ein. Aus der Tiefe des Bit and Byte-Speichers schnalzt mir “Pflugbrauerei” entgegen. Praktischerweise übernimmt gleich das iPhone die Navigation und zehn Minuten später gehe ich auf die Gasthaustüre zu, um mir ein stilles, gemütliches Abendessen einzuverleiben. So der Plan. Die Treppe hinauf stehe ich vor dem Einlass der Wirtschaft und ahne Schlimmes. Die Holztüre biegt sich mir regelrecht entgegen. Befindet sich dahinter ein Sportstadion, eine Boxveranstaltung, die Pressluft eines ausgelagerten Oktoberfests oder eine Schlägerei. Ich öffne die Türe und mir kracht der geballte Frohsinn entgegen. Auf einer Tafel sehe ich die Verheißung (Heute Backhendl mit Kartoffel und Gurkensalat). Manometer, der Gastraum, irgendwie eine riesige Gummizelle, gefüllt mit sicherlich hundertfünfzig Personen. Da heißt es immer auf dem Land sei nichts los, im Gegenteil. In Großstädten ahne ich vielerorts psychische Wackelpartie, besonders in Berlin, hier jedoch in Hörvelsingen, die bombenstabile Resilienz. Sie merken bereits liebe Leserinnen und Leser, wer Hörvelsingen nicht kennt ist echt hinterm Mond. Ich stehe am Tresen und frage ob es für mich etwas zu essen und eine Platz gäbe. “Ja freili” sagt die Bedienerin, die aussieht wie die Schutzheilige aller Gasthäuser. “Wo soll i mi hinsetzen?” “Egal, überall, do am Stammtisch isch no a Stuhl frei.” Ich begrüße die Honoratioren, die aussehen als hätten sie seit zwanzig Jahren einen Pachtvertrag zu speziell zu dieser Bierdunstparzelle. Trotz allem, sie dulden mich als Eindringling. Ich schaue mich um, überall solide Gesichter, fleischgewordene Rechtschaffenheit. So etwas sieht man selten. In der Großstadt sehen viele Gesichter nach Leasing und Statusüberanstrengung aus, hier hat sich aber ein solider Mittelstand niedergelassen. Irgendwie wirken alle nicht untermotorisiert, entweder Mercedes, mittelgroßer Audi oder PS-starker Traktor. Mein Herz hüpft, hier bin ich an der Stätte des Einheitsgetränks, “Halbe Bier, Dunkel oder Hell”. Wegen der Religion und den Weihnachtstagen wird verschärft der saisonale Overdrive und Stimmungsaufheller namens Bockbier offeriert.
Übrigens, die hier rare Spezies der Vegetarier wird durchaus geachtet. An meinen Stammtisch vertieft sich ein Hagebüchener in Backsteinkäse-Zwiebelessig.
Das Brathendl kommt, später erfahre ich, dass es von einem ganz bestimmten Züchter kommt. Die Wirtsleute erkennen mich und die Wellen schlagen hoch. Der ganze Betrieb wird mir gezeigt. Ein Stockwerk höher ist der Saal von Hosenträgern gehaltenen Hendl-Friedhöfen genauso gefüllt wie im Parterre. Da hocken sie, genauso wie unten in völlig protestantischem Ambiente. Die Institution “Pflugbrauerei Hörvelsingen” muss keinen Verschönerungs-Krimskrams bieten der sich gegen das Horror Vacui auflehnt. (Horror Vacui, die Angst vor dem leeren Raum, den leeren Wänden.) Der Gästekreis produziert hier seine Gemütlichkeit selbst, sorgt hier für Wärme und sicherlich gelegentlich für Überhitzung.
Nach dieser Ortsbesichtigung geht es weiter in den Stall, In diesem Gasthaus wird von A-Z so gut wie alles selbst hergestellt. Jede Menge schottischer Hochlandrinder stehen im Stroh und kommen auf mich zu. Sie sind alle sauber, auch der Schwanz gewaschenen, der Stall hell und trocken, die Luft frisch. “Im Somm’r habet mer se im Freia!” Ein Riesenziege will gerade ihr Gatter überklettern um mich näher kennenzulernen. Man bringt mich in Sicherheit und ich werde zur Küche geleitet. Der Anblick, der kochenden Göttinnen beglückt mich kolossal. Kein Wunder, dass es an diesem Wallfahrtsort so gut schmeckt. Ich bin sicher auch das Opfer von Romantik und Vorurteilen, aber ich stehe dazu: kochende Frauen sind in der Regel gründlicher und ausdauernder als Männer. Von wegen schwaches Geschlecht. So ein Blödsinn, sowas kann nur von Testosteron-Idioten verbreitet werden.
Schauen Sie, liebe Leserinnen und Leser, in die Gesichter dieser Frauen, auch der Chef, sozusagen der Leithammel, kocht mit. Hier regiert solides Handwerk. Eigentlich ist diese Art der Kocherei ziemlich modern. Dies im Sinne der klassischen Moderne der bildenden Künste und der modernen Literatur à la Hemingway oder Gertrude Steins: “Alles weglassen was nicht zum zielführenden Thema zählt.” Oder wie mir mal ein berühmter Lektor anempfahl: “Schreiben ist gut, streichen ist besser!” Es gilt hier, wie im Bauhaus, die reine Lehre. Momentane deutsche Spitzengastronomie und ihre Kochkünstler befindet sich, vorwiegend und vergleichend interpretiert, im Dekorationsrausch, die Teller bestreut mit Knuspergerümpel, Fruchtpünktchen, frittiertes Allerlei, Augenwischerei, Dekoexzessen, um nicht zu sagen “Kitsch as Kitsch can be”. Oder aber, wie in Berlin, wo wöchentlich ein Picasso der Tellerdekoration dichtmacht, ist alles dermaßen perfektioniert , die Pinzetten kreisen im Balettspagat, dass kaum ein Essen heiß serviert werden kann. Man merke sich: Perfektion ist das Gegenteil humaner Zuwendung und Wärme. Gewiss, ganz ohne wäre auch nicht gut. Mein Leben lang war ich der Mister zwei Prozent, lag die Spitze bei 100, war ich immer mit 98 zufrieden und Therapeuten und Speed-Drogen überflüssig.