Vincents Tagebuch

Ein denkwürdiges Ereignis

von | 5. Juli 2023 | Allgemein

In Beaune esse ich in einem Restaurant einen stinknormalen Gockel, einen handelsüblichen Label-Rouge-Gockel. Da kann man in Deutschland lange suchen. Seit Henri IV den „Poule en Pot“ der Bevölkerung versprach sind Göckel nationale Wahrzeichen und dürfen nicht diskriminiert werden (der gallische Hahn). Geflügelmäßig hinken wir in Deutschland chancenlos hinterher, auch bei Biogeflügel.

Gerade habe ich die Keule eines Eineinhalb-Kilo-Gockels mit Pommes verspeist. „Brust oder Keule“, ein berühmter Film über einen neurotischen Restauranttester. Mein Tipp: Wenn man die Wahl hat, egal ob Gockel, Ente oder Gans, ich wähle immer die Keule.

Wir hatten mal 4 Chinesen im Lokal. Es waren offensichtlich nicht die Ärmsten, sie bestellten vier Enten, die eigentlich für 8 Personen portioniert sind. Wir staunten nicht schlecht, jeder der Gäste beanspruchte für sich zwei Keulen. Die Brüste? „Die sind fürs Personal!“

Jetzt aber mein großes Geheimnis, quasi ein Vermächtnis von Frau Elisabeth. Während des Lockdowns, und der damit umfassenden Hygiene kam es bei Ihr zu einem absoluten Gesinnungswandel. „Da zahlt man in meinen Lieblingshotels fünfhundert Euro aufwärts und ist in feinstes Leinen gebettet. Was ist aber unter dem feinen Linnen? frug sich die Frau, die nur in Strunkmann& Meister-Leinen schläft (die Firme Ege in Ulm ist auch zugelassen). Feinleinen im Bristol Paris, oder im Sacher in Wien, im Gritti Palace in Venedig, das haben wir hinter uns. „In Zukunft nehme ich mein eigenes Bettzeug mit, denn unter dem Feinleinen sind in den Hotels, – womöglich feinste Isländer Daune-, in diesen massenhaft Fürze und Milben verewigt, meinetwegen von Millionären: „Not my Party!“

Jetzt bin ich aber arg abgeschweift, oder gar den Faden verloren. Halt jetzt weiß ich wieder wo es langgeht. Frau Elisabeth, die Erzfeindin aller Camper und Zeltbewohner kam im Lockdown zu der Einsicht, das so ein Campingwagen mit eigenem Schlafequiment nur das eigene Odeur transportiere, und soweit sollte man gediehen sein, dass man andere vielleicht nicht riechen kann, sich selbst aber schon. Wenn also verreisen, dann nur in der eigenen mobile Hütte.

So, das habe ich mir zu Herzen genommen und chauffiere nun einen VW-Bulli mit Kühlschrank und Gasherd und autarker Furzmulde. Meine Outdoor-Abenteuer habe ich vor einer Woche angetreten, mich in die Chemietoilette eingefuchst und unter Bangen mich an allen möglichen Parkplätzen angewanzt. Campingplatz wollte ich meiden, denn ich fürchtete dort einen gewissen Schrebergartenfaschismus. Ein bisschen spüre ich nun dies schon, aber wie will man so zahlreiche Individualisten unter einen Hut bringen?

Nun gut, ich sitze im Kiosk-Restaurant der Campingplatzes in Beaune im Burgund und staune. Eigentlich hätte ich es mir denken können. Vereinzelte Fahrrad-Hartcorbiker mit Minizelt sind immer gute Typen und uneingeschränkt bewundernswert. Der Rest? Keineswegs Loser, sondern gutsituierter Mittelstand, denn so eine Campingkarre kostet schnell mal hunderttausden Euro, wenn nicht das Doppelte. Kurzum, den prekären  Sparcamper gibt es kaum mehr, sondern ausnahmslos gutbetuchte Freiheitsillusionisten.

In meinem Luxusbulli den Kühlschrank mit allerbester Epicerie besiedelt und mit entsprechenden Grand Crus ergänzt. Trotzdem bin ich bereits den zweiten Abend, erst beim Poulet und heute beim Boeuf Bourgignon, mit flankierenden Vorspeisen und einem Beaune 1er Cru, Clos des Avaux von Babtiste Guyot. Der 2018er kostet hier 48 Euro, was nur funktioniert, weil der ganze Aufenthalt ohne jede luxuriöse Ausposterung, quasi „total brut“ serviert wird. Beim Personalaufwand der Wielandshöhe, wären wir bestimmt im Bereich von 100 Euro.

So weit so gut. Das ganz besondere an dem Restaurant ist die schöne Wirtin, eine Brasilianerin, gebürtig in Rio. Ich bekundete meine nun 50jährige Liebe zu Bossa und Samba. Sie zeigt mir Ihr Handgelenk mit der dezenten kleinen Tätowierung zweier Katzen. Desweiteren verrät sie mir, ihre Namen würden sich reimen. Die eine höre auf Bossa, die andere auf Samba. Ich erkläre ihr, das ich mich in meinem fünfzehnten Lebensjahr in Astrud Gilberto verliebt hatte und eine Latin-Lover-Anwandlung für Juan Carlos Jobim empfand. Die Dame strahlt über das ganze Gesicht. Sie fragt nach meinem Lieblingslied. Ich antworte mit „Sonho Meu“ und sie ist ganz aus dem Häuschen, Sie gesteht, das sie auch eine große Liebhaberin von Maria Bethania sei. Sie eilt hinter ihren Tresen uns setzt ihr Spotify in Gang. „Sonho Meu“ von Maria Berthania fährt in unsere Herzen. Ich kriege peinlich feuchte Augen und die schöne Brasilianerin muss auch heulen. Man kennt sich eigentlich nicht, so soll es auch bleiben. Aber es gibt Leute die sich mit derselben Seelenstimmung kurz heftig zufunken können.