Vincents Tagebuch

Ich lebe noch, und das ganz wunderbar.

von | 3. Juli 2023 | Allgemein

Liebe Freundinnen und Freunde der Weisheit und des guten Schmeckens.
Es war vierzehn Tage still um mich und E-Mails erreichten mich, allesamt in großer Sorge um mich. Gemach, ich bin unterwegs im Burgund. Ein Landstrich den ich in meinem Leben oft besucht habe. Ganz klar, es ging meist um Wein und wer sich für Burgunderwein interessiert kommt nicht drum herum, die Côte d`Or und die Côte de Beaune zu besuchen. Die besten Weine der Welt haben immer den Ortsnamen im Titel und dann noch die Weinlage.  Das muss man einfach mal gesehen haben, um sich das alles merken zu können. Wie gesagt, ich war schon oft dort, aber Burgund ist viel mehr als der berühmte Wein. Die momentane Reise begann im Nordburgund. Chablis ist ein wunderbarer Wein (nicht immer), der Ort ist aber fad. Weiter führte die Reise zur „Prinzessin mit der Vase“. Die „Princesse de Vix“ ist in Châtillon sur Seine seit 2500 Jahren begraben, bzw. ausgegraben. Sie hinterließ einen großen Schatz, z. B. eine mannshohe, reich verzierte “Salatschüssel”. Weiter zog es mich nach Auxerre, eine tiefgründige Kulturstadt. Dort interessierten mich  die karolingische Fresken in der Krypta der Abtei Saint Germain. Das war längst nicht alles. Deshalb blieb ich dort die zwei Tage. Obendrein bin ich leidenschaftlicher Liebhaber romanischer Baukunst, die im Burgund bald in jedem zweiten Dorf zu bestaunen ist. Also weiter zum Kloster Pontigny, dann Semur en Auxois, die ganze Stadt, ein altes, tranquiles Lebensgefühl kann man dort beobachten. Meinen Sehnsuchtsort Vezelay konnte ich nicht auslassen. Überhaupt, all diese Orte hatte ich vor zig Jahren bereits mit Frau Elisabeth bereist. Erst unterwegs wurde mir bewußt, dass die Reise auch ein großes Andenken an sie ist. Alles was ich heute bin hat seinen Beginn bei ihr.

Ein großer burgundischer Intellektueller, den zu lesen mein Großvater mir einst aufzwang ist in Vezelay gestorben und im nahen Clamecy geboren. Sein Name Romain Rolland 1866-1944. Nobelpreis 1915. Er arbeitete unermüdlich für den Tierschutz und nannte unsere Rohheit den Tieren gegenüber eine der schwersten Sünden des Menschheitsgeschlechts, die Grundlage menschlicher Verderbtheit. „Wenn der Mensch soviel Leiden schafft, welches Recht hat er dann sich zu beklagen, wenn er selbst leidet.“ Das schrieb er ungefähr 1912, er konnte nicht ahnen zu welchem
Horror sich beispielsweise unsere Heutige Massentierzucht  auswachsen würde. Rolland nicht nur Tierfreund  hat sich 1914 vehement gegen den Jubel des Kriegsausbruchs gestemmt. Er war das Gegenteil von Claude Monet, zweifellos ein großer Maler, aber dieser hat seinen Busenfreund, den Ministerpräsidenten Georges Clemenceau, oder besser, sie beide haben sich gegenseitig berauscht, und taten alles, nach dem verlorenen ersten Weltkrieg um Deutschland maximal zu erniedrigen. Clemenceau, der Architekt des Versailler Vertrags war der Geburtshelfer des 2. Weltkriegs.
Romain Rolland, bestimmt doppelt so gescheit wie die beiden zusammengenommen, er liebte Deutschland und pflegte stets Verehrung für den deutschen Geist. Sein fünfbändiger Roman „Jean Christoph“ schildert das Leben eines deutschen Musikers und bewegt sich in der Nähe von Beethoven.

Die 5 Bände gibt es mit Holzschnitten von Frans Masereel für 49 € oder signiert für 1.600 € als Luxusausgabe bei ZVAB oder bei Amazon, über 2000 Seiten, Taschenbuchg in drei Bänden 12,64€. Einen Urlaub sollte man sich fürs Lesen schon einplanen. Wer sich allerdings nicht für klassische Musik interessiert, dem ist abzuraten.

Insgesamt hat er viel geschrieben, nur Exzellentes, soviel, dass man einen VW-Bus füllen könnte. So habe ich in meiner Bibliothek nur das Wichtigste, vielleicht einen Meter, den er bewohnt und ziert.

Es wird Zeit, weiterzuziehen, doch nur noch soviel, geschrieben vor dem zweiten Weltkrieg: „…oder wenn er sich von der sogenannten völkischen Bewegung einfangen lässt, die gewiss eine Erneuerung erstrebt, aber nicht loskommt von dem Materialismus der eben abklingenden Epoche, indem sie von diesem Materialismus den zoologischen Aberglauben an die „Rasse“ beibehält, an eine edle Rasse (das sind die Ihren) und an eine unedle (das sind die Anderen) und so nur einen sittlichen Hochmut züchtet, ein Pharisäertum der gefährlichsten Art, ein unüberwindliches Hindernis für jede wahre Erneuerung des inneren Lebens…”

Er schrieb das, mit Blick auf den französischen Bürger und den dort keimenden Faschismus, auf Mussolinis Italien sowieso, und erst recht sorgte er sich um Deutschland. Sein geliebtes Deutschland, das Land von Immanuel Kant, Nietzsche, Schiller, Wieland, Goethe. Er war auch ein sehr guter Musiker, auch Musikwissenschaftler. Es muss für ihn einen seelischen Zusammenbruch bedeutet haben, dass ein Land, das J. S. Bach und Beethoven hervorgebracht hat so abstürzen konnte. 
Und sehr zu bedenken: Seine Worte haben heute genauso Grund zum Aufrütteln.

 

Eigentlich müssten in den Häusern Burgunder, Männlein und Weiblein erfroren herumliegen. Keine Isolationsfenster, die Mauern nicht mit Styropor verklebt. Die wochenlange Diskussion um Heizungsmodalitäten? Kapiert hier niemand Schaut man genauer hin ist es bei uns Bedürfniserweckung, Perfektionsneurose und Umsatzmaximierung.