Vincents Tagebuch

Über Saucen…

von | 18. Februar 2021 | Allgemein

Die Sauce als Briefbeschwerer, davon sprach Nietzsche, und in gewissen Landstrichen Teutoniens ist es immer noch mehr als Brauch, nein Lebensgrundlage, die Sauce mit der Gabel essen zu können. Von der Stippe zur Tunke war es schon ein gutes Stück, und seit man statt Tunke Sauce sagt, steht es trotzdem nicht gut um die Saucen. Als Kind war mir die Soß’ der Ersatz fürs Fleisch, das der Vater für sich in Quarantäne nahm. Sauce war das Gleitmittel für Beilagen und hatte gefälligst Fleischgeschmack zu haben, was uns die Industriesaucen-Verbrecher gerne in Tüten verpackten.

Es gibt auch viele Saucen, die mit Fleisch gar nichts zu tun haben, helle, süße, saure, scharfe Elixiere. Sie kaprizieren sich als schwarze Schönheiten, brillieren brünett, als Blondinen, kurz, lang, aber auch oft fad. Saucen können kalt, mit Öl und Essig gebunden werden. Oft sind sie Raketentreibsätze, welche die Probanden die Bäume hochtreibt, zu Dauererektionen und Hirnrindenjucken führen können. Häufig hat sich die Sauce auch als rettender Notfallschirm über einen Küchenunfall zu senken.

In der Grande Cuisine hat sich die Sauce nur um eines zu kümmern: Sie sollte für Harmonie sorgen. Den Wohlgeschmack hat sie zu heben, sich nicht über die Aromen der Fische oder des Fleischs zu erheben. Kurzum, sie ist nicht Domina, sondern graue Eminenz, die ein hochstehendes Gericht in einen wohlproportionierten Rahmen stellt. Nochmal, was die französische Küche zur kunstvollsten der westlichen Welt machte, hat auch mit aufmerksamem Saucenkochen zu tun. Schön und gut, aber wir leben jenseits des Rheins. Was lässt sich aus dem Sumpf der deutschen Sauce herauslesen? Das ist gewiß so schwierig wie im Bodensatz eines Ketchupeimers zu rätseln. Da wäre auch die Wissenschaft überfragt. Werden wir Deutsche deshalb im Ausland mit Unruhe beobachtet, weil uns letztlich nicht zu trauen ist, wir zwar Saucen haben, diese aber auch mit Kanonen verschossen werden können?

Die Franzosen haben mit Recht ihr Savoir-vivre immer an der Sauce festgemacht. Der Saucier ist in der Küchenbrigade nach dem Küchenchef der Ranghöchste. Kunstvolle Saucen dienen der Abrundung, Harmonisierung und verhelfen einem oft banalem Fleischstück zum Kunstwerk. An Saucen läßt sich durchaus das Wesen einer Nation deuten. Die Sauce als kräftige Glace, obendrein noch „montée au beurre“? Antipodisch dagegen die knappen Saucen Italiens, die wenig verändert ganz aus dem jeweiligen Fleisch gezogen und kaum gebunden werden. Es gibt Gemüsesaucen, aus Tomaten bis hin zum olivenölgebundenen Pesto, die Zutaten werden so gering wie möglich gehalten. Oberstes Gebot ist die Transparenz und möglichst geringes Abweichen und verändern des Grundproduktes. In Frankreich dagegen vertrackte Verfeinerung, Artistik und Kulturgut, durchaus auf Augenhöhe der Literatur. In Italien das pure Produkt ohne Schnörkel, ganz wie das moderne italienische Design. Hier die Kunst, dort die Logik der Hausfrau, Mamma und der geradlinige Gusto. Schaut man jedoch in die oft undurchdringlich stumpfe Pampe deutschen Gasthauskleisters, wird einem angst und bang. Gute Saucen sind Signale für Fleiß und denWillen zur Verfeinerung des Alltags. In Deutschland waren die Saucen vor dem Krieg intensiv und wenig durch Mehl gestreckt. Die Sehnsucht nach Fleisch mußte durch die Sauce getragen werden. Die Zeiten sind dahin. Vor zwanzig Jahren etwa gaben die Omas und Tanten in den Gasthäusern und in weniger gleichgültigen Haushalten vollends den Löffel ab. Die Sauce definierte sich allsbald über Tüten und Pasten.

In Deutschland hat sich aber viel getan. Getreu dem mit steiler Augenbraue gesprochenen Satz meines Küchenmeisters, „Klink, Sie sind ein saublödes Arschloch, aber sie lernen schnell.“ Da war ich in den beginnenden siebziger Jahren nicht der einzige. Es gibt in Deutschland ein kleines Fähnlein, das weiß, wie’s geht, wie aus besten Zutaten Saucenkunstwerke entstehen können.

Unter der Rubrik “Sauce” ist schon einiges zu finden. In den nächsten Tagen wird diese Abteilung ergänzt.