Henri Matisse
Kunst sollte sein wie ein bequemer Sessel.
Plaudereien mit Piere Courthion
Kampa Verlag Zürich
Eingerichtet und aus dem Französischem übersetzt von Thomas Bodmer
Die Galerien waren jahrzehntelang geöffnet
jetzt sind sie seit langem geschlossen und die Sehnsucht wächst.
So mag es manchem ergehen, aber ich kann hier mit diesen Zeilen etwas Linderung anbieten. Viele Kunstfreunde erfreuen sich am Schönen, hinterfragen aber nicht viel und das muss auch nicht sein. Oft ist die Freude an der Kunst etwas Intuitives, was sogar (oder möglichst) auch mit kindlichem Gemüt gut erfasst werden kann.
Ganz klar, grau ist alle Theorie, aber einem wahren Meister über die Schulter zu schauen ist ein Vergnügen und geistiger Mehrgewinn. Da gehen Welten auf, welche in uns schlummernde Regungen zur Kunst (hoffentlich) zum Leben erwecken, oder steigern.
Ein wahrer Leuchtturm künstlerischen Wissens ist Henri Matisse (1869-1954).
Er hat seine Malerei kaum in die Abstraktion locken lassen. Er malte bis ins hohe alter mit juvenilem Feuer stellte die irrwitzigsten Farben nebeneinander und trotzdem wurde es nie bunt. Da ist zweifellos Genie dabei, Der Künstler hat sich aber auch mindestens 20 Jahre der Ausbildung gewidmet. Im Louvre kopierte er alte Meister, orientierte sich an den großen Bildhauern August Rodin und Maillol und eignete sich ein vorzüglich technisches Fundament an. So hat er Großes geschaffen, sein maltechnisches Wissen aber in seinem Kopf gelassen und nicht auf die Leinwand gebracht. Man kennt das von anderen Größen: „Du musst alles wissen, um es dann zu vergessen“.
Um 1941 führte der Schweizer Kunstkritiker Pierre Courthion neun Gespräche mit Henri Matisse. Es sollte ein Buch daraus werden, aber der Wunsch des Kritikers wurde nicht erfüllt. Der Verleger zierte sich kleinmütig, Freunde von Matisse stellten dem Projekt ständig ein Bein. Irgendwann war die Luft raus und der Staub des Vergessens darüber. Vor einigen Jahren wurde das Manuskript im Getty Research Institut ausgegraben und ins Englische übersetzt. 2016 machte sich der Kunst-Musik- und überhaupt -Kulturmensch Thomas Bodmer ans Lektorat, übersetzte alles vortrefflich aus dem französischen Originalmanuskript. Schon beim durchblättern spürt man das Herzblut, das in diesen Buchdeckel einfloss.
Jetzt kommt’s: Die Kunstwelt ist mir reichlich suspekt, Vernissagen sind mir lähmendes Grauen, (die Leute immer den Rücken zu um Kunstwerk, das Glas mit warmem Prosecco gefüllt und mit angewinkeltem Zeigefinger die eigene Wichtigkeit dirigierend…). Wer aber von dem großen Meister Matisse an die Hand genommen wird, der folgt keinem Dozenten, oder hochfliegendem Guru, sondern tiefer Erfahrungen. Henri Matisse erzählt in einfachen Worten, wie es diejenigen tun, die wirklich etwas wissen. Also das Gegenteil wie so mancher Kunsthistoriker sich ans Werk macht.
Und: Wer zur Kunst bisher nur oberflächlich Zugang empfand, für den beginnt mit diesem Buch ein neues Leben für die Kunst. Aha, sagt nun der kritische Leser, was für ein Pathos, trief, trief…
Keineswegs, in dem Buch hat alles Hand und Fuß. Im Titel ist der Begriff “Plaudereien” zu finden. Schön und Recht. Gemeint ist, die zielgenaue, einfache Sprache denke ich, dass auf keiner Seite, nirgends die verbale Luftpumpe des Kunstbetriebs angeworfen wird. Wem gewisse Namen der Kunst des frühen 20. Jahrhunderts nicht geläufig sind, der mache es wie ich, und hat das Handygoogle neben sich.
Eines habe ich von Matisse auch gelernt, ich werde bis an mein Lebensende arbeiten, einfach aus dem Grund, weil ich erst auf halber Strecke angelangt, und noch lange nichts vollendet habe.
“Deshalb arbeitet man sein Leben lang und will bis zum letzten Moment arbeiten, wenn man nicht aufgegeben hat, wenn man die Neugierde nicht verloren hat, wenn man es sich nicht in der Routine bequem gemacht hat.”
Nicht jeder hat so einen Beruf, aber meine Meinung zu Leuten mit Berufsverbot oder Pensionisten im Lockdown: Fangt an, irgendeinen Spleen zu pflegen, gerne Modelleisenbahn, Flugmodelle, Legohäuser, Base-Jumping, Beatboxing, Bauchtanz, Bierbrauen, teuflisches Kochen undsoweiterundsofort. Nichtstun bringt rasant den Tod.