Vincents Tagebuch

Im Schwäbischen küsste man seit jeher seine Geliebte.

von | 1. März 2020 | Tagebuch

Das wusste ich als kleiner Bub irgendwie vom Hörensagen. Dass meine Mutter mich jemals geküsst habe, kann sein, ich aber erinnere mich daran nicht. Sie liebte mich sehr, das war sowieso klar, das mussten aber nicht durch Backenschmatz manifestiert werden.

Dann beobachtete ich als Schulbub auf dem grisseligen Schwarz-Weißfernseher meiner Eltern. Wie sich Politiker umarmten. Man nannte das Bruderkuss. Sehr gut ist mir im Gedächtnis wie der russische Superego Nikita Chruschtschow das andere Machtmonster Leonid Breschnew umarmte. Ich schaute genau hin ob nicht einer dem anderen ein Messer in den Rücken stach. Ein gruseliger Anblick.

Irgendwann hatte ich dann als erfolgreicher Koch den Zugang zu besseren Kreisen, die sich nach französischer Unsitte zweimal, dann dreimal auf die Wangen küssten.

Ich weiß nicht welcher Prominente mal den Ausspruch von sich gab, er müsse 70 mal irgendwelche Weiber küssen, bis eine dabei wäre wo er es gerne täte.

Ich komme aus einer schwäbischen Community, da küsste man nur die Frau, mit der man gerne ins Bett steigen wollte. Das lässt sich nicht mehr aufrechterhalten denn bei der heutigen Rundum- und Rudelküsserei wäre das zuviel der Promiskuität.

Und jetzt haben wir unglücklicherweise den Coronavirus in den Frühlingslüften. Auch mit Unglück kommt man weiter im Leben. Nun kann ich endlich mal die mir seit jeher so unangenehme Küsserei verweigern ohne jemanden zu beleidigen.