Vincents Tagebuch

Der Schaum der Tage

von | 15. Februar 2020 | Allgemein

Es begab sich in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts, als Boris Vian noch die Tantiemen seines Erfolgsbuches „Der Schaum der Tage“ erleben durfte. Damals begriff ich schon, dass Schaum etwas ganz Besonderes sein müsse und das Innere meines Kopfes fühlte sich häufig auch so an. Manchmal der totale Verlierertyp, manchmal auch Überflieger, langsam und ungeschickt tastete ich mich in an das Erwachsenwerden heran. Mit hochrotem Kopf und Hochgeschwindigkeitspuls stotterte ich in einer Apotheke meinen Kaufwunsch einem Fräulein entgegen. Ein Verhütungsmittel war mein Begehr, eine Tablette, die man der Liebsten nicht in den Mund steckte, sondern – na ihr ahnt es. Jedenfalls erzeugte diese Art Brausetablette einen Schaum, der nicht einmal eine Mikrobe überleben ließ. Wenn ich von Schaum rede, so darf man sich darunter etwas Leichtes, Schwebendes, Anregendes vorstellen. Und ein bisschen Erektionsstimulanz sollte auch sein. Doch weit gefehlt, wir sollten lieber von Bauschaum, Dichtungsschaum oder Hartschaum reden. Die Zeit vor der Antibabypille war in jedem Falle verkrustet und hart.

Warum ich Ihnen von meinen Fortpflanzungsbemühungen erzähle? Um eine ausführliche, mutig offene Antwort bin ich nicht verlegen. Ich muss allerdings einräumen, dass die Messlatte der Verdruckstheit mit fortschreitendem Alter, wenn auch hüftsteif, eins ums andere Mal tiefergelegt wurde. Die Bemühungen um political correctness, eine der Grundfesten der Grünenpartei, solcher Feinsinn ist mir auf der Zielgeraden des Lebens etwas abhanden gekommen. Aber gemach, meine Damen und Herren, eigentlich wollte ich über die Vorsokratiker referieren. Das wäre mir auch gelungen, hätten meine Gedanken mich nicht in die Bodennebel der Anno-Dunnemals-Schaumtablette hineingetappert.

Jetzt ist es mir wieder eingefallen, warum ich heute Nachmittag, liebe Leserinnen und Leser, vom Schaum vergangener Tage zu den pubertären Schrecken der damaligen Schlagsahne-Vagina hinüber albtraumte.

Ja, es gibt noch wesentlich Schrecklicheres als Jugenderinnerungen. Es scheint die Nachmittagssonne und ich sitze in einem Straßencafé. Aus dem Inneren der Cappuccino-Hölle wummert Drum’n-Bass. Der junge Kellner, ein sportstudioversehrter Tatoo-Held wackelt mit seiner Glatze, die er stolz dem Cappuccino hinterher trägt. Das Besondere an seinem Kahlschlag ist, dass seine Mauser von Ohr zu Ohr reicht und obenauf wie eine Insel ein Pferdeschwanz ums Überleben zittert. Das in Olivenöl marinierte Haarteil zottelt und wippt mit jedem Schritt.

Doch lassen wir das jetzt mal beiseite und wenden uns etwas Erfreulicherem zu: Potzblitz, der Capuccino sieht optimal aus. Der Mann hält bei allen Handicaps die Spur, und mein Cappuccino wird nicht verschüttet. Das wäre auch ganz unmöglich, denn der Cappuccino hatte, nach erster Überprüfung obenauf eine Hartschaumkappe, die mich an meine jugendlich-hochnervösen Übungen erinnerte. Ich setzte die Tasse an den Mund, war aber außer Stande den kompakten Schaum einzusaugen. Erst als ich den Rat meiner Altvorderen berücksichtigte, die immer davon sprachen, das man beim Trinken gefälligst sich zurücklehnen solle (beim Essen vorliegen und beim Arbeiten hinliegen), gelang es mir unter die Milchwatte zu gelangen und mir den Espresso abzusaugen. Der Schaum des einundzwanzigsten Jahrhunderts blieb in der Tasse zurück.

Egal, ich hatte ja meine Einkaufstour durch Stuttgart nur unterbrochen, um mich von meinem Harndrang zu erlösen. Als das erledigt, ich meinen Obolus geleistet und mich vom Korbstühlchen erhob, grinste mich immer noch frech der unzerstörbare Schaum an, der sich mit Aplomb für alle Zeiten in der Tasse eingenistet hatte. Nun bin ich mir sicher und gewiss: Nie mehr Cappuccino in Straßencafés, allenfalls auf der Terrasse des Gritti Palace in Venedig. Ich werde mir ab heute, ganz “old school” immer einen Milchkaffee bestellen, keine verdammte Latte Macchiato, die man in Italien erfunden hatte, um Kindern die Welt der schwarzen Bohne näher zu bringen. Ich will auch keine Classic Latte Creamica, keinen Coffee Frapuccino, keine Flavoured Latte, und keine Caramello Latte. Nein, Milchkaffee muss es sein, auch wenn dieser Begriff mittlerweile nahezu unbekannt ist. Und wenn schon kein Milchkaffee, dann eben Caffè Latte. Es könnte natürlich sein, der Umstand wird wahrscheinlich eintreten, dass mir der Kellner, der wie ein Süditaliener aussehen könnte, aber in astreinem Türkdeutsch dann erwidert: Ey Mann, ich oft krass Latte, aber nixe jetzt.