Vincents Tagebuch

Interview mit Wiglaf Droste

von | 4. Dezember 2019 | Allgemein

Ein Interview von 2004. Mein Freund Droste war schon ein bemerkenswerter Typ und sollte nicht vergessen werden.

Herr Droste, haben Sie heute schon etwas gegessen?

Ein paar Tassen Kaffee.

Sonst nichts? Sie essen doch so gern.

Ja. Aber wenn man im Bandbus sitzt und über eine Autobahn fährt, dann gibt es da nichts, das man gerne äße.

Zu Hause kochen Sie leidenschaftlich und häufig. Nach Rezept oder nach Gefühl?

Das geht nach Gefühl. Und das Gefühl wird immer klarer und deutlicher, je länger man das macht. Wenn ich einmal wirklich nicht weiter weiß, gibt es zum Glück mindestens drei Leute, die ich fragen kann.

Oft lernt man das Kochen von Freunden.

Genau. So hat die Freundschaft mit Vincent Klink mein Leben ganz entscheidend verändert. Man sieht das auch äußerlich: Ich habe die Reste einer Taille gegen eine große Freundschaft getauscht – und würde es jederzeit wieder tun. Was Vincent Klink kocht, findet auf einem anderen Planeten statt als auf meinem Küchenplaneten, aber es ist unglaublich inspirierend.

Und das wollen Sie auch können?

Darum geht es gar nicht. Es geht darum, dass man ein Verhältnis zu dem entwickelt, was man da tut und was man da futtert. Und je inniglicher dieses Verhältnis ist, desto mehr Phantasie entwickelt man.

Die Sinne werden schärfer?

Wäre ich vor 15 Jahren über einen Markt gegangen, dann hätte ich auch gesehen, was da liegt, aber ich hätte mir noch nicht vorstellen können, was ich daraus alles machen kann. Jetzt sehe ich etwas und denke: Oh, genau, daraus könnte ich das und das kochen. Das ist wie mit allen anderen Sinnen auch: Je mehr man sie entwickelt, desto komplexer und feiner werden sie. Es ist wie mit der Sprache: Je mehr Möglichkeiten einem zur Verfügung stehen, desto aufregender ist es, sie zum Einsatz zu bringen.

Über Eckart Witzigmann wurde mal gesagt, er berühre das Kochgemüse, als würde er eine Frau berühren. Ihm wurde eine gewissen Erotik im Umgang mit der Nahrung unterstellt. 

Ich kenne Eckart Witzigmann nicht persönlich, weiß aber, dass er für die kulinarische Entwicklung in Deutschland ein entscheidender Mann gewesen ist. Deshalb ist es auch relativ traurig, ihn dieser Tage auf dem Titelblatt von »DB Mobil« zu sehen, zusammen mit dem Schmecklecker und Kochlöffel Alfred Biolek. Den Begriff Erotik möchte ich im Zusammenhang mit Kochen und Essen nicht mehr verwenden, auch wenn er ursprünglich einmal gestimmt hat. Weil er aber so inflationär und korrupt gebraucht wurde und wird, kann er nicht mehr stimmen. Wenn auch Alfred Biolek von der Erotik des Kochens redet, dann ist das verbrannt, dann geht das nicht mehr.

Mit Vincent Klink bringen Sie im Eigenvertrieb eine Kochzeitung heraus, die »Häuptling Eigener Herd« heißt. Wie ist denn das passiert?

Es gibt ein Bild des Zeichners Rattelschneck mit dem Titel »Häuptling eigener Herd«. Da sieht man einen Indianer auf einer geöffneten Herdklappe thronen. Diese Zeichnung hat Vincent Klink sehr gefallen. Zu der Zeit gab er den „Kulinarischen Almanach“ bei Klett-Cotta heraus. Dort kippte die Redaktion drei schöne Texte, die er organisiert hatte, einfach aus dem Blatt. Statt sich groß aufzuregen, folgte Vincent Klink seinem Naturell und beschloss: „Gut, dann ist das der Fundus für etwas Neues, das wir machen. Einen Namen haben wir ja schon.“ Das erste Heft erschien vor knapp fünf Jahren, war schmal, grau und ganz einfach broschiert. So war der Häuptling geboren. Vincent fragte mich, ob ich nicht mitmachen wollte. Ich fühlte mich geehrt und bin seitdem Juniorherausgeber.

Durch Mundpropaganda ist Ihre Zeitschrift immer bekannter geworden. Sie erscheint nun vier Mal im Jahr im Buchformat. Wie entsteht denn der »Häuptling«? Stehen Sie da mit dem Herrn Klink am Herd und denken sich was aus?

Nein, nein, gar nicht. »Häuptling eigener Herd« ist eine kulinarische Kampfschrift. Sie lachen, weil Sie denken, dass es das nicht gibt – früher gab es so etwas ja auch tatsächlich noch nicht. »Häuptling eigener Herd« hat nichts zu tun mit Zeitschriften wie »Essen und Trinken«, schon rein äußerlich nicht. Es gibt bei uns keine Fotos. So etwas wie Lebensmittelfotografie machen wir nicht. Wir besprühen kein Gemüse und wir lackieren auch keine Fische, damit sie aussehen, wie sie in Wahrheit nie aussahen. Diese Art von Lüge gehört zu dem, gegen das sich der »Häuptling« richtet.

Bei Ihnen wird die Möhre halt gemalt.

Jedes Heft wird von einer Zeichnerin oder einem Zeichner durchgehend illustriert, und dabei haben sie freie Hand. Künstler kann man nicht knechten. Die angemessene Strenge unserer Redakteurin ist den Autoren vorbehalten, auch den Herausgebern. Wir haben wissenschaftliche Autoren, die in der Lage sind, sehr komplexe wissenschaftliche Vorgänge, die mit Essen zu tun haben, so aufzuschreiben, dass sogar ich, in Bio, Physik und Chemie immer eine Niete, diese Vorgänge verstehen kann.

Und dabei geht es nicht immer um Feinschmeckerei.

Wenn es ums Essen geht, also um die Frage, was denn nun drin ist in der Nahrung, die man uns anbietet, kann es ziemlich unappetitlich werden. Zum Beispiel: Wie werden künstliche Aromen hergestellt? Was geschieht in den Giftküchen von Maggi, Knorr und Nestlé? Das sind Texte, die nicht gerade appetitanregend sind. So etwas finden Sie nicht in »Essen und Trinken« oder im »Feinschmecker«, sonst wäre es dort schnell vorbei mit den Anzeigen der Lebensmittelhersteller. Der »Häuptling« ist inserentenfrei und wird das auch bleiben.

Ist Kochen mit Maggi ein Verbrechen?

Man muss es wenigstens einmal gemacht haben, um zu wissen, wie es ist. Ich halte nichts von Kochen von und für Bessermenschen. Selbstverständlich darf man sündigen und wider besseres Wissen handeln. Sonst wäre das Leben unerträglich.

Ihr schlimmstes Ess-Erlebnis?

Der Comiczeichner Jamiri und ich hatten nachts in Bochum verschiedene Getränke zu uns genommen und wurden dann nach Essen gefahren. Plötzlich überkam uns wütender Hunger, Alkohol macht ja auch hungrig. Ich will den Vorschlag, bei Burger King vorbeizufahren, gern auf Jamiri schieben. Wer auch immer es einstielte: Wir taten es. Am Drive-In drückten wir auf den Knopf und bestellten etwas. Dann gab uns ein Mann eine Tüte und sagte: „Guten Appetit.“ Daraufhin entrang sich mir reflexartig die Replik: „Ihren Zynismus können Sie sich sparen.“ Wir haben das dann gegessen und zügig wieder erbrochen.

Synchron?

Nein, nacheinander. Aber so war das. Und nur die Firma Burger King hatte etwas davon.

Ein höchst unerfreuliches Erlebnis.

Ja, schon – aber bei Burger King weiß jeder, was er tut, wenn er da hingeht. Da ist die Strafe gleich mit drin. Viel schlimmer ist dieses Feintuerische, wo dann nichts stimmt und die ganze Zeit so getan wird, als wäre die Speise mit Liebe und Sorgfalt gemacht, in Wirklichkeit aber nur Convenience-Food ist, das aufgewärmt und hingestellt wurde. Es gibt mittlerweile einen regelrechten Genusszwang. Genussfähigkeit ist ein Statussymbol wie früher der BMW. Heute stellen die Leute ihre angebliche Genussfähigkeit im Restaurant aus. Man sitzt irgendwo, was man bekommt, ist eher von der Sorte Der-Hunger-treibt’s-rein oder Nepp oder allenfalls essbar. Aber am Nebentisch isst jemand das auch und macht die ganze Zeit: „Hmmm, aaahhh, ooohhh!“ Wie er’s eben im Biolek’schen Kochstudio gelernt und abgekuckt hat. In der Maggi-Werbung heißt es auch immer: „Genieß es!“ – das ist ein gnadenloser Befehl.

Ging Ihre Leidenschaft für gutes Essen einher mit der Quittierung Ihrer Rauchgewohnheit?

Ich war lange Zeit Gelegenheitsraucher und somit das Objekt des Neides aller Suchtraucher. Aber ich kann bestätigen, dass Ihnen Ihre Atemwege applaudieren werden, wenn Sie aufhören zu rauchen. Die freuen sich richtig, die Stimmbänder übrigens auch. Die positiven Aspekte des Nichtrauchens sind ja gar nicht zu bestreiten. Es muss aber freiwillig sein. Wenn ich ins Kino gehe und von einem Nichtraucherspot angeduzt werde: „Hör auf!“, dann empfinde ich das als hundert Mal belästigender als eine bestialisch vollgerauchte Kneipe.

Und werden Protestraucher?

Nein. Aber wenn es irgendwelche Nichtraucherpropagandaschreiber zu weit treiben, schreibe ich auch schon mal einen flammenden Gegentext. Eben nicht, weil ich unbehelligt rauchen möchte, sondern weil der Nichtraucherfanatismus so verbohrt und kriegerisch ist. Da ist in den letzten Jahren ein Vokabular aufgetaucht, das von dem widerlichen Wort „Volksschädling“ nur noch einen halben Millimeter entfernt ist. Da bin ich äußerst empfindlich, und es gilt die Regel: Was ihr getan habt dem geringsten unter meinen rauchenden Brüdern, das habt ihr mir getan.

Wann geschehen?

Als ich mit Gerhard Henschel in einer Großbuchhandlung auftrat und er vor der Lesung eine Zigarette rauchen wollte, hieß es, das ginge nicht, man habe aber ein Raucherzimmer. Das war eine Art Besenkammer, ein richtiger Raucherdiskriminierungsverschlag, in den er da hineingetan wurde. Ich fragte den Buchhändler, wieviele Angestellte dort arbeiteten. Es waren 18, und 12 von ihnen rauchten. Ungläubig fragte ich: „Und die müssen alle in dieses Kabuff, sich im Gestank zusammenkauern und rauchen?“ Seine Antwort war desillusioniert: „Ja, zur Strafe.“

Wollen wir ein bisschen über Kleinstädte reden? Sie sind in einer geboren, nämlich in Herford, und noch heutzutage halten Sie sich oft in Kleinstädten auf, weil Sie dort lesen, mitunter in den kleinsten Clubhäusern. Macht das Spaß?

Das kann richtig gut sein, ganz fürchterlich und alles dazwischen. Im vollen Saal der Berliner Volksbühne kann jeder reüssieren. Da sitzen dann 700 Leute, und da schafft es auch ein Blender, weil sich das Publikum schon rein zahlenmäßig sicher ist, dass der Abend einfach klasse sein muss. Kleinstädte, nennen wir sie Herford, Hettstedt oder Heidenheim, sind eine ganz andere Herausforderung.

Inwiefern?

Die Leute kriegen mit, ob man lügt oder nicht. Landeier sind misstrauisch. Sie erwarten oft, dass sie gehauen werden, dass fiese, arrogante Sachen gesagt werden wie: „Also hier ist ja nun wirklich gar nichts los – pfffthhh! Da sind wir aber was ganz anderes gewöhnt!“ Das ist peinlich, diese Großstadtmensch-Attitüde der Provinz gegenüber.

Die Hotels und Gasthäuser, in denen Sie in diesen Kleinstädten nächtigen, haben die eine besondere Romantik? Oder ist das alles schauerlich?

Es gibt Hotelzimmer, die einem klarmachen wollen, dass sich das Leben als Schriftsteller und Sänger vom Leben eines Vertreters mit Musterkoffer zuweilen nicht fundamental unterscheidet. Die inoffizielle Formulierung dafür ist: Vertretereiweiß. Wir hatten aber auch schon braungerauchte Gardinen und Blutflecken auf der Auslegeware.

Klingt nicht romantisch.

Ist es auch nicht. Ich werde gerne mit dem größtmöglichen Respekt behandelt – in jeder Hinsicht. Und weiß ein schönes, komfortables Hotelzimmer auch deshalb sehr zu schätzen.

Möchten Sie uns trotzdem ihr schauerlichstes Lesereisenerlebnis erzählen?

Es gibt zu viele. Aber eine Geschichte kann ich erzählen, weil sie sich zunächst so anhört, als hätte sie mit Rock’n’Roll-Gehabe zu tun. In Wirklichkeit handelt sie aber von reiner Verzweiflung. Das Spardosen-Terzett und ich gastierten in Greiz in Thüringen. Wir hatten ein Hotel, das sogar halbwegs passabel war. Allerdings hatte es keinen Nachtportier, und an den sehr massiven Zimmertüren gab es außen nur einen Knauf. Wenn also die Tür zu und der Schlüssel drinnen war, dann war man draußen. Mein Kollege Rainer Lipski, der Besuch von seiner Frau hatte, klopfte und fragte mich, ob ich noch etwas zu Essen und zu Trinken hätte. Ich hatte noch Käse und Wein im Zimmer und rief, ja klar, ich bringe dir das raus. Ich war auf dem Weg ins Bett und trug noch mein Hemd, eine Weste und meine Unterhose, sonst aber nichts mehr. Als ich Rainer Lipski die Sachen auf dem Flur kurz in die Hand drücken wollte, fiel die Tür hinter mir zu. Der Schlüssel war im Zimmer, die beiden anderen Kollegen, Mickey Neher und Kai Struwe, waren nicht zu erreichen, und zu Rainer und seiner Frau wollte ich mich auf keinen Fall als Störenfried ins Zimmer legen. An der unbesetzten Rezeption gab es immerhin eine Notfallnummer. Ich wählte sie, aber niemand ging ran. Es war mittlerweile halb drei Uhr morgens, draußen war es kalt, ich hatte keine Hosen an,  und Rainer Lipski ist sehr dünn und konnte mir folglich auch keine Hosen leihen. Da tat ich aus Verzweiflung etwas, das ich eigentlich abgrundtief verabscheue: Ich trat diese Hotelzimmertür auf. Hotelzimmertürauftreter waren für mich bis dahin unfassbar blöde Rockmusiker in Lederklamotten mit Haaren bis sonstwohin, Typen, die keinen Satz sagen können, bei dem man nicht vor Langeweile oder Ekel stirbt. Aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.

Immerhin: Sie waren drin. 

Ich habe die Tür dann angelehnt, eine Tasche davor gestellt und bin schlafen gegangen. Am nächsten Morgen wachte ich auf, sah die Tür und dachte nur: Nein, wie peinlich! Ich zog mich an und ging zur Rezeption, um die Sache zu klären. Da aber standen mit panikgeweiteten Augen drei Damen, die, während sie angstschlotternd mit den Fingern auf mich zeigten, im tiefsten thüringischen Dialekt riefen: „Do kommt do Tredor! Do kommt do Tredor!“

Sie aber haben Ihren Charme spielen lassen, und alles war gut?

Ich wollte erklären, wie es dazu gekommen war, aber die Frauen wichen nur zurück und sagten: „Mer hole den Schäff!“ Die dachten wahrscheinlich, ich würde gewalttätig werden. Es war nichts zu machen. Dann kam dieser Chef, sah mich an, als wolle er mich in Eisen legen lassen und schob mir einen Zettel zu, auf dem stand: „Schulderklärung.“ Die hatte er eigenhändig geschrieben. Darin musste ich meine Schuld bekennen und versichern, dass ich für alle finanziellen Folgen rückhaltlos aufkommen würde, ansonsten würde er die Polizei holen. Trotz dieser albernen Drohung unterschrieb ich – auch das gehört zur Peinlichkeit des Hoteltürauftretens.

Ihr früherer Schlagzeuger, Kalle Mews, meinte kürzlich, wenn Sie auf der Bühne stünden, sei das Rock’n’Roll. 

Kalle Mews war lange beim Spardosenterzett, bis Anfang 2000 haben wir zusammen gespielt. Er ist dann zu Ulrich Tukur und den Rhythmus-Boys gewechselt. Kalle Mews ist ein Bühnenviech. In diesen Einmeterzweiundfünfzig steckt mehr Energie als in der ganzen Stammelf von Borussia Dortmund – zumindest in ihrem jetzigen Zustand. Wenn Kalle Mews sich auf der Bühne manchmal überhaupt nicht mehr bremsen konnte und allzu burleske Faxen machte, habe ich ihm schon mal mit Zwergenwerfen gedroht – zum Entsetzen des Publikums und zur großen Freude von Kalle Mews.

Haben Sie eine Definition für Rock’n’Roll?

Rock’n’Roll ist das Gegenteil von peinlichen Auftritten in Hotelzimmern. Rock’n’Roll heißt, auf der Bühne Dinge zu tun, die das Publikum nicht von einem erwartet. Keine Jukebox zu sein, Erwartungen immer wieder zu durchkreuzen. Weder mit dem Publikum rumzukumpeln noch eine ausgeleierte Publikumsbeschimpfung abzuliefern – eben wahrhaftig zu sein.

Also suchen Sie beim Lesen auf der Bühne nach Brüchen zwischen sich und dem Publikum?

Wenn ich merke, wie die Leute plötzlich ganz still werden, wie sie ein Thema mehrheitlich ganz anders betrachten als ich, dann entsteht ein schöner, gefährlicher Moment, da schrammt man am Abgrund, da kann man abstürzen oder die Kurve kriegen oder abstürzen, das ist ohne Netz. Widerspruch im Saal ist eine Herausforderung, sehr reizvoll.

Der Bruch?

Ja klar – wenn alle einer Meinung sind, ist man wahrscheinlich im Kabarett.

Woher kommt eigentlich Ihre Liebe zur Sprache?

Die begann sehr früh, schon dadurch, dass meine Eltern uns leidenschaftlich gerne vorlasen, und zwar Sachen, die meine Brüder und ich leidenschaftlich gerne hörten.

Zum Beispiel?

»Tobias Knopf« von Wilhelm Busch. „Wie erschrak die Gouvernante, als sie die Gefahr erkannte.“ Oder Ringelnatz-Gedichte. Das weckte meine Leidenschaft, Sprache auch als etwas Klangliches zu verstehen, als etwas, mit dem man spielen kann.

Wird das Schreiben schwieriger, je mehr man geschrieben hat?

Ganz im Gegenteil. Je mehr man sein Instrumentarium entwickelt und verfeinert, desto präziser kann man sich ausdrücken. Das ist wie mit der Malerei und in der Musik. Und der Überdruss, den man gelegentlich empfindet, ist kein Überdruss am Schreiben, sondern ein Überdruss an einem Betrieb, in dem alles rausgekloppt wird und alles dem Warenwesen unterworfen ist. So ist es nun mal: Auch schönes Schreiben im Konsumismus ist Schreiben im Konsumismus.

Wenn man Texte über Wiglaf Droste liest, liest man oft die Worte „Weltverneiner“ und „Zyniker“. Sind Sie das?

Ich bin eher erstaunt darüber, dass es sich doch eher nur um Quartalsweltverneinung handelt – und das in Verhältnissen, in denen Dummheit, Gemeinheit und Widerlichkeit Hochkonjunktur haben. Was ist denn ein Kritiker wert, der nicht mit nötiger Deutlichkeit sagt: Hier ist nichts das, für was es ausgegeben wird. Wenn sich der gesamte Kulturbetrieb darauf einigt, dass irgendetwas ganz groß ist und alle es brauchen, obwohl es einfach nur zum Davonlaufen ist, dann ist doch derjenige ein Zyniker, der das weiß und trotzdem das Gegenteil schreibt, um dabei zu sein. Das ist Betriebszynismus.

Sie besitzen seit Jahren keinen Fernseher. Warum eigentlich nicht? Um kein Zyniker zu werden?

Fernsehen ist, aktiv wie passiv, eine Zeitvernichtungsmaschine. Um drei Minuten Fernsehen herzustellen, brauchen jede Menge Leute jede Menge Zeit. Und auch für den, der sich das ankuckt, ist es Zeitvernichtung. Irgendwann war mir das einfach zu blöd.

 Haben Sie trotzdem mal eine Folge von »Baywatch« oder »Knight Rider« gesehen?

»Baywatch« sah ich. Man kann das ganz leidenschaftslos betrachten: Für nichts, das da gezeigt wurde, war ich die Zielgruppe.

Würden Sie trotzdem mal mit David Hasselhoff essen gehen?

Nicht eher trinken? Aber warum sollte ich? Ich kenne ihn nicht, habe ihn aber einmal gesehen, als er 1989 auf den Resten der Berliner Mauer stand und »I’ve been looking for freedom« sang. Er hatte eine Jacke an, in die kleine blinkende Glühbirnen eingearbeitet waren. Wir hätten also schon große Probleme mit der Kleiderordnung. Träger blinkender Jacken sind mir sehr suspekt. Auch der Text dieses Liedes konnte mich nicht überzeugen – es geht dabei genau um die Freiheit, in solchen Jacken herumzulaufen und die Sorte Irrsinn zu behaupten, für die David Hasselhoff steht und fällt.

Sie tragen Anzüge. Immer?

Seit einigen Jahren. Dass ich eine Weste trage, hat sicherlich auch den Grund, dass unter dieser Weste etwas Rundes wohnt. Aber es ist nicht nur das. Der Terror der Intimität kommt ja auch im öffentlichen Tragen von Freizeitkleidung zum Ausdruck – es ist erstaunlich, wieviele Menschen äußerst private Regionen ihres Körpers rückhaltlos vorzeigen. Diese Form der Verwahrlosung löst verständlicherweise Skepsis aus, in Härtefällen sogar Abscheu. Wenn Sie in einem eleganten Anzug durch die Welt gehen, zeigen Sie einen gewissen Willen zur Gestaltung: Sie geben sich und Ihrer Welt eine Form. Das wird honoriert. Es ist ja auch weit mehr als nur eine Äußerlichkeit. Ein Mann, der einen guten Anzug gut zu tragen weiß, signalisiert seinem Gegenüber, dass er auf sich achtet.