Vincents Tagebuch

Maultaschen Hawai

von | 6. April 2019 | Tagebuch

Maultaschen Hawaii
Es ist schon verdammt lange her, aber gerade fällt mir dies Erlebnis wieder ein. 
Mittwoch morgen. Nach starker innerer Sammlung lasse ich tapsend das Bett hinter mir, wie ein Boxer die Ringecke nach zwölf Runden. Was ist bloß los? Was war geschehen? Es war keine Prügelei, nein ich hatte mich doch nur mit drei Bierchen kasteit. Kein Starkstrom, rein nichts.
Gerhard Polt und die Biermösln waren “in town”. Glauben Sie mir lieber Leser, Zwerchfell und Peristaltik waren nach dem Showdown der Bayern ordentlich gedehnt und durchgeschüttelt. Ich war für leibliche Genüsse wahrlich gerüstet. Beim Anblick der pumperlgsunden Bayern kam dann auch alsbald Hunger auf. Ich hatte mindestens seit zwei Stunden nichts mehr gegessen. Also gleich nach dem Konzert in die Kneipe. 
“Maultaschen?” “Kein Problem, gebongt!” Etwas später stand ein staunenswerter Teller vor mir. Hawaitoast? Schwarzwälder Obsttorte? Das Meisterstück eines Konditors? Jedenfalls Leberkäs “Hawai” war es nicht. Diese Rezeptur ist unter Copyright von Gerhard Polt. Wir rätselten, es war ein uns völlig unbekanntes Gericht. Endlich mal was Neues? 
Die schöne schwäbische Serviererin insistierte mit charmantem Starrsinn, daß es doch die bestellten Maultaschen sein müssten. In Gottes Namen!
Ich fange mal oben an: Halbierte Trauben angeordnet in einem mir unbekannten Sternbild. Preiselbeerchen blinkten lustig. Dann Käserahmsauce total. Darunter gratinierte Scheibletten, mindestens sechs Stück. Dann wurde ich fündig, Maultaschen mit der perfekten Geometrie des industriellen Stanzprodukts (da hat man sich ja hierzulande schon dran gewöhnt). Weiter geht‘s mit gekochtem Schinken zwischen den Maultaschen. Der Schinken abgerundet mit Champignons à la Creme. Dann kam der kalte Teller.
Geschmacklich war alles eine Nullösung, alle Zutaten kämpften miteinander, niemand oblag, außer mir. 
Kollege kocht für Kollege, da kann man ja mal was Gutes tun. Ich war mir der Ehre bewusst. Also nichts wie rein damit. Man hat ja auch manchmal die Lust auf das Andere.
Polt kam noch dazu und jammerte über das Bier, das kaum am Tisch wie ein allseits bekanntes Stoffwechselendprodukt im Glas ruhte. Polt hatte gerade Freizeit und war gar nicht lustig. Keine Stimmung kam auf. Er hatte sich dem Publikum zuliebe, und zur Begeisterung aller die Seele aus dem Leib geschrien, die Biermöseln laborierten noch an der Walburgisnacht im Künstlerhotel. Biermösel – Hansi hatte für eine Schnadahüpflnummer meinen Motoradhelm geliehen. War keine gute Idee in einem Integralhelm lautstark zu singen. Immer noch grün im Gesicht bestellte er sich bald ein Taxi. Alle waren müde und nach dem Schwerstschmankerl; erst recht der Meinige. 
Es ist schwäbische Sitte dass der Teller aufgegessen wird. Sich diese Nachkriegserziehung abzugewöhnen ist schwerer als vom Nikotin runter zu kommen, mir blieb nichts anders als nach vorne durch. Es lief dann den Abend nichts mehr. Nach drei Bierchen kämpfte ich mich die Treppe hoch, schweratmend angefüllt bis ins Hirn. Der ganze Unverdauungsbrei schien die kleinen grauen Zellchen zu den Ohren hinausdrängen zu wollen. Mit nach innen horchendem Verdacht, dass sich im Bauch alles um das Doppelte aufquelle, überkam mich der Fatalismus eines Schiffbrüchigen. Ich fühlte mich als hätte ich die Matte eines Trampolins verschluckt, mit einigen Cocktails von warm verflüssigtem Plastilin obendrauf.  Alles war weich bis zu den Knien hinunter. Bald zuhause schlief ich traumlos. Am anderen Tag war dann auch nicht viel los. Siehe oben.
P.S. Dankbar blicke ich zurück, wenn mir auch alles entfallen ist was die bayerischen Künstler zum Besten gaben. Nur den Gstanzlreim, die Quatratur des bayerischen Volkstums: -a Gsicht is koi Orsch, a Orsch is koi Gsicht-, blieb übrig.