Vincents Tagebuch

Cucina Povera

von | 16. Februar 2018 | Allgemein

Cucina Povera

Mit einer Journalistin vom MDR hatte ich ein kleines Radiogespräch. Der Hintergrund ist schnell erzählt. Die Dame sagte, das ich einen Michelinstern habe aber gar keine Sterneküche auf den Teller bringe.

Ich antwortete: Sterneküche ist heute ein Spitzensport für junge, ehrgeizige Leute. Es hat sich vielerlei Hochklassiges etabliert und meist ist es alles so ähnlich wie mit superteueren Autos. Wenn man drinsitzt wirkt alles sehr super und auf bekanntem Niveau. Nichts dagegen, in der Küche gibt es viele hochklassige Köche, wenige sind wirklich originell und nicht epigonenhaft. Der Dänische Koch René Redzepi führt große Klasse deutlich vor.  Warum er sein tolles Restaurant geschlossen hat, kann ich ahnen. Wer mit seinem Geschäft gutes Geld verdient, der gibt es nicht auf. Er kochte ja mit Ware die nicht unbedingt sehr teuer ist, all das was die dänische Landschaft bot. Sein Personaleinsatz um diese einfache Dinge auf Weltniveu zu bekommen war jedoch erheblich.

Egal, welch tolle Gerichte ein Koch in die Welt setzt, sie müssen auch gegessen werden, also auch Kundschaft finden, die bezahlt. Das ist alles nicht einfach, denn Neues wird anfangs gerne genommen, ob es dann zum Klassiker wird, das zeigt dann der Lauf der Zeit.  Erstaunlich ist übrigens, dass solche Titel wie „bestes Restaurant der Welt“ von Engländer ausgelobt werde. In diesem Ranking spielt beispielsweise Frankreich eine geringe und Italien so gut wie gar keine Rolle. Ich finde das Nachdenkens wert.
 
Wir auf der Wielandshöhe kochen eigentlich ganz einfache Sachen, diese aber mit größtmöglichem Aufwand. Jeden Tag erfreuen sich ungefähr 80 bis 90 Gäste daran. Damit alles klappt sind insgesamt 25 Mitarbeiter am werkeln. Am Material wird überhaupt nicht gespart. Noch nie haben wir mit einem Lieferanten gefeilscht oder den Preis gedrückt. Man bekommt nur beste Ware, wenn man vom Lieferanten geliebt wird, erniedrigt man ihn und feilscht, bekommt man nur selten das Beste.

Man muss zum Lieferanten großzügig sein, zum Personal, zum Betrieb und der Gast wird es merken und auch großzügig sein. Wir verarbeiten mehr Blumen als manches Blumengeschäft. Das hat natürlich alles seinen Preis. Der Gast denkt meist nur an die Ware, die er auf dem Teller hat, und die er vor sich sieht. Unsere hohen Preise rühren nicht davon, sondern daher, dass wir uns viel Personal leisten und dieses ordentlich bezahlen. Ist der Koch nicht glücklich wird‘s nix mit dem guten Essen.

Viele bürgerliche Gasthäuser sind verschwunden, weil die Gäste keine angemesseren Preise akzeptieren als die von dunnemals, als in der Küche noch Omas und Tanten für Gotteslohn schufteten. Diese Zeiten sind vorbei und deshalb auch nahezu die wirklich gut bürgerliche Küche. Mit Hilfe von Maggisaucen und Halbfabrikaten wird Personal gespart und so um‘s Überleben gekämpft.

Kaum zu glauben, aber wahr, die sogenannte einfache Küche, genauso wie die Cusina Povera in Italien, also die Armenküche, sie sind heutzutage teurer als die sogenannte Edelküche mit Hummer, Jakobsmuscheln etc., denn handwerklich perfekt gekochte Hausmannskost ist meist sehr arbeitsintensiv und man kann sie nicht in China von Arbeitssklaven produzieren lassen.

Die Rindsroulade als Beispiel: Sie müsste wesentlich teurer sein als ein Filetsteak, das man bereits portioniert kaufen kann, und das man nur noch in die Pfanne werfen muss. Bei der Rindsroulade braucht es einiges an Gefrickel, Arbeitszeit, Übung, Wissen, und dann ist die Garung auch schwieriger. Will man diese Omaküche anbieten, funktioniert das nicht mit den Oma-Preisen von damals, sondern heute braucht es gutes Personal mit gutem Stundenlohn. Diesen müsste die Wirthauskundschaft bezahlen. Tja, für gefälschte Trüffel wird gezahlt und da liegt der Hase im Pfeffer, genauso wie ein handgeschreinerter Stuhl das Zehnfache kostet, als ein Ikea-Stuhl-Fasifikat.