Vincents Tagebuch

Paul Nizon

von | 11. Februar 2018 | Allgemein

Deutsches Eigenlob gegenüber dem Ausland wird langsam zur Konstanten. 
Sicherlich gibt es bei uns genauso gute Köche wie in Frankreich, aber längst nicht so viele. Ganz entscheidend aber: der französische Esser ist uns haushoch überlegen, die Österreicher, mit denen ich mich gerade intensiv beschäftige, übrigens auch. Man kann mich nun getrost mit faulen Eiern bewerfen, aber in katholischen Ländern, Italien, Spanien, Frankreich, Österreich verstehen die Menschen besser zu leben. 
Es wird wohl niemand behaupten wollen Deutschland wäre ein Feinschmeckerland. Ich vermute bei rund 80 Millionen Bürgern, dass sich höchstens zwei Millionen mit sorgsamem bereiteten Essen beschäftigt. Keineswegs handelt es sich dabei um Leute, die vorwiegend Sternerestaurants aufsuchen. Deren Bedeutungshoheit findet nur in den Medien statt. Häufig ist es so, wer einmal Sterne gegessen hat kann jahrelang darüber renommieren. 
Nein, es geht um das gute Gasthaus, meinetwegen mit korrektem Rostbraten oder Knödel, zubereitet von Köchen/Wirten die nicht den billigsten Krempel einkaufen, aber auch Gäste gewonnen haben, die bereit sind dafür mehr zu zahlen. Viele deutsche Esser sind dazu nicht bereit, und deshalb sind die guten Gasthäuser heute so selten wie ein Meteoriteneinschlag.
Und übrigens: Der hierzulande konsequent unterschätzte, seit langem in Paris lebende Schweizer Schriftsteller, Paul Nizon schreibt in seinem Tagebuch:
Die Luft ist in Deutschland immer etwas dünner, nicht entseelt, aber entfettet. Entzogen ist das Lebensschmieröl, verarmt, eine Art Magerluft, kein Begehren in der Luft, kein Glücksversprechen, kein Erotikum, das sich in die Zirkulation nähme.
Ich meine, Nizon wittert in der deutschen Luft das beinerne Bemühen einer verklemmt-verdrängten Moraldiktatur. Er vermisst Leichtsinn und das Aroma der Illusion. 
Momentan macht ja der Wiener Opernball Furore. Im Grunde ein Schwachsinn, aber trotzdem, herrlich menschlich, überflüssig, unvernünftig, hedonistisch, und letztlich der reine wunderbare Humanismus. Schön wird meiner Meinung nach das Leben erst durch Unvernunft. Diese zu pflegen ist eine Art Lebenskunst und letztlich auch gottgefällig. Und wer es nicht mit dem lieben Gott hat, der lebt lieber heute in Jauchzen und Walzerdreh, als womöglich die Freude auf’s Jenseits zu verschieben, das es wahrscheinlich gar nicht gibt. 
Ach die Österreicher: Ehrlich gesagt, ein Volk das solche Spinnereien pflegt, kann nicht ganz schlecht sein. 
Was den Rechtsradikalismus dort angeht, so habe ich den Eindruck, dass das alles längst nicht so brutal ist wie in Deutschland. Viel Kasperltheater, so will ich wenigstens hoffen. Im Grunde kenne ich die Österreicher allesamt als Pazifisten. Sie haben seit Friedrich dem Großen nahezu alle Kriege verloren. Das wundert mich nicht. Mein Vater war Stabsveterinär-Leutnant bei einer österreichischen Gebirgsjägerdivision. Mit Heldengebrüll warf man sich auf den Feind,-  wo keiner war. Wie mir mein Vater erzählte kam “Freund Schnürschuh” meistens zu spät, weil man zu lange gevespert hatte oder sonst einen Kater hatte, oder der Kommandeur ganz einfach verschlafen hatte.