Vincents Tagebuch

Risotto

von | 2. Mai 2017 | Tagebuch

Ach ja, der Risotto,
eine tragische Speise. Was hat er uns angetan, dass wir ihn so misshandeln.
 
Der allseits beliebte Risotto unterfinanzierter Studenten-Wohngemeinschaften klumpt meist trittfest auf Ikeatellern und erinnert häufig an ein Wurfgeschoss. Der echte Risotto  hat nichts mit einer Sättigungsbeilage zu tun. Er glänzt durch massig viel Butter, ist leicht flüssig und da kratzt nichts an der Gurgel.
Der berühmte  kulinarische Schriftsteller Wolfram Siebeck warf der italienischen Küche immer wieder eine gewisse Infantilität vor. Eindeutig hat er Recht. Man denke an das postnatale Spaghettisaugen und an das Nudelnschlürfen. Und wie man sich mit kindlicher Lust das Maul über den Teller hängt. Risotto bedient diese Mutterbrustsehnsüchte  auf’s Wunderbarste. Ist es nicht gerade das italienische kindliche Wesen, das sich viele Italiener bis ins hohe Alter bewahren können? Könnte ein rational genordeter Preuße jemals etwas so Überflüssiges zusammenbauen wie einen Ferrari, mit all seinen überflüssigen PS. Genau diese Art von Lust, dieses mehr fühlen als denken, dieser nie ins obszöne überschwappende Hedonismus, das macht die Italiener und den Atem des Landes aus.
 
Das alles sprang auf mich über, es gab kein Halten. Risotto kann man nicht für sich alleine bestellen, deshalb sagte ich der Wirtin , sie solle mal mit Kochen anfangen, die Kumpels kämen in den nächsten zehn Minuten.  Ich saß an einem rohen Tisch in irgendeinem Kaff in der Lomellina, südwestlich von Mailand.  Draussen vor der Kneipe waberte die Mittagssonne, die in der Poebene die Gelenke über die Maßen geschmeidig macht.

Die Kumpels kamen nicht. Ich kühlte mich mit Frizzante Oltrepó-Pavese. Dann kam die Schüssel Risotto auf den Tisch. Nach dem dritten Teller, schwitzend wie ein Affe, musste ich mich ein bisschen zwingen, aber alle drei Portionen wurden einverleibt. Mutter und Tochter, mittlerweile war ich ihr Hero, hingen fassungslos wie bewundernd am Tresen, als wäre ich der Voresser eines venezianischen Dogen. Ein ungewisses Gemurmel wehte zu mir, unter anderem zwei Worte: “Il Tedesco & Magnifico.”
 
Das erinnerte mich an meine Mutter, die meinte ich sei weder in der Schule, noch bei Hilfe im Haushalt richtig gut. “Absolut nirgends, auf keinem Gebiet sei ich gut”, schimpfte sie mich einmal. Sie setzte dann aber noch ironisch nach: “Immerhin, Du bist ein guter Esser”.
 
Die ganze Zeit hatte ich eine begeisterte Mimik an den Tag gelegt. Ich musste auch gar nicht schauspielern, was die erfahrenen Gasthausweiber als wahres Lob einsortierten. Beide schlürften einen Espresso, als ich freudig in die Hände klatschte und dadurch für eine Schrecksekunde sorgte. Ich hätte schreien können vor Lust. Beide Frauen hatten an diesem späten Mittag eigentlich den Laden für die Mittagspause  schließen wollen. Und dann fuhr ich, so ein dicker Teutone auf den Hof und war buchstäblich in die Idylle gebrochen. Ich hatte es wohl gemerkt, so freudlos war Mama sicherlich schon lange nicht mehr in die Küche geschlurft. Aber ihr mag es gegangen sein wie mir:  War man dann mal drin in der Risotto-Rührerei,  empfand man den kreisenden Löffel nicht mehr als Arbeit sondern Ritual und der Topf wird eine Art Gebetsmühle.
 
Mir wurden noch ein Espresso und die Rechnung gereicht. Ich stemmte mich vom Stuhl hoch.  Fühlte mich ein wenig angezählt, was von den Frauen etwas feixend kommentiert wurde. Die Verabschiedung war dann sehr herzlich, als wäre ich bereits Stammgast. Eine gute Köchin und ein guter Esser befinden sich immer in einer bevorzugten Welt. Ich versprach wieder zu kommen, dann ächzte ich zum Auto. Die feuchte Hitze der Poebene  schlug hammerartig  auf meinen kahlen Schädel. Die Nebel hatte die Sonne weggebrannt  und das Thermometer war sicher über der fünfunddreissig Grad-Marke. Die Karre innendrin bullerte wie ein wahrer Brutkasten. Mit fiebernder Hektik startete ich den Motor um sofort die Klimaanlage auf maximale Leistung zu bringen.
 
Weiter mit Risotto:
 
Nur im reichen Mailand versteht man unter Risotto immer den Safranrisotto, der früher sogar oft mit Blattgold belegt war. Damals wollte man bei Einladungen seinen Gästen gegenüber eine noble Fallhöhe demonstrieren. Südlich von Mailand liegt die Lomellina, das Reisanbaugebiet am Po indem die Reissorte Carnaroli bevorzugt wird.  Weiter im Osten, also auf Venedig zu, wird vornehmlich die gleich noble Reissorte Violano Nano angebaut.
 
An eine bestimmte Reissorte ist man jedoch nicht gebunden. Es darf aber keinesfalls irgendeine Art von Milchreis verwendet werden. Man besorgt sich im Laden entweder den Carnaroli Superfino oder den Vialone Nano. Acquerello, eine Carnaroli-Reis-Marke ist auch wirklich große Klasse. Dieser Reis ist total Bio und im Kochen sehr gutmütig, wenn er mal weich ist, hält er noch recht lange einen gewissen Biss, so dass nicht zwischen Anrichten und Essen schon alles verklumpt. Aber Achtung, Risotto niemals “al dente”.
 
Rezept für 2 Personen
Wie gesagt, es handelt sich um eine Vorspeise, oder ein kleines Gericht.
100g       Reis
2            Schalotten
100g      Butter
1            ganze Knoblauchzehe
              ca. 1/2 Liter Fleisch-, Hühner- oder Gemüsebrühe
              evtl. 1 g Safran
 
Den Reis mit einem TL Butter und den Schalotten in einen heißen Topf geben und alles leicht anrösten. Sobald die Schalotten oder der Reis braun zu werden beginnen, wird mit der Brühe abgelöscht und der Topf mit der doppelten Menge Flüssigkeit, Fleisch-, Hühner- oder Gemüsebrühe über den Reis aufgefüllt.
 
Ab und an umrühren. Nach fünfzehn Minuten ist soviel Flüssigkeit eingekocht, dass öfters umgerührt werden muss. Der Reis saugt die Flüssigkeit auf. Immer wieder etwas Brühe beigeben. Es können dabei keine festen Regeln aufgestellt werden, sondern man sollte sich auf sein Gefühl verlassen. Immer so viel Flüssigkeit beigegeben, dass sich ein flüssiger Brei im Topf befindet. Es gibt Leute, die behaupten man dürfe am Anfang nicht so viel Brühe hineingeben, was ich aus Faulheit immer mache (und weil man besseres zu tun hat als ständig zu rühren).
 
Nach weiteren zehn Minuten sollte man ein Reiskorn herausnehmen und auf Festigkeit überprüfen. Ist der Reis weich, hat aber innen noch einen festen Kern hat, dann ist es soweit.
 
Nun durch heftiges Rühren den Risotto so lange einkochen bis er schwer flüssig  und sämig ist. Ist er zu dünn, dann bei großer Energie heftig rühren, damit die überschüssige Flüssigkeit schnell verdampft. Ist der Risotto zu dick, und das kann man generell anwenden: dann kommt ein wenig Weißwein ins Gebrodel. Auf alle Fälle sollte man genügend Brühe haben um am Schluss noch evtl. Korrekturen zu ermöglichen. Übrigens: Parmesan wird nicht in den Risotto hineingerührt sondern wird am Tisch darauf gestreut.
 
Abschließend, wirklich ganz zum Schluss, Butter in großen Flocken mit dem Kochlöffel einarbeiten, gleichzeitig dabei vom Feuer gehen, und anrichten. Die Menge der eingearbeiteten Butter ist für den Geschmack von großer Bedeutung. Der berühmte Koch Gualtiero Marchesi, verwendet fast den halben Anteil an Butter.
 
Alles klar?
Der Risotto sollte von der Konsistenz ziemlich soßig sein und wird grundsätzlich in Suppentellern angerichtet.  
 Aus gesundheitlichen Gründen kann weniger Butter verwendet werden. Es ist aber besser man macht es wie die Italiener, man isst wenig, dafür aber „fullfat“.  Je mehr Butter, umso mehr Genuss. Kurzum, den Batz, der oft von Vegis haufenweise reingeschaufelt wird, dieser Mampf hat mit Risotto nichts zu tun. Auch ist es eine Unverschämtheit, Grünkern oder Graupen, auch wenn ähnlich zubereitet, Risotto zu nennen. Nö, Risotto ist das, was ich bei Gualtiero Marchesi in Mailand erleben durfte.
 
Also nochmal: Zu einem guten Risotto benötigt man traditionell kein Fleisch oder Gemüse, er ist unter puristischen Italiener immer eine eigenständige Vorspeise und die Ausnahme wäre Rapa oder Trevisano als Zugabe, aber auch Meeresfrüchte oder die Tinte von Sepien. Nur in einem Fall dient er als Beilage, nämlich zu Mailänder Osso Buco und dann muss es grundsätzlich Safranrisotto sein.

Übrigens googeln Sie mal auf die Homepage des weltberühmten Jazz-Bassisten Dieter Ilg. Sein Plattenlabel hört auf den Namen “Fullfat”: Kann man einer Firma einen besseren Namen ich? ch glaube nicht.