Vincents Tagebuch

Gordon Ramsay, Sterneküche

von | 20. April 2017 | Allgemein

Wenn man mich ärgern möchte,
nennt man mich Promikoch. Leute zu bekochen, die man heutzutage Promis nennt, haben mir meistens zu viel geistige Promiskuität, auch wenn vieleicht nur das Essen diese Leute sexy sein muss. Vom Begriff Starkoch möchte ich auch Abstand nehmen, selbst wenn man Stars bekocht (es gibt nicht allzuviele), dann ist man allenfalls ein Koch der Stars bekocht. Verwechselt man sich selbst mit der Kundschaft, sollte man einen Arzt aufsuchen (aber keinen Allgemeinmediziner).

Greifen wir uns mal einen echten Starkoch aus der Testosteron-Kochkiste. Da wäre Gordon Ramsay ein wirklich pathologischer Totalschaden. Keine Frage, sich wie dieser aus der untersten Unterschicht hochzuarbeiten ist ein titanischer Akt und eine wirklich steile Wegstrecke. Da zieht man schon den Kochhut. Der Mann ist ein Kämpfer nach oben, und er schaffte es auch. Das Problem ist, dass man solch sozialen Aufstieg häufig nur mit einer Kampfhunde-Aggression hinkriegt, so wie Gordon Ramsay. Da kämpft man weiter, obwohl man bereits ganz oben ist. Na ja, die Abstiegsängste mögen erheblich sein.

Der Herr über 18 Sternerestaurants hat mittlerweile hundertdreißig Millionen angehäuft. Egal, er hat es erwirtschaftet und hat im Leben sicher nichts geschenkt bekommen. Seinen Mitarbeiter allerdings wird auch nichts geschenkt.
Über diese denkt er viel nach, womöglich, wenn er mit seinem 350.000 Euro Ferrari in London im Stau steht und sinniert, wie man sein Personal noch mehr ausquetschen, quälen und schinden kann. Gastronomie ist ein sehr freies Gewerbe. Mir steht es nicht an ihn zu kritisieren, aber als Vorbild für meinen schönen Beruf taugt der Mann überhaupt  nicht. Ich will es auch nicht hinnehmen, dass der Micheliguide und die Medien solche Leute toll finden.

Zugegeben, Spitzenleistung kann nicht mit bequemen Mitteln erzielt werden, sonst gäbe es sie öfters. Aber Kochen empfinde ich als Lebensaufgabe und bin nun auch glücklich und gesund in meinem fünfzigsten Berufsjahr. Die Startup-Köche, die von noch bekloppteren Medien hochgejazzt werden, Leute die sich selbst und noch mehr ihre Mitarbeiter ausbeuten, sind sehr oft nach zehn Jahren ausgebrannt, wenn nicht schon früher. Das hat alles auch mit dem schlimmen Ethos des Finanzkapitalismus zu tun, mit Gästen aus diesem Bereich. Diese Religion will Erfolg um jeden Preis. Egal auf wessen Kosten, die wichtigste Eigenschaft des Kochs, die Naturverbundenheit, steht dem im Wege, was der Aroma-Industrie sehr recht ist. Auf den Geschmacksinn der Menschen ist wenig Verlass, deshalb muss ein Teller so aussehen wie ihn sich der Foodfotograf vorstellt. Es ist wie mit den schönen Frauen, sie sind automatisch toll, was oft nicht zutrifft. Gegen Sein und Schein haben schon die antiken Philosophe aufbegehrt, doch nie war es schlimmer als heute.

Ganz besonders schlimm steht es um das Extremcooking in London zu. Seit ein Zwangscharakter wie Marco Pierre White zum Kochhelden stilisiert wurde, und sein Schüler Gordon Ramsay die Adrenalinspur aufnahm, ist Spitzenküche zum Kampfsport degeneriert und das Ranking funktioniert wie beim Boxsport. Die Gästeschar sieht solcherlei Luxusgourmandise als soziale Abgrenzung nach unten. Mit Genießen hat das alles wenig zu tun. Solcherlei Essenpicken ist bestimmt genauso unsinnlich wie mit einem Ferrari im Stau zu stehen.

Gegen all diese Perversitäten, liebe Gourmets ist der deutsche Küchenalltag, auch in den Dreisterneläden, die reine Wohlfühlzone. Davon wird leider wenig berichet. Allenfalls schimpft man auf die Preise und die müssten eigentlich viel höher sein. Gerne wird das Wörtchen “Preis-Leistungsverhältnis” wiedergekäut. Kaum einer kann aber die Leistung und die Kosten beurteilen. In England und auch in Frankreich zahlt man ungefähr das Doppelte wie hierzulande. Man merke sich: Je günstiger das Preis-Leistungsverhältnis, um so schlimmer die Selbstausbeutung des Wirts und die Ausbeutung seiner Mitarbeiter. Das ist dem Publikum womöglich genauso egal, wie es auch nicht daran denkt, dass ein ZweiEuroTshirt nur durch Kinderarbeit erquält wird.

Lieber Leser, Sie halten meine Ausführungen zu übertrieben und plakativ, teilweise mag das stimmen, richtig ist aber, dass alles viel schlimmer ist als ich es schildere.
Lesen Sie den Tatsachenbericht, ein spannendes, phänomenal geschriebenes Buch von einer Frau, die für gute Recherche bei Gordon Ramsay durch die Hölle gegangen ist:

VERENA LUGERT
“DIE IRREN MIT DEM MESSER”
Mein Leben in der Küche der Haute Cuisine
Knaur Verlag München, 2017