DAS ERNST-LUDWIG-KIRCHNER-MUSEUM IN DAVOS.
- von einem schönen Park umgeben. Liegestühle gibt es auch.
- Auch innen klare Linien.
- Beispiel für die Farbe Lila.
Liebe Laura,
Wegen des Restaurants und der Tochter Eva leide ich nicht an Einsamkeit. Manchmal fällt mir allerdings die Decke auf den Kopf und ich muss raus. Vielleicht ist es auch ein gelinde Hysterie, dass Alle wegfahren und nur ich hocke hier alleine in Trübsal.
Also los. Ohne Grund geht das nicht. Als Ziel wähle ich mir den berühmten Ort Davos. Das war mal eine schöne Gemeinde. Mittlerweile ist sie unter Schnee begraben einigermaßen erträglich. Im Sommer allerdings zeigt sie sich als hässlichster Fleck der Schweiz. Das Häusergeschachtel ist eine einzige Rundum-Bausünde. Den früheren Glanz erahnt man, wenn man vor dem Ernst-Ludwig-Kirchner-Museum steht. Gegenüber im grellen Mittagslicht strahlt das Steigenberger Belvédère Grandhotel in herrlichstem Belle-Epoque. Solche Hotels betrete ich nur ungern, weil das Personal der ganzen Pracht und den Erwartungen meist nicht standhält. Soweit so schlecht, um es gelinde zu sagen.
Im Ort scheint ein jüdisches Treffen zu sein. Unzählige Schläfenlocken und schwarz gekleidete Zionisten. Ich selbst bin Herr über vierzig schwarze T-Shirts, jeden Tag ein frisches. Darüber trage ich grundsätzlich ein Jackett. Heute gebietet sich allerdings Marscherleichterung wegen Bullenhitze. Ich also, leicht bekleidet schwitze wie verrückt, als mit ein alter Rabbi begegnet. Ich nehme einfach mal an, es war ein Rabbi, denn er zeigte sich irgendwie staatstragend und würdevoll.
Er trägt Knickerbocker, Anzug, darüber eine Art Untermantel, darüber nochmals einen schwarzen Sommermantel und um den Hals einen weißen Seidenschal. Nach oben reiht sich ein biblischer Vollbart. Links und rechts an den Schläfenlocken hoch, die wie Zöpfe wirken endet ein breitkrempiger Samthut und arrondiert die Erscheinung. Das besondere an dem Hut ist, dass er ziemlich groß ist. Er wirkt schwer und die ausladende Krempe ragt im rechten Winkel stabil ins Horizontale. Mich erinnert das an eine samtbezogene Holzkonstruktion.
Und jetzt kommts: Herrgottzack, der Mann schwitzt nicht!
Ich gerate ein bisschen ins Grübeln. Vor vielen Jahren war ich mit Erwein Graf Matuschka in Florida auf Weinreise. Vierzig Grad im Schatten. Ich im T-Shirt-Proletenoutfit, und der Graf im blauen Blazer mit Krawatte. Damals dachte ich mir schon, der Adel und sonstige Nobili, die schwitzen einfach nicht. Die unangenehme Hautfeuchte ist offensichtlich den unteren Ständen vorbehalten. Vielleicht ist diese DNA jahrhunderte alt. Der Bauer schwitzte, damit der Fürst nicht schwitzen musste.
Wie auch immer, das fade Sommer-Davos war durch die Juden pittoresk belebt.
Mit kommt in den Sinn, dass ich jede Orthodoxie ablehne. Sie mündet gerne im Fanatismus und da ist dann auch die Gewalt nicht weit. Auf der anderen Seite, denke ich, was hält das weltweit verstreute Volk der Juden zusammen? Es sind sicher die Rituale, die jahrtausendalten Gebete, Regeln, wobei das Äußere sicherlich auch eine Abgrenzung nach Außen bedeutet. Es gibt dumme Leute, die sich gegen jedes Anderssein auflehnen. Bei mir ist es umgekehrt, die Farben des Daseins werden durch fremde Kulturen bunter, gefolgt von Erkenntnisgewinn. Ein großer, wenn nicht katastrophaler Fehler im Umgang mit Anderen, explizit in der Ehe ist, dass man sein Gegenüber im Denken und Handeln genauso hinbiegen möchte wie man selbst ist. Manchmal ist das gut, aber meistens ist es so, dass der Dumme darum kämpft, dass sein Gegenüber gleich dumm sein sollte.
Schluss jetzt mit der holzschnittartigen Alltagsphilosophie und rein ins Ernst-Ludwig-Kirchner-Museum. Hinein in den modernen und gradlinigen Bau. Gleich am Tresen grüßt eine junge Dame, die deshalb jung wirkt weil ich so alt bin. Bei der Gelegenheit fällt mir ein, dass die Zahl der jungen Frauen in meinem Alter geradezu ins Unermessliche wächst. Mal sehen, wenn ich mal neunzig bin, werde ich mir eine jugendliche Siebzigjährige anlachen.
Die schöne Frau am Tresen ist verdammt jung und hat ihre Menopause gut überstanden. Ihre Haare sind bis kurz unters Ohr geschnitten, mittelblond und ohne Locken enden sie oberhalb den Schultern, die ein sommerliches Kleid bedecken. Hier bin ich nicht der einzige Besucher. In den weiten Räumen geistert noch ein weibliches Wesen herum. Will man in Zeiten des Overtourismus an sonnigen Tagen seine Ruhe haben, muss man nur einen Ort der Kultur besuchen. Ich bin gerne allein, wobei ein weibliches Wesen mit Interesse an Kunst mir manchmal eine Hilfe wäre. Über Kunst muss man reden und auch diskutieren, sich vielleicht sogar streiten. Mir bleiben immer nur die Selbstgespräche. Das Schöne daran ist, dass ich meinen Gesprächspartner gut kenne und wir oft schlimmerweise immer einer Meinung sind.
Schon als Kind zeichnete ich leidenschaftlich gerne. Bis ins gemäßigte Alter kam ich mit Farbgebung allerdings wenig zurecht. Einige Besuche im Murnauer Schlossmuseum und dem Haus von Gabriele Münter öffneten mir die Augen. Ich begeisterte mich schon immer für die französische, moderne Klassik. Früh entdeckte auch den deutschen Expressionismus. Mit der Zeit stellte ich ihn über den der Franzosen. Der deutsche Expressionismus ist wirklich mein Ding. Mit meiner Kocherei halte ich mich an die gleichen Regeln: Alles weglassen was nicht wirklich wichtig ist. Die Aussage eines Gerichts, wie eines Bildnisses, aber so kräftig wie möglich wiedergeben.
Ein großer Meister dieses Tuns ist Ernst-Ludwig-Kirchner. Er schaffte es sogar, dass ich seine Lila-Abtönungen hinter meiner Netzhaut ein interessiertes Entgegenkommen ermögliche. Lila war meine Hassfarbe. Seit ich mich mit Kirchner beschäftigt habe liebe ich die Farbe Lila. Dies aber mit größter Zurückhaltung und mit Respekt. Ein bisschen zu viel und die Farbe nervt. Kirchners Farbenkosmos ist unglaublich. Mit unglaublicher Kraft breiten sich die kräftigste Farbgebung über die Leinwand. Kurz gesagt maximale Farbigkeit, die nicht bunt daherkommt, das ist große Kunst.
Die Weiterfahrt in den Urlaub werde ich in den nächsten zwei Tagen niederschreiben.