Vincents Tagebuch

Der Karpfen

14. November 2025 | Tagebuch

Wir leben im Zeitalter der aufgeblasenen Adjektive. Früher ließ man es “gut” sein, heute geht es unter “megagut” kaum. Alles andere ist essensmäßig im Schwabenland nicht lecker, sonderns subberlecker. Ist lecker schon ein häßliches Wort, wird das dann auch noch auf die Spitze getrieben. Überall heiße Luft um, uns besoffen zu machen.

Bei den Speisen wird’s mittlerweile auch unerträglich. Bekömmlicher, natürlichen Salat, das will wohl niemand mehr. Es müssen Nüsse, Körner, Kerne, Sprossen, Blüten, es muss alles darübergekippt werden, damit der Salat gefälligst nicht mehr nach Salat schmeckt und aussieht, sondern nach einer Blösinnskreation.

Bei meinem Karpfen war es nicht anders. Das Gericht nennt sich mit Recht “Karpfen blau” und funktioniert nur, wenn man hinter dem Haus ein Bassin hat und der Karpfen frisch in  Sud kommt. Die Haut des Tieres darf nicht verletzt werden. Die Wielandshöhe hat ein solches Bassin nicht und kann deshalb dieses Gericht nicht anbieten.

Tatort Forellenhof Walgerfranz bei Bad Tölz: Ein Gasthaus das ich rundum in höchsten Tönen loben muss. Die Räumlichkeit sind sehr gediegen, Tischtuch, frische Blumen und rundum sehr gutes Essen und einen berühmten Riesling von Robert Weil. Der Karpfen war obendrein Spitzenklasse, nachdem ich ihn von all dem Gerümpel befreit hatte. Wie immer, die Aplikationen hat nie  jemand probiert, sondern man erlag dem schönen Augenschein.
Die Teichwirtschaft hat enorme Fortschritte gemacht, die Teiche jährlich abglassen und geputzt. Die Qualität ging durch die Decke. Mein Karpfen hat einen unvergleichlich eleganten und feinen Duft, wesentlich besser als bei einer Forelle.
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Wie isst man einen Karpfen?
Man kann tunlichst ihn nicht so heruntersäbeln wie ein Currywurst. Karpfenessen ist für mich eine Entschleunigungstherapie. Ich zupfe mir zuerst die Flossen heraus, und lutsche sie ab. Es ist ein sinnliches Vergnügen, nachach hole ich das kleine Bäckchen aus dem Kopf. Die Haut finde ich besonders köstlich. Ich schnabuliere mich bedächtig vom Bauch her hinauf zum Rücken. Im Rücken befinden sich die ungelibten Triangel-Gräten. Immer wieder muss ich mir eine aus dem Mund ziehen. Immer wieder ein Stückchen Kartoffel und das alls mit brauner Butter. Meerrettich wird meist auch gereicht. Das lasse ich immer beiseite. Das ist für Anfänger, denn ich will nicht Meerrettich schmecken sondern Karpfen. Es ist mir ähnlich wie beim Austernessen, auch da will ich Auster und das Meer riechen und schmecken, und nicht Schalottenessig oder sonstige Ablenkungsdips.

 

Karpfen bunt, nicht blau.