Liebe Laura, Du weißt mit dem Surrealismus habe ich es als Realist nicht so sehr, Du aber schon. Ich hoffe ich trete nicht allzusehr auf Deine Träume.
Eigentlich wollte ich dort die grandiosen Sammlungen besichtigen. Daraus wurde nichts, die Hamburger Kunsthalle befindet sich im Umbau. Momentan wird überall renoviert und umgebaut. Die ganze Welt wird umgebaut, aber auch im Kleinteiligen schwer gewerkelt. Die Karlsruher Kunsthalle gönnt sich zwei Jahre Pause. Weiß der Teufel warum das so lange dauert. Vielleicht fehlen uns chinesische Immigranten, die das in einem halben Jahr bewältigen könnten. Man bedenke, der Stuttgarter Fernsehturm wurde von Grundsteinlegung bis Eröffnung in zwanzig Monaten erstellt.
Über die heutigen Zeiten komme ich da schwer ins Grübeln, und als ich den Seiteneingang der Hamburger Kunsthalle betrat hatte ich in freudiger Erwartung mein Herz geöffnet. Surrealismus ist nicht ganz so mein Ding., Das war nicht immer so, aber irgendwann war mir dann der Salvador-Dalī-Overkill zuviel, obendrein noch Daily Dalī und Müllhalden voll von seinen Lithos. Mir fällt nur noch Marc Chagall ein, einer der ähnlich merkantil verwurstet wird.
Ich bin also drin in der Kunsthalle und wurde von einem Werbebanner begrüßt “Surrealismus und Romantik”. Zum einen wurden die üblichen Verdächtigen wie René Magritte, Max Ernst, Salvador Dali und weitere gezeigt. Neben jedem Werk, durchaus auch zentrale Arbeiten, hingen daneben als Therapieansatz die schöne Welt von Caspar David Friedrich oder Phillip Otto Runge. Zugegeben gegenüber Vermischungen oder Potpourris habe ich eine persönliche Aversion, die niemand mit mir teilen muss. Pauschal gesagt, hingen bedeutende Werke aus beiden Lagern an den Wänden und jeder kann sich nach seinen Vorlieben daran bedienen.
Ich stürmte durch die Ausstellung und war nach fünfzehn Minuten wieder im Freien und stand ratlos an einer riesigen Straßenkreuzung. Hier stehe ich und kann nicht anders, stehe wie ein Landei, das sich nach seiner Heimat sehnt. Was hatte ich hinter mir? Auf alle Fälle eine hochkarätige Ausstellung, die mich als Besucher nicht verdient hat. Wahrscheinlich bin ich der Einzige, der an der momentanen Kunsthalle keine Freude hatte, aber ich habe meine persönlichen Gründe. Der Untertitel der Ausstellung plakatierte als “Rendevouz der Träume”. Ein Leben lang konnte ich mich nie an meine Träume erinnern. Das mag daran liegen, dass beim Erwachen gleich jede Menge Probleme um mein Restaurant mich bestürmen. Nun als alter Zausel habe ich ein wenig mehr Muse und tatsächlich, ich erinnere mich beim Aufwachen, wenigstens fragmentarisch, was zuvor in meinem Hirnkasten herumgeisterte. Ich brauche nicht lange sortieren. Es ist immer banales Zeug. Beispielsweise helfe ich jemanden beim Umzug, oder ein Taxifahrer findet den Weg nicht, oder ich mähe den Rasen und mein Gerät bleibt stecken. Zugegeben Sigmund Freud könnte jede Menge hineininterpretieren, ganz nach der Melodie, ich habe kein Problem, suche so lange, bis ich eines finde. Ich bin also kein Grübler, kurzum, meine Träume sind rundweg blödes, langweiliges Zeug. Warum berühmte Künstler solch schlechte Träume haben, das muss noch erforscht werden.
In der Ausstellung erlebte ich die alten Romantiker auf meiner Seite, auf der Seite des Optimisten Candide. Die Surrealisten lieferten nahezu ausnahmslos die gruseligsten Traumpathologien. Das Publikum liebt so etwas, auch Fantasy, Alliengrusel, Überfälle von Außerirdischen, Killervideos und all diesen, ich kanns nicht anders sagen, Scheiss. Das solche Leute schlecht träumen und in eine Ausstellung gehen, in der auf Bildern noch schlimmere Träume gezeigt werden, das will ich niemandem nehmen. Ich jedenfalls brauche das nicht, und schnüre bevorzugt in der Spur der schönen Dinge. Das ist heutzutage übel beleumundet. Stuttgarter Pietisten rufen manchmal schon vor dem Frühstück aus: “Habe ich heute schon leiden dürfen?“ Man muss von den Verbrechen der Welt wissen, sich aber nicht damit tiefgründig imprägnieren. Ich sehe mein Dasein nicht als Fegefeuer und Vorbereitung auf den Himmel. Da lass ich das Mittelalter außen vor und erfreue mich an kleinsten Kleinigkeiten. In Hamburg war es eine Parkbank an der nahem Binnenalster.