KAFKAS KOCHBUCH
Klett-Cotta Verlag, Stuttgart
ISBN 978-3-608-96665-7, 35,–€
545 Seiten
Liebe Laura, folgendes muss ich Dir näherbringen, um Dich als “Naturkind” der fettigen Currywürste zu entwöhnen.
Ein schweres Päckchen kam ins Haus. Ich riss es auf und, “ick kiecke, staune wundre mir”…Nein, ich wundere mich dann doch nicht. Es ist ein Kochbuch, was sonst.”Porco Dio”, gibt es auch noch andere Bücher?
Ich lege es auf die Seite, der Tag ist warm und sonnenbesprenkelt, und die helle Stimmung lasse ich mir nicht nehmen. Kurz darauf schaue ich mir es jedoch trotzdem genauer an. Halt, da steht ja Kafka drauf.
Auch das noch, schon wieder ein nervender Hobbykoch. Und dann der Großdichter Franz Kafka, der auch. Ich denke mir, warum tritt diese wandelnde Magenverstimmung auf meine Träume? Verehre ich ihn doch wegen seiner Sprache und weil er geistigen Bratendunst von mir fernhält. So halte ich nun ein dickes Buch in Händen. War Kafka der Hobbykoch?
Später erfuhr ich in dem Buch, dass der Erbsenzähler Kafka ganz anders war als viele denken. Großgewachsen auf einsachtzig warf er maximal den Schatten einer Vanilleschote, trotzdem umgänglich, konnte auch lachen und charmieren. In seiner Phantasie kam er jedoch gerne vom Hölzchen aufs Stöckchen. Da kommt schnell ein Daumenkino von 544 Rezepten zusammen. Tatsächlich 544, in Worten fünfhundertvierundvierzig Rezepte. 544, nicht 545. Also zweimal die Zahl Vier am Ende. Das bedeutet in der Symbolik, dass man nicht entmutig und stur seinen Weg gehen sollte.
Auf dem Einband sind auch noch zwei Komplizen genannt, Namen, die mir die Augen weiten. Steht da doch Eva Gritzmann und dann noch Denis Scheck. Schlagartig hat sich die Situation geändert. Beide kann ich gut leiden, denn sie kennen sich in meiner Welt gut aus. Denis Scheck bin ich obendrein sehr zu Dank verpflichtet, hat er mir doch einige Lebenszeit gerettet, indem er Befindlichkeits- und Selbstbeweinungsliteratur von mir ferngehalten hat.
Er und die Medizinerin Frau Doktor Gritzmann sind ein geübtes Team, habe schon einige Bücher geschrieben und das lässt literarische und kulinarische Qualität vermuten. Obendrein ist durch die Ärztin auch Gesundheitliches bedacht. Das geht so weit, dass man das Buch eigentlich auf Krankenschein bekommen sollte.
Man erfährt darin einiges über die mäandernde Peristaltik des Dichters Kafka. Er war kein “guter Esser”, zudem bekennender Vegetarier, weiterhin auch selektiver Speisenfitzler und gar kein Genussmolch.
Weiterhin erfährt man in dem Buch Privates über den Dichter. Dieser versuchte sich mit Psychotherapie zu sanieren was letztlich wenig gute Resultate zeigte. In der Klinik des Doktor Lahmann auf dem “Weißen Hirsch” ob Dresden, wurde ausschließlich vegetarisch gekocht und diese Essdisziplin als mentales Lebensgeländer anempfohlen. Mit dieser Ernährungskorsage hangelte sich der Dichter durch sein lungenhustendes Schicksal. Der Dichter wurde auf dem “Weißen Hirsch” in die Ernährungslehre des Gurus Horace Fletcher (1849–1919) eingeführt. Die Doktrin dieses amerikanischen Arztes und Wunderheilers befahl jeden Bissen 42-mal zu kauen. Diese Art Vorverdauung führte dazu, dass der mental ruckelnde Franz für gemeinsame Tafeleien wenig geeignet war und partiell vereinsamte. Saßen die Familienmitglieder bereits beim Dessert, speichelte Kafka mit hoher Drehzahl womöglich noch beim vierunddreißigsten Kieferknacken inmitten der Vorspeise.
In der Klinik gab es niemals Fleisch. Das vegetarische Kochbuch der famosen Klinikköchin Elise Starker halte ich nun in Händen. Es beeindruckt mich nicht nur wegen dem backsteinschweren Gewicht, sondern wegen der Verankerung von Rezepten, wegen anregend beschriebenen Dichterbefindlichkeiten und folgend wegen den reizvollen Einschüben im ausufernd angehängten Rezeptteil. zwischen den Rezepten.
Manche glauben, da ich in der Metzelsuppe der Hausschlachtungen meines Vaters, des Tierarztes und Schlachthofdirektors aufwuchs, dass ich ein Herz-Leber-Lung-Maniac sei. Das stimmt ganz und gar nicht. Dafür ist mir die Welt des Pflanzlichen ein zu unendlicher Kosmos, und folglich für einen nachdenklichen Koch eine lebenslange Exkursion.
Mit heißem Kopf blätterte ich im Buch. Es bietet unendlich viele Ideen. Die Rezepte sind für professionelle Haushälterinnen geschrieben. Nur das Nötigste wird notiert, der Rest ist der Köchin und auch mir dem Koch überlassen. So etwas mag ich sehr. Kafka war allerdings nicht der erste Hobbykoch, das war Beethoven, der seine Köchin gefeuert hatte und einmal selbst mit Pfannen um sich warf. Alles geriet zu einer Katastrophe und zur Folter der Geladenen. Vorher, und weiterhin zur Jahrhundertwende, kochte ein Mann gehobenen Standes grundsätzlich nicht, er hielt sich eine Köchin. Kafka verliebte sich heftig und dauerhaft in die spätere Schauspielerin Dora Diamant. In der Zeit des Kennenlernens betreute sie an der Ostsee eine Ferienheim, sie war also von praktischer Natur. Sie bekochte ihren Liebsten nach dem Kochbuch der Elise Starker bis dieser den Löffel abgab.
Sie hat womöglich das Buch genauso gehandhabt wie ich. Dem Rezept wird gefolgt, aber ohne jeden Dogmatismus, sondern mit impressionistischem Laissez-faire. In der Art macht das Buch auch dem Laien Lust, einfach loszulegen. Nimm Maß mit deinem gesunden Menschenverstand und nicht unbedingt an den Grammzahlen der Rezepte. Mein Idol, der große Alain Chapel, verbat seinen Köchen nach Rezept zu kochen. Beim Backen ist das anders, deshalb ist Backen nicht das gleiche wie Kochen.
Das Buch ist ein Lustbuch und Schatz. In der Wielandshöhe sind täglich mindestens fünfzehn verschiedene Gemüse am Start, das ist für gastronomischer Verhältnisse erheblich. Fleischgerichte sind mir wichtig. In einem Menü sollte jedoch nur ein Fleischgang, vielleicht noch ein Fisch serviert werden. Wir bieten ein vegetariches Menü, und die Hälfte der Speisenkarte ist eh ohne Fleisch. Könnte sein, mir gehen die pflanzlichen Ideen aus, dann greife ich in Zukunft auch zu diesem Buch. In ihm sind nicht nur Gemüsegerichte geboten, sondern auch Reisgerichte, Nudelei, Kaltschalen, Backwerk und beispielsweise Puddings, Herrlichkeiten bevor Dr. Oetker solches Gaumenglück in den Orkus industrialisierte.
Sodele, ein Schwabe tut nicht Lobhudeln. So wie ich trompete und tute, so ist es auch. Ein hochinteressantes Buch.
Jetzt wird mir aber die Zeit knapp.
Ich muss in die Küche.
Achten Sie auf das Tagebuch, dort wird die Praxis vorgebetet.