Landzeit-Rosehill-Foodpark, so nennt sich die Raststätte. Ich bin auf dem Weg in die Wachau. Der Verhungernde ist nicht wählerisch. Einen Burger King gibt es hier auch. Alle drei Monate ein Doppelwhopper – das ist mir die Freude des Andersschmeckenden. Solch ein durchkonstruiertes Rundstück ist mir sicherer als eine sterbende Fritteuse und sonstige Antiquitäten der Autobahn-Essenstheke.
Liebe Laura, ich musste dann aber doch an die Warmtheke, da ich die Automatik des Bezahlautomaten beim Bulettenbrater nicht kapierte. Ich dachte mir: Bestellst du ein Gulasch, das kann man stundenlang warm halten – das ist nahezu unzerstörbar. So war es dann auch. Eierknöpfle landeten auf dem Teller und daneben wurde ein Riesenschapfer Gulasch aufs Porzellan geknallt.
Jetzt kommt’s: welch eine Freude, welch ein Glück! Ein Gulasch in dieser Güte habe ich in Deutschland in keinem Gasthaus jemals gegessen. Dem Koch hinter dem Tresen zeigte ich meinen nach oben gerichteten Daumen. Der Mann war nicht nur Koch, sondern sah auch so aus, wie man sich vor 50 Jahren einen Koch vorstellte. Manchmal neige ich zur Verbrüderung und outete mich: Auch ich sei Koch. Er rückte seine Baseballkappe – mit Schild nach hinten auf zwölf Uhr – und salutierte wie ein Green Beret.
Auf der nach Wien führenden Autobahn sehe ich links über die Donau hinweg Mauthausen und denke mir, das sollte man unbedingt auch mal besuchen. Mich zieht es aber in die Wachau – ich bin ja sozusagen dienstlich unterwegs. Wir hatten für unsere Küche Aprikosen gekauft, denn diese haben jetzt Erntezeit. Ich musste jedoch ertragen, dass alle Früchte trocken, holzig, ohne Saft, sauer und ohne Aroma waren – schlichtweg unter unserem Niveau und den Erwartungen unserer Gäste.
Insofern habe ich mich ein bisschen informiert und erfuhr, dass die Aprikosen meistens unreif geerntet werden, damit sie den Transport gut überstehen. Neuere Züchtungen widmen sich vorwiegend der tief orangenen Farbe – nicht dem Geschmack. Das Fatale ist: Sie reifen nicht nach, sondern verharren in ihrer Unvollkommenheit. Kurzum: In der gesamten Stuttgarter Gegend gibt es keine Aprikosen, die mir schmecken. So kam mir die Wachau in den Sinn – nicht nur wegen der berühmten Weine, sondern weil am Donaustrand kurz vor Wien eine bedeutende Aprikosengegend zu finden ist. Die Aprikosen dort nennt man Marillen.
Wachauer Marillen müssen her.
Davon gibt es aber auch verschiedene Sorten, beispielsweise die „Mariandl“ oder die „Richard Löwenherz“. Ich rief kurzerhand bei den bekannten Marillenbauern Gerti und Gerhart Tastl an. Frau Gerti klärte mich auf, dass die beste Marille die „Wachauer Marille“ sei – obwohl das auch ein Sammelbegriff ist. Diese alte Sorte wirkt wie das Aschenputtel unter den Marillen. Sie hat Flecken, ist nicht goldorange, sondern manchmal sogar etwas grünlich. Aber geschmacklich ist sie die Königin des Landstrichs – unerreicht – und immer weniger im Handel, da sie schnell verdirbt. Der Rest meiner Marillenerleuchtung ging schnell. Ich sagte: „Zwei Zentner von diesen Dingern wären mir recht. Wann könnte ich kommen?“ „Ja, diese Menge haben wir hier immer an Bord – jedenfalls diese Woche noch und die nächste auch.“
Und andern Tags fuhr ich los.
Liebe Laura,
Du erinnerst Dich, die Raststätte habe ich hinter mir gelassen. Nun fahre ich auf kürzestem Weg ins Kloster Melk, denn ich möchte unbedingt die weltberühmte Bibliothek besichtigen. Es ist Sonntag – kein Wunder, das Stift Melk ist von Touristen überlaufen. Aber alles ist gut organisiert und ich muss sagen: Die Benediktiner, diese Ordensleute, haben sich nicht der Armut verschrieben, sind kein Bettelorden, sondern sehr geschäftstüchtig. Alles funktioniert wie ein Uhrwerk: automatisch sich öffnende Türen, geschultes Aufsichtspersonal, alles penibel restauriert – ein Gebäudekonvolut von ausuferndem Ausmaß. Hauptsächlich ging es mir um die Bibliothek, und das lohnt sich wirklich. Die Barocken Prachtsäle enthalten ungefähr 100.000 Bände, darunter 1800 Handschriften mit rund 1250 mittelalterlichen Codices sowie 750 Inkunabeln. Inkunabeln – das sind Frühdrucke, man sagt auch „Wiegendrucke“, also aus der Wiege der Buchdruckerkunst vor ungefähr 500 Jahren.
Ich dachte schon, ich hole mir hier blutige Füße, aber ich habe es überstanden und mich auch mit dem Touristenschwarm versöhnt. Mir krachte ins Gemüt, dass ich letztlich ja auch nur ein gemeiner Tourist bin. Es gibt also keinen Grund, meinen latenten Menschenhass nachzurüsten, sondern ich sollte mich der Vernunft des Alters ergeben.
Vom Stift Melk geht es an der Donau entlang: Schloss Aggstein, Willendorf – die Heimat der drallen Venus aus der Zeit des Gravettien. Wohlgemerkt: Die Schwäbische Dicke aus Elfenbein ist 10.000 Jahre älter.
Anschließend kommt der schöne Ort Spitz, dann Sankt Michael, Weißenkirchen – und nun ist mein Ziel in Sicht:
Mit Frau Elisabeth nächtigten wir vor einigen Jahren im Schlosshotels von Dürnstein, das war ganz wunderbar. Ein Freund meinte aber, ich solle doch mal das Hotel Richard Löwenherz ausprobieren – das hätte einen ganz besonderen Charme. Und auch die Besitzerin sei allein schon ein Geschenk für Entspannung und Freude. Das Ortsschild Dürnstein ist nicht zu übersehen, dahinter die glitzernde Donau. Für Hotelgäste ist die Autoanfahrt durch die Fußgängerzone erlaubt. Es gelingt mir, in der engen Gasseniemanden zu zerquetschen.
Kaum bin ich dort, spüre ich: Dies könnte mein Sehnsuchtsort sein. Bei grober Sicht könnte alles etwas antiquiert anmuten, aber so ist es nun mal, wenn ein Hotel über 100 Jahre alt ist. Mich beglückt lange Tradition, und dass trotzdem alles bestens restauriert und absolut in Schuss ist.
Die Chefin, Franziska Thiery, sie ist ungefähr in meinem Alter und wacht über allem. Sie ist morgens die Erste und abends die Letzte. Wenn sie auch auf den Beinen nicht mehr die Schnellste ist, so ist jung geblieben. An dieser zierlichen Person mit den hellwachen Augen, die überall sind, kann man die Erfolgsprinzipien der Gastronomie festmachen. Mitarbeiter haben heute Mitspracherecht – jedoch: wirkliche Demokratie ist nicht hilfreich. Ein Hotel oder ein Restaurant braucht eine Leitfigur, einen Leithammel oder eine mütterliche Figur, die über allem wacht und das Personal schult und in Schwung hält. Man kann die tollsten Hotels aufsuchen, kann heutzutage für tausend Euro übernachten, die Badarmaturen sind teuerstes Metall, die Vorhänge Brokat, und alles ist in Gold gehöht und hochwertig. Ist jedoch das Personal ungeschult, das ist heute fast der Normalfall, ist jeder andere Aufwand für die Katz. Lieber eine Bruchbude mit gutem Personal als ein Luxusschuppen mit tätowierten Trotteln. Im Stil der Dame des Hauses fragt mich nach dem Essen ein gestandener Ober: „Hat es gemundet, der Herr?“ Mir dünkt, das alte Habsburg hat sich aus den Mauerritzen des alten Klosters in die heutige Zeit gebröselt. Ja, das hatte ich ganz vergessen: Das Hotel gründet auf einem alten Kloster, und davon ist noch einiges übrig. Einen schöneren Garten, mit römischen Artefakten erlebte ich nur vor dreißig Jahren im Hotel “La Posta Veccia” Ladispoli bei Ostia.
Abendessen auf der Terrasse, direkt am Abbruch hinunter zur Donau. Ein Touristendampfer wendet, die Leute winken herauf und ich hinuter. Das ist mit einem Glas Bier in der Hand. Ein schöner Moment. Ich bestelle mir zum Kalbsbeuscherl und folgenden Wachau Forelle, einen grünen Veltliner von Emmerich Knoll. Der Weißwein gehört zur Spitzenkategorie “Smaragd”. Der Abend klingt aus mit obligatem Marillenknödel und einem Marillenschnaps.
- Kloster Menk
- Die Venus von Willendorf habe ich auch besucht.
- Der Hotelgarten: Alle waren beim Schwimmbad und ich ganz alleine in diesem Paradies um zu schreiben.
- Der Garten.
- Das Hotel von der Gartenseite.
- Kalbsbeuscherl mit Serviettenknödel.
- Gustostückchen vom Wachauer Rind, Cremspinat, Kartoffel-G’röstel.