Vincents Tagebuch

Oiwonger!

von | 28. August 2023 | Allgemein

Wie wir alle wissen, gab es im sogenannten 3. Reich wenige Widerstandskämpfer. Ein großer Teil der Bevölkerung schwieg, verzichtete gerne auf Freiheit und tauschte sie durch trügerische Sicherheit. Das Leben war für das deutsche Volk besser als jemals zuvor: Wenn man nicht aus der Reihe tanzte. Die verbrecherische Diktatur war mit den Abweichlern beschäftigt. Dies sind u.a. die Gründe für den Untergang, was auch an das Ende der DDR erinnert. Wie wir alle wissen, gab es mit dem Tod des GRÖFATZ, von einem Tag auf den anderen, keinen Nazi mehr.
Oder doch? Im Souterrain des deutschen Oberstübchens dünstete immer noch die Gehirnwäsche der Nazi-Demagogen, zumindest in abgeschwächter Form weiter. Die meisten, wie auch meine Eltern, nenne ich Trittbrettnazis. (“Der Führer war falsch beraten, mit Weihrauch und Knoblauch hätte er keine Krach anfangen dürfen. Irgendwie war er schon schwer in Ordnung. Und der Herr Frahm, nämlich Willy Brand: Ein verdammter Vaterlandsverräter.” Solcherart dummschwüler Verdrängungsdunst waberte landauf, landab. In den Schulen, bei der Lehrerschaft, beim Arzt, überall machte sich solch Gefasel breit, während wir Schüler über Landserheftchen uns den Stolz auf die Väter besorgten.

Kinder folgen den Vorgaben und dem Beispiel der Eltern. Sich eine eigene Meinung zu bilden und sich aus der evtl. falschen Denkwelt der Nachbarn, der Vereinsfreunde bis hin zu Familie zu lösen ist schwerer als man denkt.

Damit wären wir beim Minister Aiwanger, der mich nur vor dem Hintergrund der gerade vorgestellten Gedanken interessiert. Warum, verdammt noch mal sagt er nicht wie es wirklich war. Man wuchs, in Bayern ganz besonders, in einer man könnte fast sagen, völkischen Umgebung auf. Wer als Junge damals antisemitische Flugschriften verteilte, handelte nicht nur aus eigener Erkenntnis oder Überzeugung, sondern in der Spur von Gruppendynamik. Woher sollte er die ekelige Wortwahl überhaupt kennen? Ich nehme mal an, vom heimischen Mittagstisch.

Tempi Passati, diese Zeiten, darf man nicht vergessen, muss sie hinter sich lassen, sich aber keinesfalls in eine Opferrolle manövrieren.  Entscheidend ist, ob man sich aus der Wachstischdecken-Klebrigkeit lösen kann. Das haben viele geschafft und es waren dafür Kräfte nötig die sich junge Leute von heute kaum vorstellen können. Vor diesem Hintergrund war die Studentenbewegung der 1968er-Jahre ein ungeheurer moralischer Kraftakt. Heute wird er von Leuten belächelt, die von gnädig-später Geburt an in Milch gebadet wurden.

Schlimm ist, dass der bayerische Minister aus seiner Verdrängung und aus dem kokeligen Schweinhaxenstumpfsinn sich offensichtlich noch nicht hatte lösen können und sich seines deformierten Heranwachsens objektiv gestellt hat. Aus Wahlkampfgründen wird aus der moralischen Verbogenheit des Mannes eine verbale Pyrotechnik zur Medien-Explosion gebracht. Es würde vielleicht genügen, wenn man ihm die Zeilen, die sie liebe Leserinnen und Leser sich gerade vor Augen führten, vor die Nase hielte.

Wer es nicht schafft mit seiner Vergangenheit abzurechnen, sich zu offenbaren, um sich dadurch zu korrigieren, ist für ein öffentliches Amt nicht geeignet.