Vincents Tagebuch

Jan van Eyck und Steinbutt

von | 20. April 2023 | Tagebuch

Teil 1
(Teil 2 demnächst)
Antwerpen, Brügge, Gent

Morgens um sechs, kuhnacht, Regen,und die Straßen frei.

Gemächlich schnurrt das Auto über Karlsruhe, dann durch die Pfalz und an Rheinhessen vorbei. Am Rande der Piste kommt der Hinweis auf‘s Deutsche Eck. Dann steigt es an und der Hunsrück verhüllt sich in dichtem Nebel. Der Morgen hellt sich an der Belgischen Grenze etwas auf. Nach Maastricht wird nicht abgebogen. Ganz spontan ahne ich, dass der Belgier nicht von hektischer Natur geschlagen ist. Vor Jahren hätte ich von einer Schleichfahrt gesprochen. Ich bin aber auch ruhiger geworden und genieße geradezu die anderen Autos, allesamt in gemächlicher Fortbewegung. Ich befinde mich jenseits der wilden Reiterei welche die deutschen Autofahrer auf die Kardiologen zutreibt.

Nach Antwerpen sind es noch fünfzig Kilometer. Ich bin ich auf einer Schnellstraße oder einer Autobahn? Egal, ein Industriebetrieb am anderen drängt sich dicht an der Straße. Da müsste eigentlich der Reichtum alter Patrizier-Architektur in der Innenstadt das volle Kontrastprogramm bieten. So ist es auch. Dass ich jedoch nicht in der Nostalgie versacke dafür werden schon die Sonntagsflaneure meinen Überschwang bremsen.

Der Hauptplatz, dem Groenplaats mit dem monumentalen Hiltonhotel wirkt etwas verschandelt. Die Hotelfassade bis zur Gürtellinie wirkt sehr feudal. Doch im Parterre wurde auf breiter Front ein Aluminiumwintergarten an die Säulen gekachelt, dass der verantwortliche Denkmalpfleger sicher nur knapp einem Suizid entgangen sein dürfte. Gerne fotografiere ich Fassaden  alter Bürgerhäuser, widme mich jedoch selten dem Erdgeschoss. Dort drängen sich, was häufig anzutreffen ist, das was meine Frau immer Lumpenläden nannte. Die Mieten in so prominenter Lage können seriöse Unternehmen meist nicht aufbringen. In diesen Zonen des Konsumterrors gilt der merkantile Grundsatz: Billiger Ramsch sucht einen Dummen, der dafür teuer bezahlt.

So, jetzt wollen Sie wissen warum ich die weite Fahrt unternahm. Momentan habe ich den Rappel, das mich Altflämische Malerei interessiert. Nun ist aber Abend und Tochter Eva hat mir einen Platz, ganz meinen Wünschen gemäß, in einem Restaurant ohne Michelinstern reserviert.
Das hat rein gar nichts damit zu tun, dass ich gerne spare. Ich komme so selten aus dem Haus, dass es völlig wurscht ist, was mich das dann kostet. Mir geht es um echtes handwerkliche Kochen, wobei ich keinen Unterschied mache zwischen Handwerk und Kunst. Leider ist heutzutage Kochkunst meist aufgeblasenes Nichtkönnen und sieht oft aus wie von einer App heruntergeladen..


Im Lokal achwelgten ganz normale Leute, irgendwelcher Mittelstand und keine Fatzken. Fast alle aßen diesen, für uns Deutsche, unerschwinglichen Steinbutt. Die Belgier, ein herrlich entspannte Volk, alles funktioniert. Mir sagte mal ein belgischer Gast: “In Belgien ist es umgekehrt wie in Deutschland. Ihr habt viel Regierung und wenig Genuss. Wir haben wenig Regierung und viel Genuss.”