Prof. Claus Josef Riedel trat 1974 in mein gastronomisches Leben. Im Restaurant servierten wir nach “Old School” backsteinschwere Bleikristallgläser, die gleichen mit denen das englische Königshaus heute noch auftischt. Sie wurden in der Schwäbisch Gmünder Graf Schaffgott’schen Josefinenhütte mundgeblasen. Claus Riedel machte dem ein Ende. Mit ihm kam ich durch den Weinfex und Restaurantjournalisten August Winkler in Kontakt. Letzterer hatte einen Narren an mir gefressen und schleppte mich zu den bizarrsten Weinverkostungen. Das führte am Schluss soweit, dass ich bei Degustationen des Weinsammlers Harry Rodenstock dabei sein durfte. Der Höhepunkt waren einige Tropfen eines Weins von Präsident Thomas Jefferson, Jahrgang 1787. Es war ein Erlebnis. Den Wein konnte man noch als trinkbar bezeichnen, er schmeckte aber heftig nach todkrankem, dunkelbraunem Sherry, also sehr, sehr oxydativ. Später, als immer mehr Flaschen auftauchten gerieten die Weine unter Fälschungsverdacht. Geklärt wurde das aber nie. Mit von der Partie war auch Prof. Claus Riedel, mit dem ich mich gut vertrug, da er nicht nur die innovativste Glashütte in Kufstein betrieb, sondern auch noch Motorradfahrer war.
Der besagte Weinexperte August Winkler, mit dem ich viele Weinabenteuer erlebte, lud mich mit mit Riedel auch zu Sensorik-Tests mit nach Kufstein. Glasformen und auch die Ränder der Gläser wurden getestet. Sie bestimmen bis heute das Design. Es war verblüffend, wie unterschiedlich der gleiche Wein aus verschiedenartigen Gläsern schmeckte. Nach außen gewölbter Rand lässt beispielsweise einen Wein weniger sauer auftreten, da der Wein durch die Randform nicht auf die säureempfindliche Zungenspitze trifft, sondern auf die weniger sensible Zungenmitte.
In Kufstein konnte ich die Herstellung der mundgeblasenen Gläser beobachten. Sie waren unglaublich dünnwandig, der Stiel gerade mal etwas dicker als eine Kuli-Mine. Beim Mundblasen zerbrach jedes dritte Glas. Logisch hatten die Preziosen einen sensationell hohen Preis, aber der war berechtigt. Später wurden die Gläser ein klein wenig verstärkt, denn die Spitzengastronomie hatte mehr Glasbruch, als dass man den Nachschub beischaffen konnte.
Für jede Weinart wurde ein extra Glas in den Handel gebracht. Und tatsächlich, nimmt man es pingelig, lieben verschiedene Weine auch verschiedene Glasgrößen und Formen, um den Wein optimal fürs Trinken vorzubereiten. Keine Frage, war dies alles auch eine Geschäftsidee und eine Entwicklung, aus welcher der Sommelier hervorging. Immer mehr erstklassige Weine entwuchsen der Vierteles-Sauferei. Die Winzer lernten schnell und bald gestaltete sich die Szene dermaßen diffizil, dass der Sommelierberuf nicht mehr lange begründet werden muss.
Für Burgunder und Bordeaux kamen Kugeln auf den Tisch, die an Goldfischbecken erinnern. Das ist bis heute so geblieben, hat seine Gründe, aber oft werden kleine Weine auf diese Art in unberechtigte Szene gesetzt. Einem guten Sommelier kann das nicht passieren, aber es wimmelt mittlerweile von servierenden “Fachkräften”, die jung sind und noch alle Chancen zum Dazulernen haben. Trotz all dieser Erkenntnisse mag ich keine Goldfischbecken auf dem Tisch, egal wie toll der Wein.
Lang vor der Jahrtausendwende, damals im Hirschen zu Blaufelden kochte der Ausnahme-Smutje Manfred Kurz ein Supermenü und der Glasguru Prof. Riedel philosophierte über seine wunderbaren Behältnisse. Mein Nebensitzer, wegen seiner nonchalanten Art von mir schon immer verehrt, der formidable S.D Fürst Kraft zu Hohenlohe-Langenburg, raunte mir ins Ohr. Verdammt, ich trinke gerne aus der Pulle was nützen mit tolle Gläser, wenn die Flaschen leer sind. Ganz klar, solcher Art Verwandtschaft mit den Windsors nimmt manches entspannte als Carl Sternheims Bürger Schippel.
Seit dieser Zeit mag ich, zum Unwillen unseres wunderbaren Sommeliers, Andreas Lutz, kleine Gläser, bequem und spülmaschinengeeignet.