Vincents Tagebuch

Die Amis meiner Jugend, und heute.

von | 29. November 2020 | Allgemein

Ich stelle meinen heutigen Sonntagsgedanken mal ins Netz, werde aber sicher noch manches korrigieren müssen.

In den USA gibt es alles im Übermaß, Genies wie Idioten. Damals in den 60er Jahren nach dem Krieg waren die Amerikaner allerdings meine Idole. Schwäbisch Gmünd, kleine Stadt einem engen Talgrund, viertausend Amerikaner waren stationiert und jede Menge riesige Straßenkreuzer waren zu bewundern. Das Verhältnis der eingeborenen Schwaben zu den GI’s gestaltete sich nicht immer einvernehmlich. Während des Vietnamkriegs galt Schwäbisch Gmünd als die Hochburg des Heroins. Immer wieder mal ging eine komplette Gaststätteneinrichtung zu Bruch. Die Kerle soffen fürchterlich, der Dollar war vier mal soviel Wert wie eine D-Mark und die Soldaten verjuxten in den Kneipen ihren ganzen Sold. Gerne tippelte ich als Sechzehnjähriger die Mutlanger Straße hoch. Mitten am Hang, in der Wiese, fand man selbst in dunkelster Nacht die Tanzbar “Regina”, denn sie war das ganze Jahr über mit Weihnachtslämpchen illuminiert.
Die GI’s damals dienten ihrem Land zum größten Teil als Wehrpflichtige. Das bedeutete, dass vorwiegend übermütige Jungs, mehrheitlich pazifistische Hippies darunter waren. Vom Vietnamkrieg hatten sie die Schnauze gestrichen voll. Unter den Wehrpflichtigen konnte man viele Intellektuelle ausmachen. Ganz deutlich drängten sich studierte Musiker in mein Ohr. Im “Regina” wummerte schwärzeste Soulmusic mit B3 Hammondorgel und einem Orkan aus den Röhrenverstärkern. Es fand sich auch eine Armyband ein, die original “Blood-Sweat-and-Tears“ drauf hatten. Also Sänger, Bass, Gitarre und Bläsersatz. Formationen, die man sich im heutgen Konzertbetrieb gar nicht mehr leisten könnte. Nur die tapfersten Mädchen trauten sich in diesen Schuppen in dem Jim-Beam-Whisky nur in Gallonengebinde auf den Tisch kam. Den überwiegenden „Stoff“ besorgten sich die Soldaten in ihrem steuerfreien Kasernen-PX-Laden und verhökerten die Pullen an den Wirt. Den spießigen Gmünder war das alles ein sortenreines Sodom & Gomorrha.
Mädchen, die von Soulmusic begeistert waren, galten als Negerschlampen und als Huren. Es war aber überhaupt nicht so. Klar, dass mal ein von Triebstaubäckchen gerüttelter Soldat an einen Mädchenhintern griff. Schlug sie ihm aber auf die Pfoten, herrschte sofort Ordnung. Wehe der Wirt, der eine ziemliche Verantwortung trug, wehe er rief die Military-Police, die innerhalb von 10 Minuten da war. Man kann sich nicht vorstellen wie die Soldaten mit Gummiknüppel zusammengedroschen wurden. Es gab  noch einige andere Kneipen die von Amis okkupiert waren. Das Gasthaus mit dem allerschönsten Namen „Blumenschein“ war auch immer wieder Kampfplatz von fliegenden Gallonenflaschen.

Meine Eltern schliefen tief und ich kletterte aus dem Fenster, denn die Welt des Jazz und der Soulmusic waren absolut mein Ding. Alles was aus Amerika kam segnete mich  nahezu seligmachend. Irgendwann bemerkte ich aber festgetretenen Kaugummi auf dem Gehsteig, dann die Drogen, aberwitzige Verbrechen, und ganz auffällig: richtig schlechtes Essen, das von Ketchup zusammen gehalten wurde.

Bis vor kurzem, bis zu dem bizarren Wahlshowdown Donald Trumps, bis hin dass man für soziokulturellen Niedergang das Wort Showdown in Stellung brachte, –  für mich stand seit Jahren fest, die Amis sind die Bösen. Es gibt viel Gutes aus den USA. Selbst Donald Trump macht nicht so viel falsch, wie ist bei uns kolportiert wird. Die Demokraten sind auch längst keine Heiligen, sondern nicht minder geldgeil als die Republikaner. Doch der über den Atlantik herüberschwappende Mist, das Daumenrunter – Daumenhochgetwittere, der Finanzbetrug in Milliardengebinden, Facebook, Twitter und Google, das was man unter übelsten Amerikanismus zusammenfassen könnte, ließ mir mein ehemals geliebtes Amerika zum Brechmittel werden.

Es ist nicht lange her, da ging mir ein Licht auf. Die Amerikaner sind nicht an allem Schuld, sondern das Opfer, das sich selbst auf die  Schlachtbank des Kapitalismus gelegt hat. Marx und Engels waren großartige Denker und Visionäre, sie wären verzweifelt, was aus ihren guten Ideen bis heute geworden ist. Wir sind nun inmitten eines  Endzeitkapitalismus, eines Raubtierkapitalismus, und eines entfesselnden Egoismus. Jetzt kommt’s: dessen DNA wurde in Europa geboren und dann katastrophal umgebogen. Es begann in England (Manchester) und streute sich über Europa bis in die USA.
Deutschland wandelte sich seit dem Krieg zum Sozialstaat auf den man Stolz sein kann. Diese Errungenschaften geraten jedoch immer mehr auf schwankendes Terrain. Wir verbuchen im Ausland schwindende Anerkennung. Längst sind wir so weit, dass wir Ungezogenheit, Rücksichtslosigkeit, Gewalt, Wallstreetbetrug, Black-Friday-Idiotie nicht mehr importieren müssen. Das alles ist bei den meisten von uns schon in der DNA verankert.