Während des Lockdowns werde ich mich nicht auf die faule Haut legen, sondern an den Überlebensrezepten weiterarbeiten, und diese auch besser ordnen. So habe ich heute bemerkt, dass es gar keine Rubrik für Fisch gibt. Mea maxima culpa.
Wein und Sauerkraut
Das Vergären ist eine der ältesten Möglichkeiten Nahrungsmittel haltbar zu machen. Gärung gab es schon immer. Ich beobachtete einmal Krähen die sich an meinen vom Baum gefallenen Zwetschgen verlustierten. Die Früchte befanden sich allesamt „on a recycling way“. Nichts faule, aber es gärte, was den Vögeln eine fast hysterische Lust bereitete. Wankende Gestalten in der Morgendämmerung. Die Tiere waren recht besoffen und fühlten sich prächtig aufgekratzt.
Solcherlei Bewusstseinserweiterung kannten schon die Vorfahren im Neolithikum. Neben dem antiken Weinbau gab es den Meth aus Honig vergoren, der die Germanen dermaßen befeuerte, dass sie mit dieser Stimulans das römische Reich überrannten.
Es geht nicht nur um den Alkohol, der Name stammt aus dem Arabischen „al khol“, und bedeutet „Etwas Feines“.
Eine andere Art von “Speed” sorgte jedoch dafür, dass nicht nur der Kopf „voll“, sondern dies auch dem Magen zuteil wurde. Ein Krautskopf verdirbt, besser aber er vergärt zu Sauerkraut.
Es geht um Verwandlung, indem kleine Tierchen, Bakterien, den Zucker in Milchsäure verwandeln. Um 1650 entdeckte Johann Joachim Becher den Unterschied der alkoholischen Vergärung und die der Essig-Milchsäurevergärung, die von Essigsäurebakterien bewirkt wird. In beiden Fällen löste Zucker die Fermentation aus.
So richtig kapier ich das nicht und deshalb rufe ich den ausgezeichneten Winzer Helmut Dolde an. Er betreibt ein Weingut bei Nürtingen am Fuße der schwäbischen Alb. Warum ich ausgerechnet ihn anrufe hat den Grund, dass dieser Mann in seinem ersten Leben Chemielehrer war. Er erklärt mir die unterschiedliche Gärerei in knappen Sätzen und erspart mir stundelanges Googeln.
Trauben vergären zu Alkohol durch Hefebakterien also Pilze. Kraut vergärt durch Bakterien (Tierchen), nämlich Milchsäurebakterien. Beide Prozesse funktionieren unter Luftabschluss. Die Milchsäurebakterien sitzen wie die Hefen auf den Weintrauben, oder aber die Bakterien auf der Frucht, dem Kraut. Wird das Kraut gesalzen vernichtet es alle Bakterien, aber nicht die Milchsäurebakterien. Die Gärung kommt in Gang, aus Weißkohl wird Sauerkraut und ist dann haltbar, sofern es immer mit Salzwasser bedeckt ist.
Wir Profiköche befinden uns mitten in der Fermentationswelle, Oma und ihre Kochprinzipien
sind schwer angesagt. Aber Vorsicht, Nostalgie verschiebt den klaren Blick. Sauerkraut
(durch Milchsäure fermentierter Kohl) riecht oft wie schon mal gegessen. In
Besenwirtschaften oder Äppelwoiwirtschaften matscht oft ein Gemenge, von dem
behauptet wird, dass es mit jedem Aufwärmen besser schmecke.
Ohne Frage ist das eine Schutzbehauptung vieler Köche und Köchinnen. Zu lange gekocht
oder aufwärmt beleidigt das Kraut unsere Nasen, und kann obendrein noch zu gewaltiger
Flatulenz führen. In Asien dagegen, dort wird viel mehr Kohl gegessen als hierzulande. Frisch oder fermentiert (Sauerkraut), nirgends ist in der asiatischen Küche der Mief zu schnuppern, der Deutschland im Auslands zu den„Krauts“ machte.
Wie und warum, wird demnächst bei den Überlebensrezepten veröffentlicht.