Im Buch ist das zu erfahren, auf welchem hohem Niveau die Esskultur sich schon vor dem ersten Weltkrieg befand. Zwei Kriege und der Zeitgeistgötze, der sich Rationalisierung nennt, haben viele sensorische Empfindungen ums Essen herum vernichtet.
Sehe ich beispielsweise eine weiß gestärktes Tischtuch und eine weiße Serviette auf dem Tisch liegen erweckt das in mir Hochgefühle, Erinnerung an die Kindheit. Meine Gedanken vertiefen sich zu Besuchen im kulinarischen Frankreich, das mit den 1970-Jahren begann. Paul Bocuse, Leon de Lyon, Roger Vergé, Jean Claude Vrinat vom Taillevent, Leon de Lyon, Madame Point in Vienne, Louis Outhier, Alain Chapel, Claude Terrail vom Tour d’Argent, Paul Haeberlin, Raymond Thulliers in seiner Ousteu de Beaumanière in Les Baux Marc Menau in Vezeley, Bernard Loiseau in Saulieu, die Troisgrosbrüder in Roanne und den heute noch kochenden Bernard Pacaud, 1974 war das Maxims in Paris noch ein Großereignis, oder heute die Unternehmungen von Alain Ducasse, Etoile, das Restaurant Epicure im Pariser Bristol, heute immer noch über Allem, Michel Guérard in Eugénie les Bains, und viele mehr.
Das waren übrigens alles meine Lehrmeister. Diese Besuche haben viel Geld gekostet, letztlich waren sie aber billiger als eine Universität, oder jährlicher Skiurlaub. Und ohne diese Visiten wäre ich heute nicht der, der ich bin. Hatte ich als junger Koch die Grundlagen der Kocherei intus, ging es nur noch darum, bei Tisch Erfahrung zu sammeln. Hatte ich bei einem Meister mal einen getrüffelten Schweinsfuß oder sonst eine Köstlichkeit genossen, wusste ich wo der Hammer hängt. Unsere Bouillabaisse, die wir momentan auf der Karte haben, kann heute nur so gekocht werden, weil ich an der Côte d‘ Azur die zwei besten Bouillabaisseküchen erleben konnte. Wer so etwas nach Rezept kocht und es nicht in Vollendung je selbst gegessen hat, tappt letztlich im Dunkeln.
Bevor ich die richtungsweisenden Restaurants betrat, war ich durch Vorfreude schon ein anderer Mensch. Womöglich erlebte ich nicht einmal die Wirklichkeit, sondern die Erwartung und sonstiges Unterbewusstes. Das alles Großteils längst verschwunden und trotzdem schwingt es in mir nach.
Der Lebensmittelwissenschaftler Klaus Dürrschmid nimmt uns mit wissenschaftlicher Akribie bei der Hand und erklärt, warum die Phantasie unseres Geists soviel Einfluss auf unser Geschmacksempfinden hat. Er schreibt:
„Essen kann man nie isoliert sehen. Die Erinnerung an die Küche der Kindheit entsteht durch die Verknüpfung des sensorischen Erlebnisses mit der damaligen Situation. Also wie die Speise gerochen, ausgesehen und geschmeckt hat, aber ebenso, wie der Tisch gedeckt war, wie unser Verhältnis zur Oma war, die gesamte Situation geborgener Braten. Kann es sein, dass allein der mit Positivem assoziierte Geruch ist unbewusst dafür sorgt, dass man ihn besser findet. Der Geruch ist ja die sinnliche Wahrnehmung zur Erwartung darf aber nicht zu groß sein. Ein schlechter Braten wird nicht toll, weil Oma einen guten gemacht hat.”
Nachklapp:
Man redet gebetsmühlenhaft von den Kochkünsten der Oma, und das seit Generationen. Für mich wäre es besser, von der Uroma zu reden, denn meine Mutter, die Oma meiner Tochter kochte zwar sehr gut, war aber eine „moderne“ Frau und auch ein Fan von Nescafé und Libbys Dosenravioli.
Die gute alte Zeit? Sie wird gerne verklärt und es ist ein schöner menschlicher Zug, wenn man vergangenen Mist aus dem Kopf räumt und dafür das Gute in Erinnerung behält.
Wir kennen doch alle die Geschichte vom wunderbaren Urlaubswein, der den Transport in die Heimat nicht überstand. Wie herrlich schmeckt in Roms Trastevere der Frascati, aus der Dreiliterbombe. Zuhause empfindet man ihn als Attacke gegen die Gesundheit. Mit dem oft zähen Rindsbraten der Großmutter ist es nicht anders.