Vincents Tagebuch

Die Sauce als Briefbeschwerer,

von | 13. Juni 2020 | Allgemein

… davon sprach Nietzsche, und in gewissen Landstrichen Teutoniens ist es immer noch mehr als Brauch, nein Lebensgrundlage, die Sauce mit der Gabel essen zu können. Von der Stippe zur Tunke war es schon ein gutes Stück, und seit man statt Tunke Sauce sagt steht es trotzdem nicht gut um die Saucen. Als Kind war mir die Soß’ der Ersatz für’s Fleisch, das der Vater für sich in Quarantäne nahm. Sauce war das Gleitmittel für Beilagen und hatten gefälligst Fleischgeschmack zu haben, was die Industriesaucen-Verbrecher sich nicht zweimal sagen ließen.

Es gibt auch viele Saucen, die mit Fleisch gar nichts zu tun haben, helle süße, saure, scharfe Elixiere. Sie kaprizieren sich als schwarze Schönheiten, trillieren brünett, als Blondinen, kurz, lang aber auch oft fad. Saucen können kalt, mit Öl und Essig gebunden. Oft sind sie Raketentreibsätze, welche die Probanden die Bäume hochtreibt, zu Dauererektionen und Hirnrindenjucken führen können. Häufig hat sich die Sauce auch als rettender Notfallschirm über einen Küchenunfall zu senken.

In der Grande Cuisine hat sich die Sauce nur um eines zu kümmern: sie sollte für Harmonie sorgen. Den Wohlgeschmack hat sie zu heben, sich nicht über die Aromen der Fische oder des Fleischs erheben. Kurzum, sie ist nicht Domina, sondern graue Eminenz, die ein hochstehendes Gericht in einen wohlproportionierten Rahmen stellt.

Nochmal: was die französische Küche zur kunstvollsten der westlichen Welt machte, hat auch mit aufmerksamem Saucenkochen zu tun. Das ist schön und gut, aber wir leben jenseits des Rheins. Was läßt sich aus dem Sumpf der deutschen Sauce herauslesen? Das ist gewiß so schwierig wie im Bodensatz eines Ketchupeimers zu rätseln. Da wäre auch die Wissenschaft überfragt. Werden wir Deutsche deshalb im Ausland mit Unruhe beobachtet, weil uns letztlich nicht zu trauen ist, wir zwar Saucen haben, diese aber auch mit Kanonen verschossen werden können?

Die Franzosen reden über uns selten gnädig, wenn es darum geht, uns „boches“ als kochende Kulturmenschen zu akzeptieren. Ihr Hochmut erwuchs ihrem Repertoire an Saucen. Hunderte braune Sauce, hunderte helle Saucen und dazwischen noch Spezialerfindungen wie die Sauce Beàrnaise. Haben die Franzosen mit Recht ihr Savoir Vivre immer an der Sauce festgemacht, so gibt’s in Italien so gut wie keine. An Saucen läßt sich durchaus das Wesen einer Nation deuten. Die Sauce als kräftige Glace, obendrein noch „montée au beurre“? Antipodisch dagegen der pure lombardische Fleischsaft. In Frankreich vertrackte Verfeinerung, Artistik und Kulturgut, durchaus auf der Augenhöhe der Literatur. In Italien, das pure Produkt ohne Schnörkel, ganz wie das modere italienische Design. Hier die Kunst, dort die Logik der Hausfrau, Mamma und der geradlinige Gusto.

Schaut man jedoch in die stumpfe Pampe deutschen Gasthauskleisters wir einem angst und bang. Gute Saucen sind Signale für Fleiß und den Willen zur Verfeinerung des Alltags. Mit der Nachkriegszeit wuchs sich das deutsche Soßen-Desaster zu einer Monstrosität aus. Vor zwanzig Jahren etwa gaben die Omas und Tanten in den Gasthäusern und auch in ihren Haushalten den Löffel ab. Die Sauce definierte sich fortan über Tüten und Pasten.

In Deutschland hat sich aber viel getan, getreu dem, mit steile Augenbraue gesprochenen Satz meines Küchenmeisters, „Klink sie sind ein saublödes Arschloch, aber sie lernen schnell“. Da war ich in den beginnenden Neunzehnhundertsiebziger Jahren nicht der Einzige. Es gibt seit damals und heute erst recht in Deutschland eine wachsende Zahl von Köchen, die weiß wie es geht, wie aus besten Zutaten Saucenkunstwerke entstehen können.