Vincents Tagebuch

Kutteln

von | 28. August 2018 | Allgemein

Es gibt bekanntlich Listen von Büchern, die man unbedingt gelesen haben sollte. 

Man kennt das aus der Wochenzeitung „Die Zeit“. Da Beginnt es bei Platon und Sokrates.
Friedrich Torbergs „Tante Jolesch“ ist nicht dabei. Sie stammt wie Oskar Maria Graf’s Werke aus einer anderen Genießerhemisphäre. Na ja, die Hitliste wird vornehmlich von norddeutschen Juroren zusammengestellt. Wie auch immer, „Tante Jolesch“ muss sein. Gestern kam zu meiner eigenen Hitliste, die auch alle Wiener Kaffeehausliteraten beheimatet, ein weiteres Buch dazu, das diesem ebenbürtig ist: André Heller: „Wie ich lernte, bei mir selbst Kind zu sein“. Erschienen im S. Fischer Verlag.
Es geht um die Kindheit eines gewissen Paul, hinter dem nicht nur von ungefähr sich der kleine André Heller sich verbirgt. Da wird der ungeliebte Vater, ein Tycoon der reinsten Sorte, ohne große Trauer zu Grabe getragen.  Ein Leichenschmaus ist nicht geplant, aber der Onkel aus Montevideo, entführt den Kleinen ins Gasthaus „Zu den drei Hacken“, ein Wiener Beisl, das es heute noch gibt. 
Kuttelfleck mit Semmelknödel werden bestellt. Und, was ich schon immer ahnte, Kuttelessen befeuert offensichtlich den Hirnkasten. Der Onkel erklärt schmausend dem Kleinen die Welt, und dass man sich auf dem Wege zum glücklichen Mann darin üben sollte, den Orgasmus einer Frau zu bewältigen, ohne zu ejakulieren. Samen zu verschleudern, diese Energieverluste ließen Männer früh vergreisen und verblöden, meinte der Onkel. Er hatte sich tatsächlich in stattliches Alter gerettet ohne zu verblöden. Nachdem er diesen Achtungserfolg für sich verbucht hatte, fuhr er fort: „Wie alt bist Du?“. Das Bübchen sagt: „Kommenden Februar werde ich dreizehn“! Der Onkel neigte sich dann konspirativ über seinen Kuttelfleck und murmelte: „Also, dann darfst Du ruhig noch drei Jahre onanieren, das ist in deinem Alter auch gut gegen Wimmerln (Pickel)! Aber bitte, mach mir die Freude und denke dabei nur an die schönsten Frauen der Welt. (…) Überhaupt, wenn du dich im Leben schon der Mühe unterziehst, etwas zu denken, dann kannst du gleich etwas wunderbares denken.
So weit so gut, und ich hoffe, dass sich Kuttelesser nun bestätigt finden. Auf der Wielandshöhe gibt es seit dreißig Jahren keinen Tag, ohne dass Kutteln die Speisekarte geziert hätten. Es mag verwundern, als ich noch in Schwäbisch Gmünd, vor 35 Jahren das Herdfeuer am Glühen hielt, hatte ich ein bis zwei Tage keine Kutteln auf der Karte. Und genau wegen denen besuchte mich damals der Feinspitz und Chronist der Gourmandise, Wolfram Siebeck. Er geriet wegen der Kuttel-Absents fast ins Randalieren. Nie wieder habe ich es gewagt einen kuttelfreien Tag zu riskieren.
Wir haben gerade Sommerkutteln in heller Tomatensauce auf der Karte, eine Varietät, die ich einst in der Toskana kennen lernte. Damals, als noch in Italien grundsätzlich die Mamas in der Küche standen und die Männer mit aushändigen Liebesdiensten zugange waren (engl. struggling situations). 
Also Kutteln, Trippa:
200 g, Rinderkutteln. In der Regel sind sie vorgekocht, werden dann aber in Vierecke geschnitten, die ungefähr die Größe haben, die man von englischen Briefmarken kennt auf denen die Queen die Welt grüßt.
Sie kommen in einen Topf und werden mit einer handbreit Brühe bedeckt und so lange gekocht, bis sie zwischen hart und weich den Mund tapezieren. Vier Schalotten werden in Würfelchen geschnitten, und eine Knoblauchzehe dazugequetscht. Eine Messerspitze Safran färbt nun alles gelb ein und gibt auch eine geschmackliche elegante Richtung vor. Pfeffer und Salz sollte im Grunde schon längst das Gebrodel begleiten und ein Teelöffel frisches, feinst geschnittenes Lorbeerblatt vollendet. Hat alles brav gekocht, gibt man den Topfinhalt auf ein Sieb und der aufgefangene Sud kommt wieder auf den Herd und wird mit etwas Mehlbutter abgezogen. Der Handmixer bläst Luft darunter, dann kommt das Abgesiebte wieder in den Sud, den man nun als Soße bezeichnet, und dann, Gentlemen, Missis und Mississippis, mit einem Baguette schnell zu Tisch.
Und noch ein Nachsatz von Friedrich Torberg: 
Alles, was am Mann schöner is als beim Aff’, is a Luxus!