Vincents Tagebuch

Bocuse

von | 24. Januar 2018 | Allgemein

Adieu, Paul Bocuse! Ein Nachruf auf den “Zeus der Köche” |

Als junger Koch mit gewaltigen Ambitionen, hörte ich immer wieder den hänselnden Zuruf: “Hey Bocuse!” Das war nicht böse gemeint, sondern man befand sich damit bereits in einer anderen Liga als ein liebloser Schnitzelklopfer.
In den 1960er Jahren war das Berufsbild des Kochs in Deutschland noch ziemlich diffus. Klar war jedoch unter Eingeweihten, ein Koch ist ein ganzer Kerl, sieht nicht verhungert aus und beherrscht drei Dinge richtig gut, wobei das Kochen erst an vierter Stelle rangierte: Trinkfestigkeit war unabdinglich, Fußballkenntnisse waren von Nöten, der Rest war ständiges Schwadronieren über Weiber, von denen man so wenig wusste wie vom wirklich guten Kochen. Profiküchen, selbst in Luxushotels, waren zum Schutz der Gäste bevorzugt im Keller versteckt. Es ging nicht anders, denn Köche mussten nicht unbedingt superb kochen, aber infernalisch brüllen zu können, war für eine gute Karriere unabdingbar.

All das änderte sich, als Paul Bocuse die Bühne der Gourmandise betrat. Niemand ahnte die Dimensionen, und in welche Höhen er die Grande Cuisine hochschrauben würde. Mittlerweile kann man getrost von Weltbühne sprechen, und all das hat in hohem Maße mit Paul Bocuse zu tun.
Bocuse hantierte immer am Rande der Übertreibung
Paul Bocuse hatte sich an verschiedenen Orten jugendliche Sporen verdient. Entscheidend waren aber sechs Jahre bei dem damals weltbesten Meister, beim legendären Fernand Point, 150 Kilo schwer. Dieser Egomane, der einen Schatten warf wie ein Sattelschlepper, prägte Monsieur Paul bis zum Lebensende.

Hinzu kam die wachsende Bedeutung der Medien, die der junge Franzose früh für sich in Stellung brachte. Alsbald sammelte er Auszeichnungen: 1961 wurde er bereits zum Meilleur Ouvrier du France geadelt. 1975 inthronisierte man ihn zum Ritter der Ehrenlegion, was in Frankreich einer Art Heiligsprechung gleichkommt. Nach Napoleon endlich mal wieder ein Signal, das auf “Grande Nation” deutete. Ein Koch im nationalen Olymp, das hatte es noch nie gegeben, und seit diesem Tag war Paul Bocuse endgültig ein Nationalheld.

Als hätte er das längst geahnt, dröhnten schon lange zuvor, auf dem Dach seines Restaurants, die sechs turmhohen Buchstaben seines Namens. Bis heute sieht man die Werbeschrift weit ins Tal der Saône ragen und wundert sich, dass das Haus darunter nicht zusammenbricht. So ist Bocuse! Wo Kollegen sich mal eine Schallplatte auflegten, kaufte er sich gleich eine ganze Sammlung King-Size-Jahrmarktsorgeln, und veranstaltete damit ein Donnergrollen, das die Ortschaft Collonges Mont d‘Or wie das Epizentrum eines Erdbebens durchschüttelte. Seinem Restaurant ist übrigens ein Devotionalienladen von Ausmaßen angegliedert, der dem Vatikan kaum nachsteht.
Er hantierte immer am Rande der Übertreibung und hätte allen Grund gehabt, durchzudrehen und sich mit der Hautevolee handgemein zu machen. Bocuse war jedoch Pragmatiker und tiefgreifend bodenständig, ein richtiger Arbeiter, und nichts war ihm in den Schoß gefallen. Die ehemalige Schenke der Schiffer- und Fährleute seines Großvaters erhob er zu einem Wallfahrtsort. Dafür hat er getrommelt, was das Zeug hielt. Immer hat er laut getönt, sich ab und an kräftig selbst gelobt, wenn gerade sonst niemand dafür zur Stelle war. Egal, wie man zur Dreisterneküche stehen mag, egal, wie elysisch man den Gaumenkitzel einfordert: Event-Esser und Last-Kick-Idioten hat er manchmal nicht zur Verzückung getrieben, die wahren Gourmets jedoch immer.

Die Nouvelle Cuisine, – die in Deutschland so sehr missverstandene Bewegung hin zur Natur, hin zur Leichtigkeit und weg von der Mehlschwitze –, hat er nicht erfunden, doch er verhalf ihr zu Anerkennung wie kein anderer neben ihm. Obwohl er seit jeher als wichtigster Exponent dieser modernen Küche galt, wurde sie von ihm nur soweit betrieben, wie es sein Lustempfinden und das seiner Gäste erlaubte. Er übertrieb immer, hat aber nie auf Kosten seiner Gäste experimentiert, oder sich mit billigen Tricks das Lob der Kritiker erheuchelt. Im Grunde beschränkte er sich auf klassische Küche, die er von überflüssigen Kalorien befreite. Eine Rezeptur für orale Erregung, die bis heute und für alle Zeiten Gültigkeit haben wird.
Für die Grande Cuisine machte er sich zu einer fleischgewordenen Werbemaschine. Indem er an seiner eigenen Lichtgestalt unablässig modellierte, riss er seinen ganzen Kollegenkreis, den ganzen Berufsstand aus dem Bodennebel des Frittendunstes. Maître Paul holte die Smutjes dieser Welt buchstäblich aus dem Keller. Auguste Escoffier, Chefkoch des Fin de Siècle, Kaiser der Köche, könnte man als seinen unmittelbaren Vorgänger nennen. Immerhin zitierte dieser kochende Faun den hochwohlgeborenen Wilhelm II. in die Adlon-Küche hinab, als der deutsche Kaiser ihn bat, an seinen Tisch zu kommen. “Hier unten bin ich der Kaiser, und ich gehe nicht hinauf, sondern er möge herunterkommen!” Escoffier schickte mit dieser Botschaft nach dem Kaiser, und der stiefelte auch brav in das Souterrain des Hotels. Zwischen Escoffier und Bocuse passt allenfalls noch Eckart Witzigmann. Diese drei Leute, vielleicht noch Alfred Walterspiel und der eben genannte Fernand Point, waren die entscheidenden Antreiber der letzten hundert Jahre des Berufskochens.

Eine Trüffelsuppe machte ihn weltberühmt
Richtig berühmt wurde Bocuse mit einer Suppe, die er Giscard d’Estaing servierte. Eine Löwenkopf- Suppenterrine wird mit Trüffelconsommé gefüllt und mit Blätterteig abgedeckt. Kein Hexenwerk, aber wenn am Tisch die Teigkruste durchstochen wird, entweicht unvergleichliches Aroma. Das übernimmt der Kellner am Tisch, und diese Aktivität ist genau die Sorte Spektakel, auf die es dem Meister immer ankam. Eindeutig Suppen-Showbizz, aber ein verteufelt gut schmeckendes Wunder, das heute noch die Karte seines Restaurants ziert.
1974 besuchte ich zum ersten Mal Paul den König der Köche in Collonges Mont d’Or. Schon beim Eintritt ins Restaurant schwindelte mir vor der Pracht des Dreisterne-Palazzos. Ähnlich mag sich ein Amazonas-Indianer fühlen, wenn er im Lendenschurz unvermittelt über Manhattan abgeworfen wird. Als 24-jähriges Köchlein hantierte ich aber dann – zwischen beherzt und verzweifelt – doch immerhin so routiniert mit Messer und Gabel, dass der “Gott in Weiß” auf mich aufmerksam wurde. Bocuse kam nicht einfach auf mich zu, sondern schwebte ein. Sein Ego brachte fast die Bude zum Erstarren. Ich sah es ihm von Weitem an, nie kannte er auch nur eine Sekunde lang irgendwelche Selbstzweifel. Er war komplett mit sich im Lot und beherrschte die Rolle des Kumpels und Königs perfekt, denn er spielte sie nicht, sondern lebte sie mit Haut und Haaren. Wenn einer den Orden “Erster Arbeiter der Nation” verdient hat, dann er.
Wegen meiner virtuosen Mampferei war er animiert, sich nach meinem Woher, Wohin und nach der Profession zu erkundigen. Ja, ich sei Koch stammelte ich, und der Zeus der Töpfe stieg zu mir herab, setzte sich kurz an den Tisch, nahm mich in den Arm und spendierte mir ein Kirschwasser, obwohl ich sowieso schon alles doppelt sah. Bocuse war klassenloser Kollege, Handwerker und – wie bei vielen Zünften – gleich per Du und Kumpan.

Der Mann war ein Dampfhammer, in gewissem Sinne manchmal rücksichtslos, dann aber auch wieder sensibel, oder unvermittelt brachial. Ach ja, und beleidigt war er auch recht schnell, wenn man seine Lichtgestalt anzweifelte. Paul Bocuse, die Diva in Malocherklamotten, allerdings mit Trikolore am Kochkittel. Als der deutsche Sternekoch Lothar Eiermann einst Zweifel anmeldete, ob es bei seiner Vorbildfunktion erlaubt sei, eine Feinkost-Dosen-Produktion zu betreiben, kam vom “Roi de Cuisine” in Richtung des teutonischen Bedenkenträgers nur der trockene Hüstler: “Arschloch”. Die Kulinarik in Dosen damals war aber nur die Starthilfe zu größeren Umsätzen auf diesem Gebiet.

Im Zweiten Weltkrieg hatte sich der junge Bocuse irgendwo in den Vogesen eine deutsche Gewehrkugel gefangen. Die Amis waren schon soweit vorgerückt, dass er von ihnen eine Bluttransfusion bekam. Fortan sagte er, er wäre auch ein bisschen Amerikaner, denn deren Blut poche nun in seinem Herz. Man könnte meinen, sein monströser Optimismus, die Tatkraft und Unbekümmertheit bis an den Overkill, all diese amerikanischen Wertvorstellungen rührten davon.
In Lyon wurde ein Fastfood-Restaurant eröffnet. Im “Quest Express” werden Ruck-Zuck-Gerichte zwischen zehn und vierzehn Euro angeboten, und in Orlando/Florida eröffnete er in den Achtzigerjahren mit seinen beiden berühmten Kollegen Gaston Lenôtre und Roger Vergé ein Restaurant mit Konditorei im Disneyland.

Der Meister hatte schon immer einen Sinn für Effekte, auch der “Loup en Croûte” gehört dazu und letztlich auch das wunderbare Foto, als er mit seinem Freund Franz Keller, dem legendären Wirt vom Kaiserstuhl, obsessiv an einem Bahnsteig stand und gegen eine Lokomotive pinkelte. Derbe Späße waren so richtig sein Ding.
Köche alten Schlages sind handfeste Gesellen und haben wie Bocuse einen harte Schale und dabei einen weichen Kern. Sie sind das Gegenteil des modischen Zaudermaskulinen unserer Tage.
Es gibt viele feige Köche, die um die Gunst der Gäste oder der Kritiker buhlen. Bocuse war immer geradeheraus und tapfer. “Mörder” rief er dem gefürchteten Restaurantführer Gault Millau zu, als sich ein Kollege wegen dieser Schreiberlinge erschoss. Er war ein Virtuose der Leidenschaft, ein Kind der Lust, und dafür ließ er gar nichts anbrennen. Von zwei Frauen hatte er jeweils ein Kind, und eine dritte Frau machte er auch noch glücklich. Dazu gehörte die Konstitution eines Stiers und die hatte er, und die hielt ihn bis zuletzt frech und frisch.
Adieu Grand Chef! À toi pour toujours, Vincent

stern.de · January 21, 2018
Der Maître ist gerade noch rechtzeitig gestorben. Er prägte nämlich auch den schlagwetternden Satz, dass Frauen für die Berufsküche zu blöd seien und eigentlich ausschließlich ins Bett gehören. 

Wenn ein Mitarbeiter das Wort “rationalisieren” in den Mund nahm, bekam der Alte einen Tobsuchtsanfall. Im Grunde hatte er da nicht ganz unrecht. Alles was rationeller und praktischer gemacht wird, ist meistens nicht richtig schön, angefangen bei McDonalds bis hin zu Plastikfenstern.
Auf die Frage, wer kochen würde, wenn er seine Betriebe in Übersee inspiziere, antwortete Bocuse: “Wenn ich nicht da bin, kochen die gleichen, wie wenn ich da bin.” Deshalb ist natürlich auch nach seinem Tod der Besuch des Restaurants eine Reise wert, denn sein Personal gehört selbstverständlich zur Weltelite.