Vincents Tagebuch

Ijoma Mangold

von | 21. Dezember 2017 | Allgemein

Die Literatursendung mit Marcel Reich-Ranicki vermisste ich lange. 
Das ist nun vorbei. Seit einiger Zeit schaue ich mit Vergnügen die SWR- Literatursendung “Lesenswert” mit Denis Scheck und seinem Komplizen Ijoma Mangold. Das bewog mich auch von Letzterem seine Biographie zu lesen. “Das Deutsche Krokodil” ist im Rowohlt Verlag erschienen. Meine Frau drängte mich dazu, denn ich lese nicht gerne Biografien von Zeitgenossen, weil ich mich schon zu oft an eitlen Beschönigungen rieb. Nichts davon bei Ijoma Mangold, seine unaufgeregt Schreibart ist von stilsicherer Balance zwischen Berührtsein und Ironie.
In dem Buch bekomme ich den Spiegel vorgehalten, dass der Deutsche beispielsweise gerne “ringt”, titanisch ringt mit dem Christentum, dem Gewissen, dem Fegefeuer und all der deutschen Seelenlast. Und man erfährt von Mangold, dass er sich davon nie hat irritieren lassen, sondern unser Dasein zwischen Nordsee und Alpen beglückend findet. Nirgends ein erhobener Zeigefinger oder moralinsaures Lächeln, das erschreckt und aussieht als hätten man auf eine Zyankalikapsel gebissen. Solch bildhafter Sprache bedient sich Mangold, der erfreulicherweise von der Preußenbegeisterung zu den sinnenfrohen Habsburgern konvertierte. 
Seit ich für mein kommendes Buch über die Stadt Wien und deren Insassen recherchiere, finde ich auch immer mehr “Gefallen an der katholischen Doppelmoral aus Sündenbewußtsein und Beichte”.  Vor diesem Hintergrund scheint mir der Rechtsruck der Österreicher zwar nicht harmlos, aber einige Sachertorten auf den Wolken der Macht werden den ehemaligen Wehrsportler und völkischen Strampler der FPÖ soweit abpolstern, dass er in einer Art Umkehrschub sich höchstwahrscheinlich vernünftig einarbeiten wird.
Verzeihung, eine Abschweifung, zurück zu Ijoma Mangold, der in seinem wunderbar geschriebenen Buch seine zwei Welten beschreibt, seine nigerianische Familie und seine Heidelbergern Mutter. Er befand sein Dasein jedoch nie zwischen zwei Stühlen sitzend, ist mit Bestimmtheit auch keiner, der ständig die Lücken und Abgründe sucht sondern als moderner Humanist sich auf das positive Voranschreiten konzentriert
Das Buch erfreut als großes Kunststück ohne jede Peinlichkeit oder Nabelschau. Dafür ein ganz großes Kompliment. Jeder der sich zu einer Biografie getrieben wähnt, sollte vorher unbedingt dieses Buch lesen. Zum Schluss noch beneide ich den Mann um seine Frisur, einer üppigen Macchia, die sicher gut wärmt und das Hirn vor dem Einfrieren schützt. Ganz ander wie bei mir, der ich mitten im metallenen Zeitalter vegetiere. Um es mit André Heller zu sagen. “Auf dem Kopf Silber (Reste), im Mund Gold, und in den Beinen Blei!”