Der Wunsch zu herrschen
ist in unseren demokratischen Zeiten vielleicht nicht mehr so ausgeprägt. Aber Herr sein will man doch. Und das Herrentum, früher in die Machtzentren der Höfe eingekapselt, scheint sich nach deren Öffnung als eine, seltsame dünne, Soße über das ganze Volk ergossen zu haben, um Abertausende kleine Herren sprießen zu lassen: Die Bohne heißt »Prinzess«, die Kartoffel heißt »Herzogin«, der Hosenträger heißt »Privileg«,das Rasierwasser heißt: »Prestige«; der Sekt heißt »Fürst«, der Kühlschrank heißt »Monarch«, das vom Investor zusammengenagelte Altenheim ist immer eine Residenz: Das hausbackene Lebensgefühl unserer rechtschaffenen Republik droht in einem Abgrund von Vornehmheit zu versinken.
Diesen Text habe ich in meinem Tagebuch von 1992 gefunden. Er war den Eruptionen eines befreundeteren Geistesmenschen entsprungen. Der Dichter und Sänger Christoph Stählin ist heute leider ziemlich vergessen. Unvergessen seine “Einblattzeitung “Schöner denken!”