Ezra Pound
Mein Venedigbuch kommt im Frühsommer in den Buchhandel.
Darin findet die Friedhofinsel San Michele ausgedehnt Erwähnung. Igor Strawinski ist dort begraben, Sergei Diaghilev der große Ballettmeister, der Komponist Luigi Nono, der Nobelpreisträger für Literatur Joseph Brodsky und der totgeschwiegene Großdichter Ezra Pound.
Dieses Kapitel habe ich aus dem Buch gestrichen, denn es ist vielleicht doch zu politisch und eine ziemliche Abschweifung. Wegschmeissen will ich meine Gedanken aber auch nicht. Passend zu den dunklen Tagen empfindet es aber der/die Eine oder Andere vielleicht doch als lesenswert.
…Der Spaziergang führt nun zum protestantischen Friedhof. Würde Igor Strawinski noch leben, hätte er mich bestimmt freudig begleitet. Strawinski verehrte den amerikanischen Dichter Ezra Pound bis zu seinem Tod. Ich bin auf dem Weg zu meiner Herzensangelegenheit.
Der Dichter Ezra Pound (1885-1972) gilt für mich als Exempel für die Balance zwischen Ästhetik, Kunst, Moral und Politik. Seine „Cantos“, seine lyrischen Gesänge, über fünfhundert Seiten sind eine Dekodierungsreise durch fremdsprachliche Zitate, durch Mythologie, antike Philosophie und politische Polemik. Fünfzig Jahre arbeitete er an diesen Gedichten. Pound, ein Avatar der Moderne. Obwohl er auch Lenin schätzte, verfiel dem äußerlichen und inneren Mummenschanz Benito Mussolinis. Davon sprach er im Radio. Vor Kriegsende verrannte er sich in Huldigungen für Faschismus und wurde dafür als Vaterlandsverräter und von den Amerikanern grausam bestraft. In Pisa sperrte man Pound, unter mittelalterlicher Rohheit, in ein Käfig und stellte ihn wochenlang aus. Er hatte eine Holzpritsche und einen Kloeimer, alles öffentlich.
Der größte moderne Dichter, der angloamerikanischen Welt sollte als Staatsfeind mit dem Tod bestraft werden. Bis heute wird er als Antisemit verurteilt, was nicht ganz richtig ist. Er verstand sich nämlich auch als Nationalökonom und geißelte als früher Globalisierungsgegner die Rücksichtslosigkeit der Finanzwirtschaft. Diese ist aus bekannten Gründen auch jüdisch geprägt. Da Juden früher aus Konkurrenzneid von handwerklichen Zünften ausgesperrt wurden blieben nur intellektuelle Betätigung, Kunst, Literatur, Handel und Finanzen. Genau die Geschäftsfelder, die mit der Industrialisierung weit mehr Reichtum ermöglichten, als traditionell angesehene Berufe, wie Baumeister, Landwirt, Schmied, Koch, Metzger oder Gerber, um einige Beispiele zu nennen.
Der 1885 geborenen Ezra Pound litt an einem Trauma, nämlich der Teilnahme der USA am Ersten Weltkrieg und den Verlusten seiner Generation, welche die Schriftstellerin Gertrude Stein mit der Metapher „Lost Generation“ in die Welt setzte. Pound beschuldigte sein Heimatland, das ihm nie Heimat wurde, für das Massensterben in Europa, verursacht durch Geld, Finanzwirtschaft, Kreditwesen und Börse.
Das was heute die Bürgerbewegung Attac anklagt, oder was Gegner des heutigen Raubtierkapitalismus auf die Barrikaden treibt, zu der deutsche, englische und ein Teil die jüdische Finanzwelt beitragen, das nahm er vorweg. Er verdammte fast hellseherisch, dass Banken(un)wesen, das Gewinne privatisiert und Verluste auf die Allgemeinheit abwälzt. Während ich diese Zeilen schreibe steht in der SZ, „Siemens-Chef Roland Busch fordert angesichts des technologischen Wandels eine „massive“ Umverteilung der Kosten.“ Mit anderen Worten, die horrenden Gewinne der Vergangenheit sind Angelegenheit von Siemens, Die Kosten für Modernisierung sind Angelegenheit des Steuerzahlers? Dieser Siemens-CEO, hat wirklich nicht mehr alle Zeiger an der Uhr.
In seinen frühen Jahren, kurz nach dem ersten Weltkrieg galt er als äußerst warmherziger und hilfsbereiter Geist vieler Intellektueller. Als eines der größten Werke angloamerikanischer Poesie gilt T. S. Eliots Gedicht „The Waist Land“. Eliot, hat bis zu seinem Tod zu ihm gehalten, war mit Pound eng befreundet. Er verdankte den Kürzungen und der korrigierenden Hilfe Pounds, dass letztlich „Das wüste Land“ ihm den Nobelpreis einbrachte. Thomas Stearns Eliot hat dies ein Leben lang mit Dankbarkeit betont, wie auch Pound für Ernest Hemingway ein Mentor war. Manch ein Leser oder eine Leserin wird mir vielleicht Blauäugigkeit aus der Ecke eine Fanclubs vorwerfen, was ich gar nicht bestreiten will. Es ist natürlich ambivalent, künstlerisch großes Werk von den persönlichen Fehlern des Künstlers zu trennen, wie wir das durch die kleinmütige Pauschalierung des Malers Emil Nolde gerade erleben, der allerdings wirklich keinen guten Charakter hatte. Hat das aber mit seinem künstlerischen Werk zu tun?
Ezra Pound, in gewissem Maße auch ein starrsinniger Verschwörungstheoretiker wurde von Allen Ginsberg, dem berühmten Dichter der Beat-Generation verehrt. Ginsberg besuchte Pound in Venedig. 1967 gestand Pound dem jüdischen Ginsberg, der eng mit Bob Dylan befreundet war, dass der schlimmster Fehler seines Lebens sein dummer Antisemitismus gewesen sei.
Bei all den Irrungen und Verführungen deren mein Vater, die ganze Generation vor mir, ausgesetzt war: „irgendwann hätte ich auch von meinem Vater mal das Eingeständnis zum Holocaust und die Bitte um Verzeihung erwartet. Ich kannte Viele, Freunde meines Vaters, unzählige Schwaben und andere, eine Entschuldigung, oder wenigsten ein Bedauern hörte ich nie. Unglaublich wie Hirne sich verbiegen und versteifen können.
Mein geliebter Ezra, dieser Ritter von der traurigen Gestalt hasste nichts mehr als die Dummheit, und wenn es um Dummheit geht wird man im Judentum nur schwer fündig, deshalb hatte der Mann immerhin einige jüdische Freunde.
Die italienische Rechtsaußenpartei „Lega Nord“ um den unerträglichen Politiker Mattheo Savini bietet übrigens in ihrem Schwarzhemden-Kometenstreif, einem Naziverein namens „Casa Pound“ eine Heimat. Es bereitet mir geradezu körperlich Schmerzen, dass der Großdichter von solchen faschistischen Dunkelmännern missbraucht wird. Missbraucht werden auch politisch aufrichtige Südtiroler, die es ertragen müssen, dass „Casa Pound“ mit SA-ähnlichen Metaphern ihren schönen Landstrich mit „Südtirol Reinigen“ plakatieren und verschandeln.
Bevor ich vollends in Rage komme muss erwähnt werden, dass weltweit viele Intellektuelle, insbesondere Ernest Hemingways Sturmlauf gegen Pounds Pisaner Käfighaltung Wirkung zeigte und der Dichter der Todesstrafe entging, da er, sozusagen als humanen Ausweg, für irre erklärt wurde. In den USA wurde er in der Anstalt St. Elizabeths für kriminelle Geisteskranke inhaftiert. Die ersten 15 Monate litt er in einer Zelle ohne Tageslicht. Danach wurde es auch nicht viel besser. Nach zwölf Jahren kam er mit Hilfe Hemingways frei. Am 1. November 1972, einen Tag nach seinem 87. Geburtstag verstarb er. Seinen Lebensabend hatte er mit der berühmten Violinistin Olga Rudge, verbracht, die an seiner Seite beerdigt ist.
Soweit einige meiner Gedanken auf der Friedhofsinsel San Michele in Venedig.
PS: Ich empfinde die USA als ein wunderbares Land. Ein Teil der Bevölkerung aber, und gerade diejenigen, insbesondere die talibanmäßig ihr Christentum beschwören, sind von unglaublich steinernem Herzen. Man denke an Roman Polanski, vor 50 Jahren Scheiß gebaut, der nicht einmal bewiesen ist. Die Betroffene hat längst einen Rückzieher gemacht. Dann der Held für Menschlichkeit, der die Folterungen der amerikanischen Armee öffentlich machte, Edward Snowden, und jetzt Julian Assange. Eine der zentralen Tugenden ist für mich das Verzeihen.